Hänschen Klein
- audio media
- Erschienen: Januar 2010
- 20
- München: audio media, 2010, Seiten: 6, Übersetzt: Simon Jäger
Kinderreime begleiten das Böse
Nicht länger ein Ort des Friedens
Sebastian Schneider hatte bisher überwiegend Glück in seinem Leben. Nach seinem Jura-Studium erhielt er eine gute Stellung in einer Anwaltskanzlei in Hannover, konnte aber auf dem abgelegenen elterlichen Hof wohnen bleiben. Für ihn ist das Hannoveraner-Gestüt nahe des Dorfes Bentlage ein Ort des Friedens, fernab vom Stress der Großstadt.
Das Glück bleibt auch bei einem Autounfall auf seiner Seite, denn Sebastian trifft Saskia, die Liebe seines Lebens. Alles könnte perfekt sein, gäbe es da nicht Lügen und eine Vergangenheit, die das Familienidyll unaufhaltsam zu zerstören sucht. Zunächst beachtet Sebastian die Hänschen klein Zeilen auf violettem Briefpapier nicht, die Post muss wohl Briefe geöffnet und verwechselt haben.
Doch auch seine Asthma-Anfälle kommen nun häufiger. Nicht mehr nachts und die Beschwerden sind anders, als wenn etwas in seinen Körper eindringt, um seinen Geist zu lenken. Der Wachhund Taifun wird von einer Forke aufgespießt, tot im Wald gefunden. Und schließlich sucht der Riese aus Sebastians Träumen den einst so friedlichen Schneiderhof heim und verwandelt ihn in einen Ort des Grauens.
Psycho, Mystik und viele Ungereimtheiten
Überwiegend lobende Kritiken hat Andreas Winkelmann für seinen ersten Thriller Tief im Wald und unter der Erde bekommen; Prädikat: "außergewöhnlich" war zu lesen. Also darf man an Hänschen klein mit hohen Erwartungen heran gehen.
In einem zweiteilig angelegten Prolog bietet uns der Autor gleich zwei Schauergeschichten. Die eine wird aus der Perspektive eines Mordopfers erzählt, die andere aus der verzerrten Sicht eines dreijährigen Kindes, das Todesangst angesichts eines herannahenden Infernos erlebt. Nachdem der Leser von dem Grusel, welches ihn in Hänschen klein erwartet, einen Vorgeschmack erhalten hat, lernt er die Hauptprotagonisten und den Ort des Geschehens kennen.
Ein erfolgreicher Typ ist er, der Sebastian Schneider; Verteidiger eines überführten Vatermörders, fest verankert in der Überzeugung, das auch der grausamste Killer das Recht auf einen Verteidiger hat. Doch ein Yuppie-Leben in den Lichtern der Großstadt ist nicht Sebastians Ding. Lieber fährt er nach der Arbeit auf den Hof seiner Eltern, hilft bei der Landarbeit und reitet am frühen Morgen über die Felder. Es verwundert nicht, dass dieser Sympathieträger mit natürlichem Charme auch das Herz seiner hübschen Unfallgegnerin im Sturm erobert. Wer kann so einem netten Kerl schon etwas Böses wollen?
Authentisch kommen auch Sebastians Eltern, Edgar und Anna herüber. Bodenständig, rustikal, herzlich, manchmal etwas engstirnig und naiv wirkt dieser Menschenschlag vom Land. Gern verdrängen sie die alten Geschichten über Sebastians Adoption. Das ist schließlich Jahre her. Und doch legen sich die Schatten der Vergangenheit über ihr Leben, wie die herannahenden Gewitterwolken am Ende eines Sommertages über die Wald – und Wiesenlandschaft.
In der ersten Hälfte des Romans punktet Andreas Winkelmann mit Identifikationsfiguren und stimmungsvollen Bildern. Wirkliche Spannungsmomente sind selten, aber akzentuiert platziert. Dazwischen inszeniert der Autor eine Lovestory, stilvoll, sorgsam Kitsch und Plattitüden vermeidend, aber einen Tick zu dominierend. Und endlich, in mitreißenden Szenenwechseln zwischen Liebesnacht und Massaker auf dem Hof erzählt, ein Höhepunkt in der Mitte des Buches, der viel kommenden Nervenkitzel verspricht. Und leider nicht hält.
Die Aktionen der Ermittler offenbaren sich als ein Sammelsurium an Ungereimtheiten. Unbeantwortete Fragen, die halt nicht mehr zu klären sind, zunächst hoffnungsvolle Ansätze, die aus dramaturgischen Gründen nicht weiter verfolgt werden (warum bemüht Polizeiobermeister Hötzner den ehemaligen Anstaltsleiter, wenn er die heiße Spur dann doch nicht untersucht?) und Grausamkeiten, um des Effektes willen (an Tieren scheint sich das gut zu machen die entsprechenden Emotionen zu provozieren), die die Handlung nicht oder viel zu spät beeinflussen.
Vollkommen abstrus wirkt allerdings das Täterprofil. Selbst wenn man hinnähme, dass ein okkultes Ritual übernatürliche Kräfte entfesseln könnte, wirkt der magiekundige Bösewicht unglaubwürdig bis zur Lächerlichkeit. Die simple Charakterisierung lässt psychologische Tiefe vermissen, ein bisschen Voodoo, Wahnsinn und massives Übergewicht – fertig ist der Killerriese aus dem Horrormärchen. Leider nicht mehr, und viel zu grotesk, um beklemmend zu wirken. Zum Schluss setzt der Autor an Absurdität noch eines drauf und hinterlässt so bei dem zu Beginn enthusiastisch empfangenen Hänschen klein-Leser nicht viel mehr als ein Kopfschütteln.
Andreas Winkelmann, audio media
Deine Meinung zu »Hänschen Klein«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!