Kalt wie Stein
- Heyne
- Erschienen: Januar 2009
- 3
- New York: Bantam Books, 2003, Titel: 'The Murder Stone', Seiten: 352, Originalsprache
- München: Heyne, 2009, Seiten: 510, Übersetzt: Helmut Gerstberger
Überraschende, gemütliche und gleichzeitig unheimliche Lektüre
Bei Charles Todd und seinen Kriminalromanen passt so einiges nicht ins herkömmliche Bild. Dass es sich bei diesem "Autor" in Wahrheit um Mutter und Sohn handelt, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Krimis um den von den Schrecken des 1. Weltkriegs psychisch schwer lädierten Inspector Rudledge mischen englische Landidylle und traumatische Erfahrungen auf sehr souveräne und durchaus originelle Weise. Kalt wie Stein nun ist ein Roman, in dem polizeiliche Ermittlungsarbeit keine Rolle spielt und der dennoch an Inspector Rutledge erinnert.
1916. Die junge Francesca Hatton pflegt in London heimkehrende Schwerverwundete von den Schlachtfeldern Flanderns und Nordfrankreichs. Die Erkrankung und der baldige Tod ihres Großvaters führen sie zurück an den Ort ihrer unbeschwerten Kindheit, ein stattliches Cottage in einem einsamen Tal. Dort im Garten liegt ein uralter Stein, den die Cousins Francescas den "Mordstein" nannte. Doch alle Cousins – fünf – sind tot. Kurz nacheinander im Krieg gefallen, nach dem Ableben des Großvaters ist Francesca nun Herrin des Cottages – und allein.
Doch schon bei der Beerdigung gerät ihre Welt ins Wanken. Seltsame Fremde tauchen auf und machen Andeutungen. War ihr Großvater doch nicht der gute Mensch, für den man ihn allenthalben hält? Was hat es mit den Anwesen auf sich, die er in anderen Teilen Englands erworben hat und von denen Francesca erst bei der Testamentseröffnung erfährt? Am meisten irritiert sie jedoch Richard Leighton, ein sterbenskranker Heimkehrer aus dem Krieg. Er eröffnet der schockierten jungen Frau, seine vor vielen Jahren spurlos verschwundene Mutter sei von Francescas Großvater ermordet worden. Ein Verrückter? Francesca weist die Anschuldigung entrüstet von sich, doch ihre feste Vorstellung vom Charakter des Verstorbenen zerbröckelt mit jeder neuen überraschenden Entdeckung mehr. Und Richard Leighton kommt ihr näher, als ihr lieb sein kann...
Schon die Handlungszeit weist darauf hin, dass auch in Kalt wie Stein der Krieg wie ein böses Omen über allem schwebt. Seine Sinnlosigkeit unterstreicht Todd noch dadurch, dass er jeden der fünf toten Cousins in kurzen Zwischenkapiteln reden lässt. Hoffnungsvolle Menschen, die mit einem Schlag verstummten, Schlachtvieh. Auch das Erzähltempo erinnert an die Rutledge-Romane. Es ist, vorsichtig ausgedrückt, sehr gemächlich. Den menschlichen Abgründen wird entsprechend vorsichtig zu gesteuert, Stück für Stück, Andeutung für Andeutung. Das liest sich nicht schlecht, wenn man von kleinen Durststrecken absieht, die insgesamt jedoch nicht groß ins Gewicht fallen. Zumindest in der deutschen Übersetzung von Helmut Gerstberger lässt sich der "eigene Sound" einer kompakten Erzählweise erkennen.
Dem Handlungskern jedoch traut man von Anfang an nicht über den Weg. Vor allem die wachsende Nähe zwischen Hatton und Leighton bleibt mysteriös, einige arg konstruierte Zufälle leisten hier Schützenhilfe, um die beiden immer wieder zusammenzuführen. Die Stärke des Romans ist eine andere. Aus der naiven Francesca wird nach und nach ein komplexes und rätselhaftes Wesen, in leisen Andeutungen werden auch hier Bruchstellen offenbar und bleiben bis zum Ende ungeklärt.
Dieses Ende wiederum entzieht sich der sauberen Ermittlungsarbeit eines Inspector Rutledge vollends. Viele dürften überrascht sein (was für ein Krimi-Ende ein Kompliment ist), aber anders als erwartet. Mehr wird nicht verraten. Lesen sollte man das Buch schon selbst. Es ist wirklich nicht die schlechteste Wahl für gemütlich-unheimliche Lektürestunden.
Charles Todd, Heyne
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