Die Sammler

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2008
  • 6
  • New York: Warner Books, 2006, Titel: 'The Collectors', Seiten: 438, Originalsprache
  • Bergisch-Gladbach: Lübbe, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: K. Dieter Klebsch
  • Köln: Bastei Lübbe, 2010, Seiten: 494, Übersetzt: Uwe Anton
Die Sammler
Die Sammler
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2010

Bücherwürmer gegen Verräter & Mörder

In Washington D. C., der Hauptstadt der USA, geraten die vier Mitglieder des "Camel Clubs" in ein neues Abenteuer. Caleb Shaw, der in der Raritätenabteilung der berühmten Kongressbibliothek beschäftigt ist, sieht sich nach dem jähen Tod seines Abteilungsleiters zu dessen Nachlassverwalter bestimmt. Womöglich ist es beim Tod von Jonathan DeHaven nicht mit rechten Dingen zugegangen. Der "Camel Club" wird plötzlich observiert. Shaws Freund Oliver Stone, einst selbst Top-Agent, identifiziert die Verfolger als Angehörige der CIA.

Doch nicht der Geheimdienst, sondern zwei kriminelle Mitarbeiter stecken hinter der Überwachung: Albert Trent und Roger Seagraves verschaffen sich einen hübschen Nebenverdienst, indem sie Agenten-Identitäten an Schurkenstaaten verkaufen. Die enttarnten US-Spione werden umgebracht, ebenso ergeht es denen, die den beiden Verrätern auf die Schliche zu kommen drohen. DeHaven hatte dieses Pech, und nun will vor allem Seagraves wissen, ob dieser vor seinem Ende den "Camel Club" informieren konnte. Zwar trifft dies nicht zu, aber Stone und seine Freunde drehen in der Not den Spieß um, beginnen eigene Recherchen und bringen sich dadurch erst recht in Lebensgefahr.

In Atlantic City drehen die Gauner Annabelle Conroy, Leo Richter, Tony Wallace und Freddy Driscoll das Ding ihres Lebens: Mit einem genialen Trick luchsen sie dem Kasino-Mogul und Gangsterboss Jerry Bagger 40 Millionen Dollar ab. Statt anschließend in einen möglichst abgelegenen Winkel der Erde zu flüchten, reist Annabelle nach Washington: Jonathan DeHaven war die Liebe ihres Lebens. Um sein Ende zu rächen, tut sich Annabelle mit dem "Camel Club" zusammen. Gemeinsam setzt man Trickreichtum gegen Gewalt; eine Methode, die allerdings nicht immer funktioniert, was für brenzlige Situationen sorgt …

Hau in die Tasten, Baldacci!

David Baldacci ist ein fleißiger Autor. Mindestens einen Thriller wirft er jährlich auf jenen Buchmarkt, der vor allem die Gelegenheits-Leser bedient, die während eines Fluges, einer Bahnfahrt oder am Strand bratend eine spannende Geschichte lesen wollen, die sich auch mit abgelenktem Hirn verfolgen lässt. Bei einem solchen Ausstoß gilt es ökonomisch zu arbeiten. Baldacci hat deshalb den Faktor "Originalität" aus seinem Werk getilgt. Er bedient sich bekannter und bewährter Elemente, die er jeweils routiniert neu kombiniert.

Der empörte Fan wird diese Einschätzung sogleich persönlich nehmen und ablehnen. Allerdings befindet sich der Rezensent mit seiner Einschätzung auf der sicheren Seite, denn Baldacci macht aus seinem Vorgehen nie einen Hehl. Er produziert seine Verbrauchslektüre mit dem redlichen Vorsatz der möglichst intensiven Unterhaltung. Literarische Wertvorstellungen bleiben von vornherein ausgeklammert.

Auf diesem Level funktioniert Die Sammler reibungslos. Obwohl ein Großteil der Handlung in stillen Bibliothekssälen zwischen staubigen Buchregalen spielt, legt Baldacci ab der ersten Seite ein Tempo vor, das er bis zum großen, leichenreichen Finale durchhält. Dabei legt er durchaus Einfallsreichtum an den Tag, wenn er betont harmlose Bücherwürmer in einen aufregend ungleichen Kampf mit skrupellosen CIA-Agenten verwickelt.

