Hundert Dollar Baby
- Pendragon
- Erschienen: Januar 2009
- 6
- New York: Putnam, 2006, Titel: 'Hundred-Dollar Baby', Seiten: 291, Originalsprache
- Bielefeld: Pendragon, 2009, Seiten: 206, Übersetzt: Emanuel Bergmann
Vertraut und gut aufgehoben bis zum Schluss
Manchmal kommt etwas zu einem Ende. Nicht nur in der Literatur.
24 Jahre ist es her, seit Privatdetektiv Spenser die junge April Kyle in die Obhut der Bordellchefin Patricia Utley gegeben hat. Eine unorthodoxe Lösung, jedoch nach Spensers Ansicht, die einzige Möglichkeit für den ungestümen Teenager, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Als Nobelhure.
1986 gab es noch einmal ein unschönes und gewalthaltiges Intermezzo (Wer zähmt April Kyle), in dem April wieder einmal an die falschen Männer gerät. Doch in der Zwischenzeit hat sie sich seitdem gemausert, leitet April mittlerweile doch die Bostoner Filiale eines jener Edelbordelle, die zum kleinen Imperium Utleys gehören.
Alles scheint gut zu laufen, bis April und ihr Bordell eines Tages bedroht werden. Zeit, die alten Kontakte wieder aufleben zu lassen und Spenser um Hilfe zu bitten. Natürlich folgt der Detektiv mit väterlichen Gefühlen dem Ruf. Geschwind wird den bösen Kleinkriminellen vor Ort die Wacht angesagt. Mit Freund Hawk an der Seite, sowie dem ein oder anderen schlagkräftigen Kumpel in der Hinterhand, ein leichtes Spiel. Zu leicht, wie Spenser bald herausfindet, als es den ersten Toten gibt.
Ziemlich schnell wird klar, das April Kyle keineswegs so hilflos ist, wie sie vorgibt und außerdem ehrgeizige Pläne hat. Doch leider kreuzen immer wieder Männer ihren Weg. Als Kunden, dominante Geschäftspartner, unsichere Liebschaften und im Falle Spensers, als wohlwollender Retter.
Hundert Dollar Baby ist bei weitem nicht Robert B. Parkers bester Roman. Aber er ist einer, der dem großen Kanon um Spenser, seinen Freunden und Helfern gut zu Gesicht steht. Im Prinzip gilt der gleiche Tenor, wie schon für den (nur auf Deutsch vor Hundert Dollar Baby erschienenen) Der gute Terrorist: die Lektüre der Spenser-Romane ist wie ein Besuch bei guten Freunden. Eine Freundschaft, die großartig begann, zwischendurch zuweilen tierisch nervte, aber am Ende lange währt und immer wieder eine genüssliche Einkehr bedeutet.
Natürlich gibt es wenig neue Erkenntnisse; Parker variiert seine Standards nur noch. Aber er tut dies mit so viel lässigem Charme, dass man ihm kaum böse sein kann. Keine Frage, dass Spenser und Hawk wieder mit kleinen Wortgefechten und großen Schweigeminuten brillieren, dass Handgreiflichkeiten beiläufig, aber mit Nachdruck zugunsten der Streiter für Gerechtigkeit ausgehen. Die mittlerweile langjährige Lebensgefährtin Susan Silverman lässt psychologische Statements nur noch auf Nachfrage ab, und gibt diese kurz, knapp und erhellend. Keine beredte Larmoyanz mehr, hier herrscht Verständnis - und gibt so beiläufig einen Gegenentwurf zu der Welt außerhalb der Spenserschen Gemeinschaft, in der Unsicherheit, Habgier und widerstreitende Gefühle regieren.
Wie bei April Kyle, die so gerne eine selbstbestimmte Frau wäre, dabei immer wieder an die falschen Männer gerät und in dem Zwiespalt zwischen Ablehnung und der Sehnsucht festgehalten zu werden, verloren geht.
Unaufgeregt und verhalten verfolgt Parker dabei Spensers hartnäckigen Vorstoß zu den Hintergründen einer vorgeblichen Erpressung. Es geschieht wenig Spektakuläres, Spenser und Hawk gondeln zwischen Boston und New York hin und her, befreundete Polizisten lassen Spenser teilhaben an ihren Ermittlungen, selbst mit Mafiosi lässt sich freundlich reden. Spensers Welt ist im Lot. Aber er reagiert immer noch empfindlich auf jede Unwucht, jede Ungerechtigkeit, die außerhalb seines Einflussbereichs alles ins Ungleichgewicht versetzt. Über die Jahre hat er sich allerdings zum abgeklärten und verständnisvollen Beobachter entwickelt, der den Lauf der Welt gerne kommentiert, aber nur noch selten mit Nachdruck eingreift. Denn irgendwann akzeptiert auch Spenser: es lässt sich nur retten, wer auch gerettet werden will. Womit wir wieder bei der Psychologie wären. Und bei Susan, Hawk, Pearl, Paul Giacomin, Frank Belson, Martin Quirk und all den anderen, die um Spenser und sein kleines, in sich selbst ruhendes Universum kreisen.
Ein kurzer Nachruf, ein langer Nachhall
Manchmal kommt etwas zu einem Ende. Der Schluss meiner Kritik zu Der gute Terrorist lautete:
Parker zeigt, das kaum alternde Privatdetektive auch heutzutage noch dazu taugen, ansprechende Geschichten zu erzählen. Spenser und seine illustre Clique sind zu Freunden geworden, die man gerne einmal pro Jahr besucht und in deren Gesellschaft man sich wohl fühlt. Der Abschied fällt nicht schwer, denn solange Parker fit genug ist, weiß man, man wird sie nächstes Jahr wiedersehen. Und freut sich drauf.
Obwohl mit Rough Weather und The Professional noch zwei letzte Spenser-Romane auf ihre deutsche Veröffentlichung warten, ist es mit dieser Vorfreude vorbei.
Am 18.01.2010 ist Robert B. Parker im Alter von 77 Jahren gestorben. Was mit einem gestohleneren Manuskript 1973 begann, endet vorerst mit April Kyle im Jahr 2010. Robert B. Parker war ein verlässlicher Führer durch die 80er, vielleicht der solideste Autor zwischen all den aufstrebenden, wilden oder eklektizistischen Schriftstellern, die integre und mehr oder minder heldenhafte Ermittler durch kalte Großstadtschluchten oder übers heiße Land schickten. Zwar besitzt seine Bibliographie einige fulminante Aussetzer – vor allem an den Raymond Chandler-Paraphrasen hat er sich einen Bruch gehoben – aber steht das nicht letztlich für die Fähigkeit, auf die Spenser ein Dauerabonnement hat? Aufstehen, wenn man selbst einmal fällt und stehen bleiben, wenn die Welt um einen herum in Trümmer geht.
Von Loren D. Estleman, über Robert Crais, Benjamin Schutz, Stephen Greenleaf, Max Allan Collins, Jonathan Valin bis hin zu Andrew Vachss und Dennis Lehane dürften einige Kerzen zu Spensers Ehren und seines Erfinders angezündet werden.
Laut Sarah Weinman’s Blog starb Robert Parker tatsächlich so, wie er lebte: "sitting at his desk, working on his next novel.”. Ein kleiner Trost, wünschte er sich doch, " [to] keep writing novels until a) he died, or b) no one bought them.”.
Letzteres wird nicht passieren…
Gone, but not forgotten!
Robert B. Parker, Pendragon
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