Russisches Requiem
- Heyne
- Erschienen: Januar 2010
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- München: Heyne, 2010, Seiten: 432, Übersetzt: Friedrich Mader
Wird dem Attribut Thriller in keiner Weise gerecht
Alexei Dimitrijewitsch Koroljow ist Hauptmann bei der Moskauer Kriminalmiliz. Wir schreiben das Jahr 1936. Das sowjetische Volk steht unter Stalins Gewaltherrschaft. Die Säuberungsaktionen gegen Menschen, die angeblich gegen das kommunistische Regime konspirieren, machen selbst vor der Miliz nicht halt. Ein Kollege Koroljows wurde bereits Richtung Sibirien geschickt.
Als in einer ehemaligen Kirche auf dem Altar aufgebahrt die Leiche einer grausam zugerichteten jungen Frau gefunden wird, wird Koroljow mit den Ermittlungen betraut. Ein schwieriger Auftrag für den gläubigen Christen Koroljow, denn die Staatssicherheit schaut dem Hauptmann genau auf die Finger.
Erste Ermittlungen ergeben, dass es sich bei dem Opfer um eine amerikanische Nonne handelt. Grund genug für Stabsoberst Gregorin von der Staatssicherheit, sich in die Ermittlungen einzuschalten. Gregorin selbst bleibt im Hintergrund, lenkt jedoch den Hauptmann, wie es ihm beliebt.
Von Koroljew wird erwartet, dass er den Täter schnellstmöglich dingfest macht. Und diesem ist klar, dass ansonsten bald ein passender Täter gefunden sein wird. Ob dies nun der richtige ist oder nicht, ist völlig unerheblich. Wie die Geschichte in diesem Fall dann für ihn selber enden wird, daran vermag Koroljow gar nicht zu denken.
Als bald darauf eine zweite Leiche gefunden wird, macht dies diese Sache noch verzwickter. Denn bei dem Toten handelt es sich um einen Mann, der unter den Moskauer Gangstern eine hohe Position inne hatte.
Mitreißend wie der Reisebericht einer Seniorengruppe
Träge fließt die Handlung vor sich hin und man hat als Leser bald das Gefühl, dass man mehr Zeit im Obduktionsraum verbringt als dort, wo das Leben tobt. Gleich dreimal dürfen wir Hauptmann Koroljow Gesellschaft leisten und in aller Ausführlichkeit einer Autopsie beiwohnen. Echte Spannung vermag dabei nicht aufzukommen.
Ermittelt wird nicht wirklich viel, denn wo und was die Ermittler zu ermitteln haben, wen sie mit Samthandschuhen anfassen müssen und wem sie auf die Füße treten dürfen, worüber sie sprechen dürfen und was geheim bleiben muss, das wird alles klar bestimmt. Und dennoch kann der Protagonist nicht aus seiner Haut heraus. Er ist Polizist und als solcher will er die Wahrheit herausfinden. Und so wagt er dann doch etwas mehr, als für ihn gut ist.
Ryans Schreibstil ist in etwa so mitreißend wie der Reisebericht einer Seniorengruppe über die letzte Kaffeefahrt. Und daran krankt das Buch. Ort und Zeit der Handlung sind zweifellos interessant und ungewöhnlich für einen aktuellen Krimi. Es gelingt dem Autor gut, den Zeitgeist der Stalin-Ära darzustellen. Deutlich wird zwar der Druck, unter dem ein Großteil der Bevölkerung stand, doch eine passende Atmosphäre aufzubauen, das schafft Ryan leider nicht. Gelungen ist ihm die Schilderung des Moskauer Alltags und der Verhältnisse, unter denen die Einwohner leben mussten. Es herrschte Wohnungsnot, und wer wie Koroljow in den Luxus kam, ein ganzes Zimmer einer Wohnung für sich beanspruchen zu können, der durfte sich glücklich schätzen. Aber wem konnte man wirklich trauen? Stets musste man damit rechnen, denunziert zu werden, sofern sich der Denunziant dadurch einen Vorteil verschaffen konnte.
Äußerst hilfreich ist das ausführliche Personenverzeichnis am Ende des Buches, denn bei den unseren Ohren nicht so vertrauten russischen Namen besteht Verwechslungsgefahr, zumal die Russen neben dem Nachnamen auch gerne den Vatersnamen benutzen und die Darstellung der Charaktere auch nicht zu den Stärken des Autors zählt.
Stünde nicht unter dem Titel auf dem Buchcover das Wort "Thriller", so würde meine Beurteilung des Buches milder ausfallen. Wikipedia behauptet: "Charakteristisch für Thriller ist Spannung, die nicht nur in kurzen Passagen, sondern fast während des gesamten Handlungsverlaufs präsent ist". Und das passt auf "Russisches Requiem" in keiner Weise. Lediglich auf den letzten Seiten vermag gelegentlich so etwas wie Spannung aufzublitzen.
William Ryan, Heyne
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