Totenprinz
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2010
- 2
- München: Blanvalet, 2010, Seiten: 416, Originalsprache
Kontaktbörse wird zur Todesfalle
Die Hamburger Kommissarin Anna Greve steckt nach wie vor kopfüber in privaten Problemen – und muss mit ihren Kollegen einen brutalen Mord am Ufer der Elbe aufklären. Eine verheiratete Frau, offenbar mit ihrer Ehe unzufrieden, hat sich mit einem Unbekannten getroffen und wurde von ihm bestialisch ermordet. Die Ermittler tappen lange im Dunkeln, es erweist sich als höchst schwierig, dem Mörder auf die Spur zu kommen. Derweil schlägt der Täter erneut zu, und den Kriminalisten läuft die Zeit davon, wenn sie einen weiteren Mord verhindern wollen.
Mit dem dritten Roman um die Hamburger Ermittlerin Anna Greve hat Christine Westendorf eine handwerklich saubere Arbeit vorgelegt, die allerdings auch einige Schwächen aufweist. Dabei ist es vor allem die Hauptfigur des Romans, die kaum oder nur ungenügend weiterentwickelt wird. Die privaten Probleme der Kommissarin haben sich nicht geändert, sie wirkt in dieser Hinsicht weiter äußerst entscheidungsschwach und unentschlossen im Hinblick auf ihre Ehe. Im Team des Hamburger Landeskriminalamtes schwimmt sie irgendwie mit, ohne eine herausragende Rolle zu spielen. Problematisch finde ich auch einige der Dialoge, die zuweilen eher einfallslos wirken. Es kommt dem Leser so vor, als habe die Autorin zu viele "uralte" Tatort-Folgen im Fernsehen angeschaut. Positiv könnte man auch sagen, die gute alte Polizeiarbeit wird hier ausgiebig gepflegt.
Wirklich gut konstruiert ist jedoch die Geschichte des Mörders und seiner Opfer. Es geht um Frauen, die aus recht unterschiedlichen Gründen eine tiefe Sehnsucht nach Liebe in sich spüren. Die eine kann die offensichtliche Gefühlskälte ihres Ehemannes nicht mehr ertragen, die andere leidet unter der ständigen Abwesenheit des Gatten, der geschäftlich ständig auf Achse ist. Auch die Protagonistin hat derartige Anwandlungen, denn in ihrer Ehe hat sie einen Mann an ihrer Seite, der nur um sein eigenes Universum kreist. Diese "romantische" Sehnsucht wird vor allem bei der Figur der Amanda deutlich, deren Dialoge mit dem Totenprinz im Internet der Leser von Beginn an verfolgen kann.
Der Hunger nach Aufmerksamkeit führt die Mordopfer zu einer Dating-Seite im Internet – offenbar die einzige Möglichkeit, außerhalb ihrer mittlerweile zum Gefängnis gewordenen Partnerschaften andere Männer kennen zu lernen. Damit greift die Autorin ein hochaktuelles gesellschaftliches Phänomen auf, das auch von anderen Kriminalschriftstellern bereits thematisiert wurde. Egal ob verheiratet oder echte Single-Frau – der unverbindliche Weg über zunächst anonyme Kontakte in der virtuellen Welt ist immer beliebter geworden, weil er viele scheinbare Vorteile bietet. Der Roman macht jedoch erschreckend deutlich, welche Gefahren damit verbunden sind. Ein geschickt recherchierender Mann kann nahezu alles über die tatsächliche Identität der Frauen heraus finden. Er schreibt entsprechende Briefe und Antworten auf die sehnsuchtsvollen Fragen der Frauen, zieht an den richtigen Strippen, ohne tatsächliche Informationen von sich preiszugeben. Und ein Foto gibt es schon gar nicht – das erste Treffen wird zum verhängnisvollen "blind date".
Als Anna Greve dann selbst Kontakt über das Internet zum Mörder sucht, gehen ihr derart die Pferde durch, dass der Psychologe des Polizei-Teams eingreifen und die Mails formulieren muss. Diese Episode lässt tief blicken und gehört zu den besten Stellen im Buch. Die innere Stimme der romantischen Sehnsucht ist auch bei der Kommissarin derart ausgeprägt, dass ihr die Sache aus den Händen zu gleiten droht. Die dadurch entstehende emotionale Atmosphäre hat Christine Westendorf gut und authentisch geschildert. Gelungen ist auch der dritte Erzählstrang – neben der Sichtweise der Polizei und der Figur der Amanda – in dem die perversen Empfindungen des Mörders geschildert werden. Das Buch insgesamt ist durch etliche überflüssige Nebenaspekte etwas zu lang geraten, aber das Finale hätte ich mir etwas ausgeklügelter gewünscht. Hier verfällt die Autorin gewissermaßen in Hektik, das Ende wirkt etwas unfertig. Dennoch ein insgesamt solider Krimi, der bei etwas sorgfältigerer schriftstellerischer Arbeit durchaus eine bessere Beurteilung hätte erreichen können.
Christine Westendorf, Blanvalet
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