Plötzlicher Tod einer Nutte

  • Leinpfad
  • Erschienen: Januar 2009
  • 3
  • Ingelheim: Leinpfad, 2009, Seiten: 310, Originalsprache
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Jochen König
36°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2010

Liebe tut weh; manche Bücher auch - aber sie geben nicht so viel

"There’s a Killer on the road..."

1992/93: Wolfgang Anstett ist ein aufstrebender Politiker mit einem kleinen Problem. Er steht auf harten Sex. Mehr S als M. Leider kommt bei der Ausübung dieser Obsession augenscheinlich die titelgebende Nutte ums Leben, und Anstett sieht sich einem Zuhälter zu Dank verpflichtet, der ihm das Ungemach, als Sexkiller abgestempelt zu werden, erspart. Eine Verpflichtung, die Anstett mit letzter Konsequenz NICHT eingehen möchte.

 2007: Der angehende Journalist und Ex-Pornodarsteller Ignatius "Reza" Gumbrich wird von einer alten Freundin um Hilfe gebeten. Und findet sich alsbald in einer bedrohlichen Situation wieder, die ihn Kopf und Kragen kosten könnte. Vor allem den Kopf. Mit Hilfe einiger alter und neu gewonnener Freunde wehrt er sich gegen die radikalen Anfeindungen – in der Hoffnung auf eine Festanstellung beim ZDF.

 Auf Seite 80 verliert der Roman die geringe Reputation, die er sich vorher aufgebaut hat. Denn auf dieser Seite findet der trottelige Protagonist Reza eine Leiche in einer Blutlache. Und hat nichts eiligeres zu tun, als das blutverschmierte Messer, das neben der Toten auf dem Teppich liegt, aufzuheben. Wohlgemerkt: völlig grundlos. Es herrscht keine Bedrohung vor, kein Druck, der eine derart dämliche Tat rechtfertigen würde. Zwar tapert ein blinder, dunkelhäutiger Musiker(!) wenige Augenblicke später in die Wohnung, aber das weiß unser Held noch nicht, als er die Mordwaffe anfasst. Panisch flieht Reza, natürlich nicht, ohne das Messer mit seinen Fingerabdrücken vorher fallen zu lassen. Wundert es irgendwen, dass er dadurch zum Hauptverdächtigen wird?

Im Folgenden rennt, flüchtet, rettet und vögelt er sich durch eine Handlung, die in ihrer Unverfrorenheit tatsächlich ihresgleichen sucht und nicht mal als Entschuldigung anzubringen vermag: ich bin doch bloß eine bescheidene Parodie. Oder doch?

 Das würde jedenfalls die originellen Namensgebungen erklären. Beginnt schon beim spekulativen und eher abschreckenden als anziehenden Titel. Dazu ein knapp Dreißigjähriger, der Ignatius heißt, Reza gerufen wird und vom Pornodarsteller zum Journalisten umschulen will; eine freundliche Hure und Schauspielerin, die Shakespeare liebt und sich "Hermia" nennt; und als Krönung eine aufopferungsvolle Fluchthilfe, die sich mit Sex bezahlen lässt und deren Name "Magdalena" lautet? Mutter, Sohn und abwesender Heiliger Geist! Es flieht unser Held und gerät in die Hände der drallen Dame mit dem biblischen Namen. Die Fan seiner Filme ist und diese prompt nachspielen möchte. Da mögen Polizei und hochmotivierte Killer noch so nachhaltig an die Tür klopfen.

"Rapante, Rapante! Autschn!!"

 Selbst ein blinder Maulwurf würde die Haare in der kriminalistischen Suppe finden, die Jürgen Heimbach kocht.

 Eigentlich fängt es schon vor Seite 80 an. Denn auf den ersten Seiten wird der Politiker Wolfgang Anstett nach dem tödlichen "Sex-Unfall" ins Büro des Zuhälters Shark geführt, und hat Zeit und Muße sich über dessen Inneneinrichtung auszulassen, während er sich eigentlich adrenalingeschwängert und unter Schock stehend, eine Mordanklage vom Hals wünscht.

Im zweiten Teil bekommt die lokale und überregionale Presse kein deutliches Foto des Mordverdächtigen Reza veröffentlicht, obwohl der in Dutzenden von Filmen mitgespielt hat. Paintshop Pro kostet keine 10 Euro, und selbst meine neunjährige Nichte bekäme einen sauberen Ausdruck hin.

Ganz zu schweigen davon, dass Reza dreimal auf nahezu identische Weise entführt, gedemütigt und misshandelt wird. Er schafft aber immer mit runter gelassener Hose die Flucht. Dieser tumbe Tor ist als Hauptfigur eine klassische Fehlbesetzung und nicht mal in der Lage, beim Anschleichen sein Handy auszustellen. Wen wundert es, dass er Kopfschmerzen davon bekommt...

 Plötzlicher Tod einer Nutte ist eines dieser Bücher, die die Intelligenz des Lesers sträflich unterschätzen. Es werden Probanden vorgeführt, die sich durch die Bank derart dämlich verhalten, als wären sie das erste Mal in ihrem Leben morgens selbständig aus dem Bett gestiegen.

Dabei beginnt der Roman nicht unsympathisch, als gediegener, wenn auch wenig origineller Politthriller (ehrgeiziger Politiker stolpert über sein düsteres Geheimnis), verliert sich aber bald in einer stereotyp konstruierten Hit & Run Story. Von der man gar nicht glauben möchte, dass sie in Wiesbaden und Mainz angesiedelt ist, einer Gegend, mit der man eher "the germans would call it Gemütlichkeit" verbindet, als meuchlerische Politiker, die machtbeflissen ihr tödliches Unwesen treiben, kaltherzige Killer, die abgehalfterte Pornostars in Snuff-Filmen verheizen möchten, und das ZDF als Bollwerk lauteren Journalismus fungiert.

Jürgen Heimbach haut ordentlich auf den Putz und kann letztlich nie vergessen machen, wie durchsichtig sein Garn zwischen Polit-Thriller und "Auf der Flucht" gestrickt ist. Die Spuren, die er auslegt, die Cliffhanger, die sich am Ende jeder Flucht- und Entführungssequenz auftun, sind einem Setzkasten klischeebehafteter Kriminalliteratur entnommen, der massiv Staub angesetzt hat.

 Zwar gelingen Heimbach hin und wieder einige spannende und lesbare Passagen, die aber durch das läppische Gesamtkonstrukt beständig unterlaufen werden.

Und wie am Ende eines fast verlorenen Spiels wünscht man sich allzu oft an den Anfang zurück, als ein ganz anderes Ergebnis möglich schien.

Doch der Roman um einen obsessiven Politiker, der gleichzeitig Opfer und Täter ist, und dessen Karriere eine dauernde Gratwanderung am Rande des Absturzes darstellt, muss wohl woanders erzählt werden.

Plötzlicher Tod einer Nutte

Jürgen Heimbach, Leinpfad

Plötzlicher Tod einer Nutte

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