Ist es spannend, wird es verwurstet

Der moderne US-Mainstream-Thriller gehorcht seit jeher gewissen Regeln, die ihn gleichzeitig spannend und berechenbar machen. Entweder sitzt ´der Feind´ in Schurkenstaaten wie Nordkorea, Iran/Irak oder in einem der zahlreichen Nachfolge-Länder der ehemaligen Sowjetunion, oder er ist – ganz besonders heimtückisch! – Teil jener US-Einrichtungen, die Attacken aus dem Ausland abwehren sollen. Baldacci geht auf Nummer Sicher und mischt beide Konzepte. Dabei differenziert er sorgfältig: Gefoltert und gemordet wird nur von lumpigen Individuen. Die von ihnen missbrauchten Institutionen sind selbst Opfer. Scheinbare Kritik an den Praktiken der CIA wird dadurch relativiert: Die Sammler ist ein ´konservativer´ Thriller im softkritisch aufgepepptem Gewand.

Behauptet ist ebenfalls jeder Gegenwartsbezug. Baldacci schlachtet Vorurteile gegen Politiker, Lobbyisten, Geheimdienstler, Bürokraten und andere unentbehrliche aber wenig geliebte Gruppen aus. Er instrumentalisiert sie im Rahmen einer Geschichte, die der Leser nicht ernst nehmen sollte, da er sich sonst grob veräppelt fühlen müsste. Was Baldacci als kriminelle Volte verräterischer Geheimagenten ausklügelt, ist nicht raffiniert, sondern so kompliziert und von glücklichen Zufällen abhängig, dass nur Papier-Strolche wie Albert Trent und Roger Seagraves damit durchkommen können. Aber: Es KLINGT plausibel und sorgt für Spannung. Damit ist Baldaccis Primärziel einmal mehr abgedeckt.

Kuriose Figuren sorgen für Entertainment

Den gar schröcklichen Finsterbolden stehen ähnlich überzeichnete Gutmenschen gegenüber. Der "Camel Club" ist eine anachronistische Verbindung, die mit ihrem Idealismus im 19. Jahrhundert besser aufgehoben wäre. Natürlich ist dies Teil von Baldaccis Spiel mit dem Klischee (das er freilich nicht so gut beherrscht, wie er glaubt): Zirkel mit hehren Zielen gehören zum festen Inventar einer versunkenen Epoche der Unterhaltungsliteratur. Von "Lord Percy vom Excentric Club. Der Held und kühne Abenteurer" (1913) bis zur "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" hat sich das Konzept erhalten. Erneut überhöht (oder übertreibt) Baldacci das Vorbild, indem er vier ebenso mutige, entschlossene und ehrenhafte wie exzentrische, unkonventionelle und sympathische Figuren als Clubmitglieder vorstellt.

Dass sie im Dienst der guten Sache ständig das Gesetz biegen und brechen, macht sie nur interessanter. Baldaccis Welt ist ohnehin zynisch schwarzgefärbt: Das Establishment schreibt die Regeln vor, ohne sich selbst daran zu halten. Der brave, arglose, dumme Bürger ist ihm hilflos ausgeliefert. Als intellektuelles "A-Team" tritt dann der "Camel Club" auf. Er kann die Welt nicht insgesamt bessern aber seinen Teil dazu beitragen – und dabei viele Leser begeistern.

Schräg-Helden mit Vergangenheiten

Damit diese Klischees nicht gar zu eindimensional wirken, unterlegt Baldacci seinen vier seltsamen Helden tragische Vergangenheiten. Alle sind sie enttäuschte und gescheiterte Idealisten, die unter einem Panzer fröhlicher Gleichgültigkeit verletzte Menschenwürde durchschimmern lassen, wenn Baldacci ernste Töne anschlagen möchte.

Neu ins Boot kommt in diesem zweiten Abenteuer des "Camel Club" die Trickdiebin Annabelle Conroy, mit der Baldacci die Figuren-Exzentrik übertreibt und ins Gegenteil verkehrt: Annabelle ist eine Super-Frau, deren Geschick das gesamte Club-Quartett in den Schatten stellt. Sie weiß immer Rat, ist schlagfertig, selbstverständlich wunderschön, und in ihrem Busen hegt sie ein trauriges Herkunfts-Geheimnis, das sie nur uns, den Lesern, und dem weisen Oliver Stone enthüllt, was den Grundstein für eine sicherlich romantische aber komplizierte Lovestory legt.

