Mordkommission
- dtv
- Erschienen: Januar 2010
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- München: dtv, 2010, Seiten: 237, Originalsprache
Schuster, die bei ihren Leisten bleiben sollten
Im (Privat)fernsehen gehören sie längst zum Alltag: jene Vertreter verschiedener Berufsstände, die uns weismachen wollen, dass ihre von der Kamera begleiteten Sperenzchen das echte Leben sind; im Allgemeinen aber nur belegen, dass da draußen ziemlich viele Vollpfosten unterwegs sind. Greift diese Unsitte jetzt auch auf die Literatur über?
Nur weil Ferdinand von Schirach einen lesenswerten Band Erzählungen vorgelegt hat, die sich an seinem Berufsleben orientieren, heißt das nicht automatisch, dass jeder spät Berufene aus seinem Arbeitsalltag berichten muss. Als würde die Welt dadurch mehr erfahren, als sie bereits weiß. Wenn dann der Anspruch lautet: "Die Wirklichkeit stellt jeden Krimi in den Schatten", sind wir umgehend bei Richard Thiess' Buch Mordkommission gelandet. Thiess arbeitet laut Klappentext als Erster Kriminalhauptkommissar und stellvertretender Leiter des Mordkommissariats in München. Wir hoffen inständig, dass er ein besserer Polizist als Autor ist.
Denn was er uns in unsäglichem Beamtendeutsch
Der Täter wurde zu einer langjährigen Jugendstrafe verurteilt, deren Verbüßung er sich kurz nach dem Prozess durch Suizid entzog.
als erschütternde Nachrichten aus den Niederungen der Gewaltkriminalität verkauft, sind banal formulierte, gestreckte Pressemitteilungen. Der Leser erfährt wenig mehr über die Wirklichkeit, als dass schlimme Dinge passieren. Es gibt Opfer und Täter, doch Thiess verweigert Einblicke in Motive und Motivationen mit geradezu beängstigender Hartnäckigkeit. Obwohl man davon ausgehen kann, dass er Zeuge erschütternder Szenen und Verhältnisse geworden ist, lesen sich seine Notizen wie bloße Behauptungen. Vor allem, weil er alles ausspart, was auch nur ansatzweise in die Tiefe gehen könnte. Beim Ausmalen von Brutalitäten mag das angehen, doch selbst was die Ermittlungsarbeit betrifft, bleibt er stets an der Oberfläche. Oft gibt es auch nichts zu erzählen, da "Kommissar Zufall" effektiver arbeitet als manches Sondereinsatzkommando. Unabhängig davon gibt Thiess keinerlei, selbst unverfängliche, Details preis; versucht sich stattdessen an aufgesetzter Humorigkeit, die in so klugen Erörterungen gipfelt, dass sich Polizisten bei "frostiger Kälte" tatsächlich über heißen Kaffee und spendierte "Wurstsemmeln" freuen.
So ergibt Mordkommission eine Ansammlung von Mord, Totschlag und verwandten Verbrechen, wie sie jeder minder begabte Lokalredakteur nachdrücklicher in sein Blatt setzen könnte.
Zwar glauben wir Thiess seine Betroffenheit, genauso wie wir erschüttert das Gejammer über die aufreibenden Arbeitszeiten während des Bereitschaftsdienstes wahrnehmen. Aber es fällt schwer bei Sätzen, die nur die eigene Befindlichkeit ins Rampenlicht stellen und das Leiden der Opfer, bzw. Angehörigen sacht ausblenden.
Ein kaum verständliches und doch schon tief verzweifeltes "Nein...!" war alles, was der Vater noch sagen konnte. Das, was danach folgte, ehe mein Kollege und ich uns in den frühen Morgenstunden verabschiedeten, werde ich ihnen ersparen. Doch noch heute, Jahre später, sehe ich jede Einzelheit dieses Moments wie in einem Film vor mir ablaufen.
Hätte der Autor doch Wittgensteins Satz "wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" ernst genommen und komplett die Klappe gehalten.
Jede Zeile in Mordkommission weckt die Sehnsucht nach Fiktion, belegt einmal mehr eindringlich, dass gewisse Abläufe zu kennen keineswegs heißt, sie auch zu verstehen. Thiess versucht, sprachlich indiskutabel, die häppchenweise Verabreichung bestimmter Aspekte seiner Realität als deren Durchdringung zu verkaufen. Und liefert nur das Portrait eines bemitleidenswerten, bzw. selbstmitleidigen Mannes, der tapfer viele Überstunden ableistet, seine Familie zu kurz und zu selten trifft, und schreckliche Dinge zu Gesicht bekommt.
Dass er am Ende als edler Ritter, der sich nach Kräften aufopfert, um das Gemeinwohl zu schützen und zu bewahren, dasteht, verleiht dem unerquicklichen Werk zudem eine Aura von pathetischer Selbstbeweihräucherung, hinter der die schablonenhaft beklagten Opfer und Leidtragenden sinnlos verblassen.
Dabei wäre unsere Welt schon ein besserer Platz, wenn Polizisten ihre gesamte Energie für kompetente Ermittlungen aufwenden, Bäcker mit Freude knusprige Brötchen backen, Köche ohne Kamerabegleitung schmackhafte Speisen zubereiten, Pädagoginnen selbst die stille Treppe aufsuchen, und allesamt das Bücher schreiben Autoren überlassen würden.
Abschließend eine kleine Liste von Wörtern, die ich nie wieder in einem Buch lesen möchte:
- Absuche
- Der so Angesprochene
- Ereignismeldung
- Ermattungsmarke
- Erstzugriffsmaßnahmen
- Glaubwürdigkeitsgutachten
- Kriseninterventionsteam
- tatbestandsmäßige Handlungen
- tote Mutti
- verbracht
- Volllast
und weitere, die ich erfolgreich verdrängt habe.
Richard Thiess, dtv
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