Entfernte Verwandte
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Januar 2010
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- Helsinki: Gummerus, 2007, Titel: 'Isä, poika ja paha henki ', Seiten: 263, Originalsprache
- Köln: Bastei Lübbe, 2010, Seiten: 240, Übersetzt: Gabriele Schrey-Vasara
Eine Ballade von der Alltäglichkeit des Verbrechens
Nachdem es ihn im letzten Buch in die alte Heimat Russland verschlug, ist Viktor Kärpää jetzt wieder allein in Finnland unterwegs. Und wird im Verlauf des Romans Besuch einer entfernten Verwandten bekommen.
Doch bis dahin darf der Leser ihn dabei verfolgen wie er versucht seine halblegalen Geschäfte immer weiter abzubauen und ein gesetzestreuer Bürger zu werden. Immerhin ist Viktor jetzt Familienvater und lebt mit seiner zweijährigen Tochter Anna, die er gerne "das Mädchen" nennt, und seiner Partnerin Marja im neugeschaffenen Heim, da das alte Haus ja Opfer einer Feuersbrunst wurde. Nachzulesen in "Russische Freunde".
Leider gehen die Geschäfte schlecht, die Polizei hat im Kampf gegen Schwarzarbeit ein Auge auf Viktor geworfen, und Geschäftspartner Maxim Semjonowitsch Frolow benutzt die von Kärppä angemieteten Wohnungen nicht nur als Bordelle, sondern auch als Drogenumschlagplatz. So fällt es Viktor denkbar schwer, ehrbar zu werden und vor allem zu bleiben. Die alten Kontakte nach Russland helfen auch nur bedingt. Zwar erfährt Viktor einiges über seine familiäre Vergangenheit, aber das Frolow-Problem scheint einer Radikallösung entgegen zu steuern.
Als dann auch noch besagte Verwandte namens Svenja mit Sohn Sergej im Schlepptau auftaucht und Viktor bittet, ihren Mann Pawel zu suchen, der als illegaler Arbeiter in Finnland unterwegs ist und spurlos verschwunden scheint, heißt es für Kärppä: Augen auf und durch.
Entfernte Verwandte ist der vierte Auftritt Viktor Kärppäs und derjenige, der sich bisher am weitesten von den Mustern des (Hardboiled)-Kriminalromans entfernt. Im Gegensatz zu Russische Freunde wird es diesmal Leichen geben, aber trotzdem wird Viktor keinen Mord aufzuklären haben. Vielmehr ermittelt er (bestenfalls) in eigener Sache, was heißt: zuzusehen ordentlich Geld zu verdienen, um die Kleinfamilie zu ernähren – ohne in allzu dunkle Geschäfte verwickelt zu werden, und zu verhindern dass Frolows kriminelle Aktivitäten auf ihn selbst zurückfallen.
Matti Rönkä hat ein Buch über alltägliche Verbrechen geschrieben, die unverbrüchlich mit der modernen westlichen Kapitalgesellschaft verbunden sind. Schwarzarbeit, Drogenhandel, Zwangsprostitution, Erpressung, zwielichtige Materialbeschaffung sind die Hauptthemen, die Rönkä aufgreift. Er zeigt eine Gesellschaft, die von Kopf bis Fuß korrumpiert ist, an deren Rändern sich nicht nur hochoffizielle Verbrecher, sondern auch politisch ambitionierte "Diplomaten" und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter herumtreiben, die versuchen die Dinge nach ihrem Ermessen und Willen zu lenken. Menschenleben spielen nur eine Rolle, wenn sie Geld einbringen, für die eigene Planung wichtig sind oder die Beseitigung größeren Aufwand bedeuten würde, als der lebendige Status Quo.
Menschlichkeit fällt dabei durch´s Raster. Die Polizei verkündet zwar lautstark kriminelle Strukturen und Machenschaften zu durchleuchten und aufzubrechen, ist aber letztlich hilflos.
Dies anerkennend greift der illusionslose und scheinbar vergnügte Tepa Korhonnen nur noch kommentierend und sacht (Viktor) lenkend ins Geschehen ein, während sein ambitionierter Partner Parjanne eine Witzfigur im Hintergrund bleibt.
Viktor Kärppä selbst ist auch kein Kind von Traurigkeit: zwar gelobt er Besserung, greift aber zu genau den Methoden, die er eigentlich ablehnt, wenn er unter (finanziellem) Druck steht. Er verschiebt Waren, erpresst unwillige Staatsbedienstete, wenn sie ihm Bewilligungen verweigern und nutzt seine alten Geheimdienstkontake ohne Scheu für das eigene Geschäft. Zwar hat er sich einen letzten Rest moralische Integrität bewahrt, aber vom edelmütigen Lebensretter in der Erbfolge Philip Marlowes ist er weiter entfernt denn je zuvor. Für den desillusionierten Kärppä geht es nur noch darum Schaden zu begrenzen und die eigenen Lieben und Freunde zu schützen, soweit das möglich ist.
So ist Entfernte Verwandte auch eher eine gesellschaftskritische Bestandsaufnahme als kohärent entwickelte Spannungsliteratur. Vom Genre hat es die Melancholie des (Anti)-Helden herüber gerettet, sich den schwarzen Humor bewahrt, für den vor allem wieder Teppo Korhonnen in nahezu surrealistischen Kurzauftritten zuständig ist, sowie die Nähe zu Bedrohung und Ausübung von Gewalt mehr oder weniger unterschwellig einfließen lassen. Doch in erster Linie ist der Roman der bedrückende und eindringliche literarische Spiegel soziopolitischer Realität. Vermutlich nur ein Bruchteil dessen, was Rönkä als Nachrichtensprecher mitbekommt und vortragen muss.
Als Bonus gibt es weitere Einblicke in die schwierigen Beziehungen zwischen Russen und Finnen. Ein Handlungsdetail, das mit Abwandlungen auch von deutschen Verhältnissen nicht gar so weit entfernt ist.Matti Rönkä, Bastei Lübbe
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