Hochsaison
- Argon
- Erschienen: Januar 2010
- 22
- Berlin: Argon, 2010, Seiten: 4, Übersetzt: Jörg Maurer
Auf der Alm, da gibt's koa Sünd - außer in der Hochsaison. Und die ist immer...
Eigentlich ein glücklicher Tag für den dänischen Skispringer Åge Sørensen. Als einziger Teilnehmer seines Landes hat er es geschafft beim jährlichen Neujahrsspringen des "Kurortes" (Garmisch-Partenkirchen, ick hör dir trappsen) dabei zu sein. Zunächt läuft alles wunderbar, er schafft den perfekten Absprung, fliegt sauber, bis ihn etwas aus der Flugbahn wirft, er ins Trudeln gerät und schließlich vor den Augen der versammelten Prominenz und sonstigen Zuschauer abstürzt. Schwer verletzt überlebt er zwar zunächst, doch im Krankenhaus hat man wenig Hoffnung. Und so steht Åge die ganze Hochsaison mit einem Bein in Valhalla.
Derweil hat der Leibwächter Jusuf in der VIP-Lounge alle Hände voll zu tun, Scheich Kalim al-Hasid vor einem Anschlag zu bewahren. Er verletzt einen Attentäter, der jedoch nahezu unbemerkt entkommen kann. Erst später stellt sich heraus, Ziel des Anschlages war gar nicht der Scheich, sondern IOC Präsident Jacques Rogge, der von all dem Trubel nichts bekommen hat.
Als die ersten Vermutungen laut werden, dass der Sturz des Dänen mittels Gewehrschuss gezielt herbeigeführt wurde, stürzt sich das Team um Hauptkommissar Hubertus Jennerwein auf die kaum vorhandenen Spuren.
Und steht bald vor der Frage, ob der Neujahrsanschlag mit den Bekennerschreiben des "Marder" genannten Alpenanarchisten zu tun hat, der mit kleinen, gemeinen Anschlägen das Leben im so beschaulichen wir skurrilen "Kurort" massiv durcheinander wirbelt.
Oder sollte es etwa verschiedene Urheber des alpenländischen Chaos mit anschließendem Mord und Totschlag geben?
Jörg Maurer macht von Anfang an keinen Hehl daraus, wer hinter den tödlichen Anschlägen steckt. Das Killerpärchen Shan und Wong, das durch die Bedrohung des IOC Präsidenten erreichen will, dass die Olympischen Winterspiele 2018 nach "Chayoang" kommen, wo man für die Sicherheit der Offiziellen garantieren kann, im Gegensatz zu bayrischen Kurorten.
Doch Interesse an diesen Spielen haben auch andere, wie Scheich Kalim al-Hasid, der bereits dabei ist, die größte Sprungschanze der Welt zu bauen – in Dubai. Pläne für Schneefall sind ebenfalls in der Mache.
Man könnte seitenweise Absurditäten, Skurrilitäten und kleine ironische Schmankerl aufzählen, die Jörg Maurer in seinem zweiten Kriminalroman auffährt. Von der "Barack-Obama-Semmel" in der Bäckerei Krusti (ähnlich erfindungsreiche Kreationen folgen quer durch’s Buch) über das "Highway-To-Hell" auf der Zither spielenden Unikum "Fischer Beppi" bis hin zu der gymnasialen Arbeitsgruppe, die im Geiste und gemeinschaftlicher Arbeit Verbrechen plant und perfektioniert. Und den ultimativen Plan in der Tasche hat, wie man ein Fußballspiel einfach gewinnen muss!
Doch das würde zu sehr den Blick auf’s Anekdotische fokussieren und davon ablenken, dass Hochsaison nicht nur urkomsich, sondern auch ein spannender und klug durchkonstruierter Kriminalroman ist, der seine Geschichte(n) nicht an die Albernheit verrät. Die Ermittler um Hubertus Jennerwein bekommen individuelles Profil, und arbeiten ernsthaft und weitgehend kompetent an den mysteriösen Fällen um den "Marder", der mehr für Aufregung, als für Schrecken sorgt, und das tödliche Duo Shan und Wong. Das ergänzt wird um den österreichischen "Problemlöser" Karl Swoboda, nachdem der ursprüngliche Dritte im Bunde, der virtuose Killer Xun Yü unsanft das Zeitliche segnete.
Maurer zieht die Polizeiarbeit nicht ins Lächerliche, er macht aus seinen Protagonisten keine Slapstick-Hampelmänner, was ein leichtes wäre. Stattdessen zieht er Witz und Charme aus genauer Beobachtung und Überspitzung des Alltäglichen. Seine Auslassungen zur Event-Kultur, die ihre Fans und Bemüßigte ohne Rücksicht auf Verluste in die Hölle der eigenen Absurdität schickt; wo einem schon mal Winnetou als Ludwig der II. begegnen kann, bevor eine Lawine ins Tal rauscht.
Ebenso amüsant ist Maurers Spiel mit literarischen und filmischen Topoi. Der Marder weiß genau Bescheid um seine medialen Vorbilder, und spielt mit den Mechanismen, die ihm Fantomas (obwohl hier Verwandlungskünstler Karl Swoboda noch näher ist), James Bond oder Hannibal Lecter vorgeführt haben. Wie fast jedem von uns. Jörg Maurer kennt sich aus zwischen CSI und Chinatown, dessen Untiefen sich auch im Kurort finden lassen. Dass die "Großkopferten" natürlich auch ihr Fett weg bekommen, versteht sich von selbst. Im Großen wie im Kleinen, getrieben von Sensations- und Profitgier offenbart sich ein ganz normaler Irrsinn, der sich in seinen harmlosen Varianten sogar einer gewissen Gelassenheit und toleranten Wohlwollens erfreut.
So funktioniert Hochsaison sowohl als satirischer Krisengipfel wie spannender Thriller, der eine Menge Reiz aus der alpinen Landschaft bezieht, in der er spielt, aber nirgendwo in sprachlicher wie inhaltlicher Provinzialität versumpft. Eine Fülle von Ideen, Gags, kleinen Episoden und Betrachtungen am Rande, die Jörg Maurer nie zur zusammenhanglosen Nummernrevue ausarten lässt. Seine Witze sind gut, die Toten (fast) echt, und dass er sich nicht einmal scheut, Sympathieträger über den Jordan, bzw. die Alpspitze zu schicken, wenn es die Handlung erfordert, zeugt vom Respekt, den er dem Genre entgegenbringt.
Und wenn es am Ende in Dubai schneit, wird es kaum jemand geben, den das verwundert. In der Hochsaison ist halt alles möglich.
PS.: Mittlerweile (Dezember 2010) hat sich Hochsaison ja als geradezu prophetisch heraus gestellt. Olympische Winterspiele in Dubai wird es zwar (vorerst) nicht geben, aber die Fußball-WM in Katar kommt diesem absurden Szenario schon verdammt nahe.
Jörg Maurer, Argon
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