Run! Es geht um dein Leben
- Heyne
- Erschienen: Januar 2009
- 3
- London: Brown Book Group Little, Sphere, 2008, Titel: 'Run', Seiten: 401, Originalsprache
- München: Heyne, 2009, Seiten: 476, Übersetzt: Bea Reiter
Laufen, schießen, Rätsel lösen
Seit seine Gattin vor zwei Jahren einem Mordanschlag zum Opfer fiel, vergräbt sich Ben Forsberg in Arbeit. Er berät private Sicherheitsfirmen, die von der US-Regierung angeheuert werden, um in Krisengebieten das Militär zu entlasten – ein einträgliches Geschäft, bis Forsbergs Visitenkarte in der Tasche eines berüchtigten Auftragskillers gefunden wird. Dieser hatte gerade einen US-Agenten erschossen, bevor ihn selbst die tödliche Kugel des Pilgrims, eines Attentäters im Dienst des "Kellers" – einer streng geheimen und illegalen, weil außerhalb jedes Gesetzes agierenden Gruppe innerhalb der CIA –, traf.
Nach dem 11. September 2001 wurden die Menschenrechte in den USA stark eingeschränkt. Wer im Verdacht steht, einer terroristischen Organisation anzugehören, darf vom Heimatschutz festgenommen und verhört werden, wobei die Grenzen zur Folter fließend sind. Forsberg gilt als schuldig, seinen Unschuldsbeteuerungen schenkt man weder Gehör noch Glauben. Ausgerechnet vom Pilgrim wird Forsberg gewaltsam befreit. Der Killer musste feststellen, dass man ihn ausschalten will. Die Annahme eines Komplotts liegt nahe. Pilgrims Nachforschungen ließen ihn auf Ben Forsberg stoßen, der ebenfalls als Sündenbock missbraucht wird.
Gemeinsam sollte es einfacher sein, die Intrige aufzudecken, denkt sich Pilgrim. Freilich hat er die Rechnung ohne den entsetzten Forsberg gemacht, der trotz seiner Abneigung gegen den übereifrigen Heimatschutz nicht gedenkt, mit einem Killer gemeinsame Sache zu machen. Die Realität belehrt ihn rasch eines Besseren: Sowohl die US-Behörden als auch gedungene Killer sind hinter ihm und Pilgrim her. So tun die beiden Männer sich zusammen. Während sie vor den allgegenwärtigen Verfolgern flüchten, suchen sie den Drahtzieher, der sie unbedingt tot sehen will …
Das Leben schlägt (Leber-)Haken
Ein einfacher Durchschnittsmensch lebt sein gewöhnliches Leben, bis ihn der Zufall in eine Krisensituation wirft, der er eigentlich nicht gewachsen ist. In der Not entdeckt unser profilarmer Zeitgenosse plötzlich den Tiger in sich; er flüchtet nicht mehr, sondern stellt sich den Gegnern, die nun ihr blaues Wunder erleben bzw. tief ins Gras beißen müssen: Diese Konstellation taugt für alle Unterhaltungs-Genres. Besonders gern wird sie im Thriller aufgegriffen, der aufgrund seiner Struktur, die in der Regel weniger auf komplexe Plots als auf Geschwindigkeit und Sachbeschädigung setzt, den Wechsel vom Alltag zum Chaos schnell und reibungslos bewerkstelligen kann.
Jeff Abbott geht auf Nummer Sicher und vergesellschaftet besagten Durchschnittsmann mit einem Berufsmörder. Damit dies die Mehrheit der Leser nicht abschreckt, sondern fesselt, mutiert der Pilgrim zum ´guten Mörder´, der nur Strolche austilgt, die ihr Ende weidlich verdient haben. Auf diese Weise entlastet, kann er während regelmäßig in die Handlung eingebauter Verfolgungsjagden beinhart durchgreifen, die Funktionsweise immer neuer Waffen und Kampftechniken demonstrieren sowie bizarre Schlupfwinkel aufsuchen, die Geheimagenten anscheinend ebenso eifrig anlegen wie Eichhörnchen Verstecke für ihre Wintervorräte.
Was den Plot angeht, bildet Run! eine Ausnahme vom reinen Highspeed-Thriller. Die Story ist so verwirrend wie die Realität des 21. Jahrhunderts. Das klingt wie eine Phrase und passt daher gut, da die Auflösung von Fronten typisch für das Genre ist. Nach dem Untergang des Ostblocks sind die politischen Verhältnisse ständig undurchsichtiger geworden. Thriller-Autoren bietet sich die Welt als Schlaraffenland potenzieller Schurken dar. Sie können sogar die ursprünglich ordnenden Kräfte einbeziehen, wie Jeff Abbott es im Vertrauen auf multimedial misstrauisch gestimmte Leser praktiziert: Politik, Geheimdienste und Militär sorgen zuverlässig für Skandale, die in erster Linie zu belegen scheinen, dass sich "Gut" und "Böse" in ihren Methoden so stark angenähert haben, bis eine Unterscheidung unmöglich wird.
