Such mich
- btb
- Erschienen: Januar 2010
- 6
- New York: G.P. Putnam's Sons, 2006, Titel: 'Find Me', Seiten: 352, Originalsprache
- London: Hutchinson, 2007, Titel: 'Shark Music', Originalsprache
- München: btb, 2010, Titel: 'Such mich!', Seiten: 478, Übersetzt: Renate Orth-Guttmann
Queen of the Lost Highway
Mallory ist zurück. Diesmal auf einer privaten Odyssee quer durch die Vereinigten Staaten. So scheint es jedenfalls; ist sie doch anhand eines Stapels Briefe, den ihr unbekannter Vater verschickte, auf dessen Spuren entlang der Route 66 unterwegs, Amerikas vielleicht berühmteste Straße vor dem Vergessen zu bewahren, und ihre eigene Identität und Geschichte zu finden.
Doch es dauert nicht allzu lange und die atemberaubende, blonde Soziopathin mit der Dienstmarke findet sich inmitten einer Pilgerkarawane auf den Spuren eines Serienmörders wieder.
"Get Your Kicks On The Road 66" die wird Mallory bekommen und auch austeilen. Jene Frau, die nur in eigener Sache unterwegs ist; FBI-Agenten wie Fußabtreter behandelt und Menschen im Schlepptau hat, die mit viel Verständnis und Sorge um ihre Zuneigung buhlen. So wie ihr Partner Detective Riker oder Charles Butler, der den Fehler beging, Mallory einen Heiratsantrag zu machen.
Mehr noch als Freunde hat sie Bewunderer; seien es Hilfesuchende wie die Eltern, deren Konvoi auf den Spuren ihrer toten und vermissten Kinder die Route 66 entlang zieht, oder der Mann, der für all die versteckten Gräber am Wegesrand verantwortlich ist. Und der sich Mallory als Chronistin seiner blutigen Biographie ausgesucht hat. Doch jeder, der Kathleen Mallory kennt, weiß, dass sie sich nicht erwählen lässt es ist immer sie, die wählt.
Obwohl sie gelegentlich etwas derangiert erscheint: der Wagen verschmutzt, Laptops und Computer nur auf Leihbasis höchst ungewöhnlich für einen Technik- und Ordnungsfreak -, behält Mallory stets die Übersicht, weiß mit Blicken, Gesten und knappen Worten der Welt ihren Willen aufzuzwingen. Die scheinbare Liederlichkeit ist ihrer Obsession geschuldet, völlig aufzugehen in den Plänen, die sie verfolgt. Die Route 66 ist nun mal ein Synonym für Freiheit, Lust an Entdeckungen und Abenteuer. Mallory passt sich an, wird zu einem weiblichen Jack Kerouac, dessen Unterwegs für sie aber Teil einer nie gelebten Biographie bedeutet. Dass sie auf ihrer Tour aber auch dem Gegenstück dieses Traums von Freiheit, und einer Welt in Bewegung, findet, ist von Anfang an klar.
In ihrem neunten Auftritt wird Mallory von ihrer Schöpferin endgültig zum überirdischen Wesen erhoben. Nur zu offensichtlich benennt Carol OConnell sie mehrfach als perfekte Synthese aus Dämon und Engel, oder besser noch, Göttin. Scheinbar unnahbar und über den Dingen schwebend, ist sie ihren Kollegen stets einen Schritt voraus. Erst am Ende des Buches gestattet OConnell ihr menschliche Regungen und Verletzlichkeiten, lässt Mallory aber auch mit einem Bein im Wahnsinn stehen.
Das ist nur konsequent: hier ist ein Mythos (die einzigartige Miss Liberty) dem anderen auf der Spur (der endlose Highway, die Route 66). Und findet dabei vergessenes, missbrauchtes Land, verblichene Wegstrecken und eine Vielzahl von Gräbern. Sowie Verzweiflung in Gestalt des traurigen Trupps verwaister Eltern, die auf der Suche nach minimalsten Hinweisen auf den Verbleib ihrer Kinder sind. Oder deren Überresten.
Mittendrin ein weiterer Mythos; der des perfekten Serienkillers, eine Art dunkles Pendant zu Mallory, der nahezu unsichtbar durch ganze Menschenmassen schreitet, um dort seine Opfer ausfindig zu machen und bei passender Gelegenheit zu töten.
Auch hier ist OConnell bemerkenswert konsequent, verleiht sie dem Mörder doch kein Gesicht, geschweige denn eine ausgeprägte Identität. Er bleibt rudimentär, der fleischgewordene Alptraum, der den Menschen das nimmt, was ihnen Hoffnung macht, ihren Nachwuchs.
Leider kann Carol OConnell am Ende dem Drang nicht widerstehen, ihm einen Namen zu geben, ihn zumindest in Ansätzen fassbar zu machen. Vielleicht muss sie auch einfach den Gesetzen des Marktes folgen, die wenigstens einen Hauch von jener Sicherheit einfordern, für die der Zustand des ewig andauernden Ungefähren der Tod wäre.
Mit Such mich! erweist sich Carol OConnell wieder als eine der originärsten Kriminalautorinnen der Gegenwart. Mit herkömmlicher Spannungsdramaturgie und Entwicklung von Beziehungsgeflechten haben ihre Romane wenig zu tun. Die Distanz zu ihren schwachbrüstigen, aber erfolgreichen Kolleginnen ist enorm, viel näher, als Slaughter, Gerritsen und Konsorten, liegen David Lynchs verstörende Roadtrips. Ganz besonders im vorliegenden Buch. Es verwundert kaum, dass die ehemalige Kunststudentin OConnell, bevor sie zu schreiben begann, Schöpferin surrealistischer Gemälde war. Der ganze Roman ist vollgepackt mit solchen Bildern und Momentaufnahmen. Darüber gehen zwar gelegentlich kleine dramaturgische Feinheiten verloren, und der ein oder andere Charakter gerät ein bisschen zu holzschnittartig. Aber dafür gibt es Entwicklungen, Wendungen und Aktionen, die man SO garantiert nicht erwartet hätte. Mallory ist wie ihre Autorin immer für Überraschungen gut; und auch da ergeht es ihr wie dem Mythos, den sie untersucht er mag schwächeln, auf dem Boden liegen, dem Sterben nah sein, aber er steht immer wieder auf. Bislang und hoffentlich auch in Zukunft.
Und am Ende der Route 66 wartet vielleicht nicht nur der ein oder andere Kick, sondern auch die Heimkehr.
Während die Übersetzung akzeptabel ist, stellt die deutsche Titelgebung das Original auf den Kopf. Es mag zwar nur eine scheinbare Kleinigkeit sein, aber zwischen dem originalen Find Me und dem deutschen Such mich! liegt eine Welt des Wollens; denn wer gesucht werden möchte, WILL eben NICHT gefunden werden. Da lobe ich mir den englischen Titel "Shark Music", der, Bertolt Brecht und Kurt Weill sei Dank, die im Roman eloquent eingeflochtene Beziehung zwischen dem Täter und seinen Opfern auf den Punkt bringt.
Carol O'Connell, btb
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