Puzzle-Thriller mit zu vielen Teilen

Womit wir zu den weniger erfreulichen Aspekten dieses Romans kommen. 500 Seiten ist er stark und doch nur Episode, denn Baldacci handhabt seine "Camel-Club-"Reihe wie eine TV-Serie. Er beschränkt sich keineswegs auf eine Story. So hat die Jerry-Bagger-Story in diesem Roman eigentlich nichts verloren. Knapp zweihundert Seiten laufen zwei geografisch und thematisch separate Geschichten nebeneinander her. Dass der "Camel-Club"-Strang den Sieg davontragen wird, steht lange nicht fest. Baldacci schildert den Kasino-Coup und seine Beteiligten in Details, die in der zweiten Romanhälfte keine Rolle mehr spielen bzw. nur alibihaft und kurz aufgenommen werden. Erst im Finale tritt Bagger erneut und als personifizierter Schlussgag auf: Er bereitet das nächste Abenteuer des "Camel-Club"-Teams vor, das sich natürlich um Annabelles Rettung vor den vertierten Knechten des Gangsterkönigs drehen wird. (Als "Divine Justice" – dt. "Die Jäger" – ist es inzwischen erschienen.)

Baldacci versucht mit überlappenden Handlungssträngen die Publikumsbindung zu erzwingen. Als Autor gedenkt er sich nicht zu disziplinieren. Er schreibt und schreibt und scheint dabei vor allem das tägliche Seitensoll im Auge zu behalten. Dies würde auch den Stillstand im Mittelteil erklären. Scheinbar geschieht weiterhin viel, aber de facto tritt die Handlung auf der Stelle und wird mit ausladenden Exkursen und durchaus netten Episoden in die Länge gezogen. So erweist sich das mit großem Getöse eingeführte und breit ausgewalzte Geschehen um ein geheimnisvolles Buch als reine Schaumschlägerei, die im Finale alibihaft in ein paar Nebensätzen lächerlich ´aufgeklärt´ wird.

Spannend oder witzig?

Kühles Kalkül legt der Verfasser schließlich auch an den Tag, wenn er den Grundton seiner Geschichte wählt. Die Sammler soll möglichst alle Thriller-Wünsche befriedigen, also spannend, aktuell, actionreich, komplex und im Detail blutrünstig sein. Dazu mischt Baldacci beinahe mutwillig so viel Humor in seine Mixtur, dass diese immer wieder in einer Thriller-Parodie umzuschlagen droht. Möchte er Kritikern damit den Wind aus den Segeln nehmen? Soll der Leser die Handlung gar nicht ernst genommen werden? Oder möchte Baldacci mit ´lustigen´ Einschüben für Entspannung sorgen?

Auf jeden Fall ist sein Verständnis von Komik eher robust. Diversen gelungenen, weil schwarz- und trockenhumorigen Onelinern (die der Übersetzer entweder gut übertragen konnte oder für das deutsche Publikum aufpoliert hat) stehen flaue, sich ständig wiederholende Witzchen – Buchwurm Caleb verliert in kritischer Lage die Nerven, Frauenheld Reuben sabbert der hübschen Annabelle hinterher, die ihn schallend abblitzen lässt, Bibliothekare und Bibliotheksbesucher sind weltfremde Lachgestalten – gegenüber. Sie wirken besonders befremdlich und sogar zynisch, wenn Baldacci wenige Zeilen später CIA-Schergen und Gangster detailfroh foltern und verstümmeln lässt.

Die grob gesponnene Story gewinnt dennoch durch Baldaccis gefälligen Sprach- und Schreibstil. Die Sammler ist kein notdürftig als Roman maskiertes Drehbuch und der Verfasser ein gewandter Routinier, der nur leider allzu geschmeidig seinem Publikum bietet, womit er sich zufriedengibt – nicht weniger, aber auch niemals mehr.

Die Sammler

David Baldacci, Lübbe

Die Sammler

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