Bittere Delikatessen
- Grafit
- Erschienen: Januar 1996
- 2
- Dortmund: Grafit, 1996, Seiten: 236, Originalsprache
- Essen: Klartext, 2011, Seiten: 236, Originalsprache
Eine Wendung zu viel
Der brutale Mord am Düsseldorfer Feinkostkönig Heinz Fabian sorgt in der Düsseldorfer Presse für Schlagzeilen. Der beliebte Gastronom wird mit aufgeschnittener Kehle in seiner Wohnung aufgefunden. Am selben Wochenende beginnen in den Fernsehstudios des Senders ProSat am Rande der Stadt die Dreharbeiten zur Soap Opera "Watzmannhaus" mit Nora Fabian, der Tochter des Ermordeten, in der Hauptrolle. Zeugen berichten, wie Vater und Tochter in der Garderobe der Schauspielerin einen lautstarken Streit hatten. Dadurch fällt unweigerlich ein erster Verdacht auf die Schauspielerin.
Während die Ermittler vom K1 die Ermittlungen im Mordfall aufnehmen, arbeitet in der Drogenfahndung K2 der junge Polizist Tom Swoboda an seinem ersten Fall. Obwohl erst wenige Wochen dabei, träumt er von einer Karriere in der Mordkommission. Vorerst aber verfolgt er eine Drogenschieberbande und ist dabei den Drahtziehern nah auf den Fersen. Wie sich aber schon sehr bald zeigen soll, könnten unter Umständen der Mordfall und die Drogenbande miteinander zu tun haben, da ein Mitarbeiter Fabians in beiden Fällen zum Verdächtigen wird. Als Brauning vom K1 einen Mann mit Drogenerfahrung als Verstärkung vom K2 anfordert, wird ihm der junge Swoboda geschickt.
Ideen für mehr als einen Roman
Aber was ein echter Eckert-Roman ist, gibt sich mit einem solchen Grundgerüst nicht zufrieden. Kommissar Ben Engel, genannt "der Tröster", beginnt eine Affäre mit der Verdächtigen Nora Fabian. Tom Swoboda macht indes einer Visagistin schöne Augen und riskiert großen Stress mit seiner Gattin. Drogengeschäfte und Kindesmissbrauch. Korrupte Polizisten, die selber nicht vor Mord zurückschrecken. Ein Polizeipräsident auf der Suche nach integeren Kollegen. Erkaufte Schlagzeilen in der Boulevardpresse und schmutzige Machenschaften hinter Fernsehkulissen. Und dazwischen ein junger Polizist, der sich stets von allen Seiten an seinem tödlich verunglückten großen Bruder messen lassen muss. Die Ideen von Horst Eckert reichen eigentlich für deutlich mehr als einen Roman.
Der Erzählstil ist ziemlich straight forward. Die Handlung entwickelt sich chronologisch und ist bei gerade mal 236 Seiten in 78 Kapitel eingeteilt. Eckert findet durchweg eine schnörkellose Sprache, sein Tempo ist hoch und lediglich die Zeitungsartikel, die jedem Tag der Handlung voranstehen, verschaffen eine kleine Verschnaufpause. Die Sprünge zwischen den einzelnen Handlungssträngen - hauptsächlich zwischen den Ermittlungen von Ben Engel und Tom Swoboda - sind eigentlich durchweg gelungen. Der Autor versteht sein Handwerk.
Was hat Eckert nur aus seinen Figuren gemacht?
Bei allem handwerklichem Geschick: was hat Eckert nur aus der Story und aus seinen Figuren gemacht? Ein labiler Polizist vertraut zu früh einer Verdächtigen, lässt sich von Pressereportern ausnutzen, wird dann zum Komplizen seines Vorgesetzten bei einer Bluttat. Spätestens hier verachtet man ihn. Dann aber verhält er sich sehr korrekt gegenüber Kollegen, man verfolgt seine traurigen Gespräche über Jazz und letztlich nimmt er den wahren Täter fest. Ein anderer Polizist mit offenbar mangelnder Begabung wird zum Vertrauten des Polizeipräsidenten und soll gegen Kollegen interne Ermittlungen anstellen. Ehrenhaft, aber naiv, wird er sehr leicht zum Sympathieträger. Er scheint als einziger eine Spur zum Täter gesehen zu haben, muss aber am Ende erkennen, dass er falsch lag.
Ein Ende, dass ebenfalls nicht befriedigend sein kann. Ein dreifacher Mörder wird, obwohl Indizien für jemand anderes sprechen, nur dank der Mithilfe eines Hibiskusstrauches gefasst. Das Motiv für die Morde bleibt dünn: Wieso dieser plötzliche kriminelle Ausbruch, warum nicht schon eher? Ein viel kaltblütigeres Verbrechen, begangen von Polizisten, bleibt hingegen ungesühnt. Das Bild, dass von der Düsseldorfer Polizei gezeichnet wird, stellt einen korrupten und kriminellen Apparat dar, der Insiderwissen zum eigenen Profit ausnutzt und nur von einigen naiven Versagern durchzogen zu sein scheint: Wer schützt die Allgemeinheit vor diesen Polizisten?
Die Story rasant, die Nebenschauplätze brisant
Drei Viertel des Romans machen wirklich Spaß und lassen erkennen, dass Horst Eckert mehr drauf hat. Die Story rasant und die Nebenschauplätze brisant. Über die vielen Einfälle kann man sich begeistern. Aber im Schlussviertel bringt er es einfach nicht fertig, ein mitreißendes Ende zu finden. Das Finale, dass man noch auf Seite 200 erwarten könnte, scheint Eckert nicht originell genug gewesen zu sein. Eben weil man es erwarten könnte. Und so überdreht er die Geschichte ein wenig. Man wünscht sich hinterher, die letzten vier Seiten nicht gelesen zu haben. So bleiben Opfer, die zu Lebzeiten Verbrecher waren. Es bleibt ein Täter, der eigentlich Opfer ist und es bleiben Polizisten, die Verbrecher sind. Irgendwie ein unbefriedigendes Gefühl, wenn man das Buch zuschlägt. Was lange wie ein Leckerbissen zu schmecken scheint, ist im Abgang eben doch eine bittere Delikatesse.
Horst Eckert, Grafit
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