Mammaherz

  • Haymon
  • Erschienen: Januar 2008
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  • Mailand: Mondadori, 2003, Titel: 'Cuore di Madre', Seiten: 232, Originalsprache
  • Innsbruck; Wien: Haymon, 2008, Seiten: 249, Übersetzt: Kurt Lanthaler
  • Zürich: Unionsverlag, 2010, Seiten: 251, Übersetzt: Kurt Lanthaler
Mammaherz
Mammaherz
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Wolfgang Franßen
89°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2010

Ein schlichtes Gemüt

Cosimo schlägt sich durch. Er betreibt eine Fahrradwerkstatt in Calcara, die mehr schlecht als recht ihren Mann ernährt, und wird von seiner Mutter versorgt, während er Zahlenrätsel löst, Radio hört oder Fernsehen schaut. Cosimos Hauptbestandteil der Arbeit besteht darin, auf Arbeit zu warten. Kein aufregendes Leben, das Roberto Alajmo da beschreibt. Cosimo frischt gelegentlich seine Einkünfte dadurch auf, dass er gewissen Herren zu Diensten ist. Als ihm ein Kind in Haus gebracht wird, auf das er ein paar Tage aufpassen soll, beschäftigt ihn weniger der Gedanke, ob das Kind entführt worden ist, vielmehr freut er sich über die Chance, seine Einkünfte für den nächsten Monat zu sichern.

Doch dann gerät seine Welt aus den Fugen, die ihn zum Unglücksraben abstempelt. Nicht nur dass seine Putzfrau ein Sexheftchen bei ihm findet, das ihn in den Verdacht rückt für Kinderpornografie empfänglich zu sein, auch seine Beruhigungsversuche dem Kind die Angst zu nehmen, scheitern kläglich. Dabei büßt er sogar ein Stück seines Ohrläppchen ein. Ein Umstand, der seiner allgegenwärtigen Mutter nicht verborgen bleibt. Zufällig entdeckt sie das Kind in Cosimos Haus, bemerkt die Hilflosigkeit ihres Sohnes und zieht zu ihm, um ihn vor sich selbst zu schützen.

Roberto Alajmo lebt als Journalist und Schriftsteller in Palermo, schreibt neben Reiseberichten auch Theaterstücke und kennt sich mit den Hoffnungen auf Sizilien aus, die kurz aufleuchten und wieder verschwinden. Er beschreibt ein Außenseiterschicksal, bei dem Cosimo selbst dann nicht in Ehren überleben kann, wenn er die meiste Zeit den Kopf einzieht. Minutiös folgt Alajmo Cosimos Alltag, seinem Sich-Fügen in das, was er nicht zu ändern vermag.

Es ist merkwürdig mit dem Verbrechen. Manchmal kehrt es sich um, wird ein zuvor bis ins Feinste ausgetüftelter Plan zur eigenen Bedrohung. Das Kind in Cosimos Haus ist störrisch, weigert sich zu essen. Selbst als die Mutter den Speiseplan diktiert und glaubt, allein durch ihre weibliche Präsenz das Chaos in den Griff zu bekommen, beschleunigt sie das Drama. Cosimo gibt nur allzu gern die Verantwortung ab. Lässt Mama machen, auch wenn sie ihn kurzzeitig der Pädophilie verdächtigt. Mama wird's richten.

Von Anfang an ist auch ihr klar, dass man sich nicht gegen jene auflehnt, die Cosimo nicht beim Namen nennt, oder sie gar der Polizei meldet. Aber was soll man tun? Hat das Muttersöhnchen nicht die besten Absicht gehegt, als er das Kind bei sich aufgenommen hat? In düsteren Farben malen Mutter und Sohn sich aus, was dem Kind alles hätte geschehen können, was ihm womöglich Schicksalhaftes bereits widerfahren ist.

Eine Farce entspinnt sich. Und so erzählt Alajmo die Geschichte eines schwindenden Rechtsempfindens angesichts eines Lebens in einem rechtsfreien Raum. Wer sich fragt wie sich in Kalabrien, auf Sizilien, in Neapel, Genua, oder Palermo die Mafia, die Cosa Nostra, hat halten können, der folge Cosimos Alltag, der dazu verkommen ist im alltäglichen Überleben ein Auskommen zu finden.

Das Gefühl der Ohnmacht wird von Roberto Alajmo mit lässiger Hand nacherzählt. Er zieht eine feine Linie dahin, wo das Verbrechen einen für sich vereinnahmt, wo Gründe für das eigene Handeln erfunden werden, schnell bei der Hand sind, wenn es darum geht, sich selbst zu retten. Am Ende steht eine furchtbare Tat. Selbst diese wird bagatellisiert werden. Wenn die Gerechtigkeit über einen hereinbrechen sollte, dann soll sie halt kommen. So lautet das Schlussfazit.

Dem Autor ist ein Kabinettstück gelungen. Er beschränkt sich auf wenige Quadratkilometer, um von einer Unterdrückung zu erzählen, die in erster Linie hausgemacht ist, weil niemand mehr aufsteht, um sich zu widersetzen. Mit Cosimo, dem Muttersöhnchen, ist dem Autor ein beeindruckendes Spiegelbild eines überzeichneten Charakters gelungen, eines Wesenszugs, der angeblich nicht nur in Männern wohnt.

Mammaherz

Roberto Alajmo, Haymon

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