Der Ausstieg
- Bouvier
- Erschienen: Januar 2010
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- Bonn: Bouvier, 2010, Seiten: 273, Originalsprache
Die Welt der Dienste
Bei Spionageromanen kommt wohl nahezu jedem Leser sofort James Bond, der CIA und vielleicht Jason Bourne in den Sinn, mitsamt den vom Kino geprägten Bildern von Verfolgungsjagden, High-Tech und attraktiven Frauen. Die Realität sieht jedoch anders aus und besteht in erster Linie aus wenig aufregender Routine, die im wesentlich aus Lobbyarbeit und Informationsaufbereitung besteht.
Kein Stoff für einen spannenden Krimi, sollte man meinen, doch Barthold C. Witte schickt sich an, das Gegenteil zu beweisen. Die Voraussetzungen, dass dieser Gegenbeweis gelingt, bringt der 1928 geborene Witte, der mit Der Ausstieg seinen ersten Kriminalroman vorlegt, zweifelsohne mit. Er arbeitete seit den frühen Fünfzigerjahren für den Bundestag und war, in Funktionen für den diplomatischen Dienst, in Genf und Kairo (wo auch Teile des Romans spielen), sollte also die Regeln des Machtspiels der Dienste aus eigener Anschauung bestens kennen.
Der Ausstieg als Einstieg
Richard Gutman besitzt fast alles, eine Abgeordneten-Karriere mit glänzender Aussicht auf einen Ministerposten, eine repräsentative Familie und eine mehr als gesicherte Existenz durch eine Universitätsprofessur. Trotzdem ist er unzufrieden, seine Familie ist nur Fassade und seine letzte "Nebenfrau" stellt Forderungen, die nur unter Aufgabe des bisherigen Lebens zu erfüllen wären. Er sieht sich in einer Sackgasse, aus der es nur einen Ausweg, den Ausstieg, gibt. Er entscheidet, spontan alles hinter sich zu lassen und alle Bindungen aufzugeben, um neue Freiheiten zu gewinnen.
Doch das gelingt nicht, kann nicht gelingen, zu sehr ist er verstrickt in ein Netzwerk aus persönlichen Abhängigkeiten, politischen sowie geheimdienstlichen Beziehungen. Wirklich alle, vom Sohn über die Kriminalpolizei und die Abgeordnetenkollegen bis hin zu CIA und BND interessieren sich plötzlich für Gutmanns Ausstieg aus persönlichen Motiven, die dadurch keine mehr sind. Und so steuert der Kontrollmensch Gutmann hilflos auf die Katastrophe zu.
Geschichte eines Absturzes mit unnötigem Ballast
Der Bouvier-Verlag "verkauft" Wittes Erstling - im Untertitel deutlich sichtbar - als "Kriminalroman" . Doch eigentlich handelt es sich bei Der Ausstieg weniger um einen Kriminalroman, es ist vielmehr die Geschichte eines Mannes und seines Scheiterns. Des Scheiterns am eigenen Ehrgeiz, dem Lügengebäude und der labilen Konstruktion aus enttäuschten Gefühlen, falschen Versprechungen und übertriebenem Selbstbewusstsein. Gutmann hat alles und strebt nach noch mehr, bis die durch den eigenen übersteigerten Lebensanspruch entstandene Unzufriedenheit sich Bahn schlägt und in einem überstürzten Ausstieg endet, der jedoch nur vordergründig betrachtet eine Zäsur darstellt. Der Abgeordnete Gutmann bricht nur scheinbar aus seinem Leben aus, bleibt aber in der naiven Vorstellung haften, das Netzwerk, das ihm zu Kontrolle und damit zu Macht verhalf, könne nicht ihn kontrollieren. Mehr noch, er erliegt der Idee ein "kontrollierter Ausstieg" sei möglich, und scheitert kläglich.
Das ist guter Stoff für einen interessanten Plot und einen großen Roman, zumal Witte, aufgrund seines Backgrounds, in der Lage ist, auch die Wellen die der Ausstieg in Gutmanns persönlichem Umfeld, dem Parlament und den "Diensten" hervorruft, glaubwürdig zu beleuchten. Dass aus dem guten Stoff trotzdem kein spannender Kriminalroman wird, ist bedauerlich und handwerklichen Mängeln zuzuschreiben. Überdeutlich schlägt sich Wittes publizistische Vergangenheit mit kopflastigen politischen Veröffentlichungen in einem, für den Kriminalroman ungeeigneten, umständlichen Stil nieder, der den Lesefluss gewaltig bremst. Dadurch dauert es lange, bis sich eine Bindung zur Hauptperson und damit zur Geschichte einstellt. Das geschieht etwa dann, wenn nach rund sechzig Seiten Gutmanns Ausstieg tatsächlich zu funktionieren scheint und der Leser gespannt darauf wartet, wie und wo sich das unvermeidliche Unheil über dem Ex-Abgeordneten zusammenbraut.
Doch leider gelingt es Witte nicht, diesen Faden zu behalten, er verliert sich in detaillierten Darstellungen des Wirbels, den der Ausstieg in Deutschland hinterlässt. Dabei greift er häufig auf fiktive Protokolle zurück, die zum Fall "Gutmann" in den diversen Kommissariaten, Parlamentsgremien und Nachrichtdiensten angelegt und ausgetauscht werden. Das wirkt zwar authentisch, ist jedoch nicht besonders spannend, zumal sich die Spionagegeschichte als nicht gerade besonders brisant erweist. Darum ging es Witte wohl auch nicht, er interessierte sich vielmehr für Gutmann und die komplizierten Mechanismen, die greifen, wenn ein funktionierender Abgeordneter plötzlich ausbricht.
So gelesen hat Der Ausstieg unbestreitbar seinen Reiz, es ist jedoch schade um das vergebene Potential. Die Geschichte als rein persönlichen Absturz zu erzählen, wäre prägnanter und fesselnder ausgefallen.
Barthold C. Witte, Bouvier
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