Im Gewirr moderner Gewalttäter
Die genannten Gruppen wurden nicht durch Abbott erstmals in die Rollen von Bösewichten gesteckt. Ihm gelingt eine kleine aber immerhin neue Ergänzung: Das Outsourcing hat längst auch die US-Behörden, die Geheimdienste und das Militär erreicht. In den "Krieg gegen den Terror" ziehen verstärkt private ´Berater´ und ´Sicherheitskräfte´. Sie werden von Firmen angestellt und betreut, die sich ihre Dienste fürstlich bezahlen lassen. Dies schont zwar weder das Staats- noch das Militärbudget, aber es schönt die Bilanzen: Kosten und Verluste tauchen nicht in jenen Statistiken auf, die von der lästigen Opposition und den Medien scharf beobachtet und kritisiert werden.
Privatwirtschaft und Krieg fanden erst in den letzten Jahrzehnten so harmonisch zusammen, wie sie heute und (hoffentlich) bei Abbott überspitzt auftreten. Der Pilgrim legt dar, was daran falsch ist: Kriege und der Kampf gegen den Terror sollten idealistisch unterfütterte Maßnahmen sein und ausschließlich geführt werden, um Gewalt zu beenden. Stattdessen hat sich ein Geschäft daraus und darum entwickelt, wobei es im Interesse der privaten Nutznießer liegt, dass die Welt nie wirklich friedlich wird. Der Pilgrim, ein desillusionierter Veteran, bekennt sich hier zu einer altmodisch wirkenden Ethik.
Abbott geht einen Schritt weiter: Die Geister, die sich die Regierung rief, wird sie nicht mehr los. Die böse Sicherheitsfirma infiltriert den US-Geheimdienst, um auf diese Weise sicherzustellen, dass sie zukünftig bei der Vergabe von Aufträgen berücksichtigt wird. Hier ist des Lesers Aufmerksamkeit gefragt, denn Abbott beginnt einen Hexenkessel getarnter, doppelt oder dreifach umgedrehter Agenten zu konstruieren, in dem die Übersicht nicht nur den Romanfiguren schnell verlorengeht.
Ohne Burnusträger geht es nicht
Geheime Gruppen innerhalb des Geheimdienstes, die von ´außen´ ferngesteuert werden: Abbott treibt das Verwirrspiel auf die Spitze. Gleichzeitig mag er auf bewährte Schurken nicht verzichten. Die kommen in bzw. für die USA bevorzugt aus dem Nahen Osten. Sie werden von fundamentalistischen Mordbrennern, die dort an jeder Straßenecke konspirative Treffen abhalten, zu Attentätern ausgebildet, die anschließend rudelweise in die USA einsickern, um dort im Idealfall weitere Hochhaustürme zum Kippen zu bringen.
Abbott scheint den Drang zu verspüren, dieses Bild zu relativieren. Dabei begeht er eine verständliche aber dennoch unerfreuliche Sünde: Als Autor, der einen Unterhaltungsroman schreibt, beginnt er zu predigen. Jene eingeschobenen Kapitel, in denen der libanesische Ich-Erzähler Khaled seine Geschichte erzählt, sind für die Handlung absolut überflüssig. Khaled wurde vom jugendlichen Lebemann zum Agenten, nachdem seine Brüder bei einem Bombenanschlag umkamen. Dafür waren allerdings fanatische Landsleute verantwortlich, weshalb sich Khaled von der CIA(!) anwerben lässt: ´Gute´ Araber kämpfen nicht gegen die USA, sondern treten in deren Dienste, um die wahren Strolche zu züchtigen. Hier kann Abbott offenbar nicht aus seiner US-amerikanischen Autoren-Haut.
Tempo & Spannung mit einigen Tupfen
Dabei ist dieses plumpe Bemühen um Völkerverständigung unnötig. Run! ist vor allem und nichts anderes als eine spannende Geschichte. Abbott hat ein Gespür für Tempo und Timing, das er effektvoll für einen zwar überkomplizierten Plot aber eine rasante Handlung einsetzt. Geschickt orientiert er sich für seine Pilgrim-Figur am derzeit aktuellen Jason-Bourne-Vorbild, während er Ben Forberg auf der Suche nach Gerechtigkeit nicht zum Amateur-Hulk ausarten lässt. Wenn die ungleichen Partner von Erinnerungen an vergangene Tragödien gebeutelt werden, übertreibt es der Verfasser nicht mit entsprechenden Klagegesängen, sondern schafft es in der Regel tatsächlich, ein paar tragische Zwischentöne ins Geschehen zu mischen.
Pläne gehen den Guten wie den Bösen schief, Fehler können korrigiert oder wenigstens überlebt werden. Zwar ahnt der Leser nicht nur, wie die Geschichte ausgehen wird, aber Abbott sorgt dafür, dass ihr Verlauf spannend ungewiss bleibt. Das Finale ist dramatisch sowie tragisch; beidem angemessen findet es in den Ruinen der 2005 durch den Hurrikan "Katrina" verheerten Stadt New Orleans statt. Abbott hat hier ein Sinnbild für eine in Aufruhr und außer Kontrolle geratene Ordnung gefunden.
Ohne Zuckerstückchen für allzu aus dem seelischen Gleichgewicht gebrachte Leser kommt Abbott freilich nicht aus. Am Ende wird alles gut. Die Bösen sind tot oder werden zur Rechenschaft gezogen, die faulen Stellen innerhalb des Geheimdienstes sind ausgebrannt, die Agenten spitzeln nur mehr offiziell und unter Einhaltung gewisser Regeln den Feinden der Demokratie hinterher. Dafür, dass damit ein nicht gerade realistischer Zustand erreicht ist, versöhnen mehr als 350 zuvor. Seiten mit spannender Unterhaltung.
Jeff Abbott, Heyne
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