Eisige Nähe

  • Weltbild
  • Erschienen: Januar 2010
  • 33
  • Augsburg: Weltbild, 2010, Seiten: 591, Originalsprache
  • München: Knaur, 2011, Seiten: 592, Originalsprache
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Andreas Kurth
86°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2009

Packend und realistisch

Die Ähnlichkeit des skandalumwitterten Peter Bruhns mit einem in Norddeutschland lebenden, höchst umstrittenen Musikproduzenten ist der Realität abgeschaut. Dass Bruhns tot neben seiner jungen Geliebten gefunden wird, ist jedoch rein fiktiv. Eine Beziehungstat? Oder das Werk eines persönlichen Feindes, von denen es reichlich gibt? Natürlich gerät Bruhns Ehefrau als Erste in Verdacht, doch weder Sören Henning noch Lisa Santos von der Kieler Mordkommission wollen so recht daran glauben, dass sie etwas mit der Tat zu tun hat.

Bei der Obduktion wird nicht nur ein Gift gefunden, das den Kommissaren große Rätsel aufgibt, auch Schmauchspuren an der linken Hand des Opfers werden entdeckt, die allerdings manipuliert sind. Vielleicht doch Selbstmord? Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Doch dann nimmt der Fall scheinbar eine ungeahnte Wendung, als am Tatort Fremd-DNA sichergestellt wird, die mit einer DNA übereinstimmt, die man bereits seit mehreren Jahren in Deutschland an unterschiedlichen Tatorten gefunden hat.

Henning und Santos sind verwirrt, waren doch jene Fälle offiziell gelöst, da man herausgefunden hatte, dass all die Jahre mit kontaminiertem Ermittlungsmaterial gearbeitet wurde – zumindest hat diese Version der Innenminister der staunenden Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz verkündet. Auch dieser Aspekt ist ein Bezug zur Realität – vom Autor geschickt in die neue Geschichte eingebaut.

Ein ehemaliger Tontechniker von Bruhns wird von dem Ermittler-Duo verhört, doch sie halten ihn nicht für den Mörder. In einer Einsatzbesprechung am nächsten Tag wird der Mann jedoch als Täter präsentiert. Zwei LKA-Beamte wurden von ihm angeblich in eine Schießerei verwickelt, und mussten den Mann in Notwehr erschießen. Der Fall wird für gelöst erklärt. Immer mehr drängt sich Henning und Santos der Verdacht auf, dass hier vertuscht und nicht aufgeklärt werden soll – und bald sind sie einem der bestgehüteten Geheimnisse der Politik auf der Spur.

Mit der Lektüre von Eisige Nähe ist es wie so oft bei den Kriminalromanen von Andreas Franz – wenn man erst einmal angefangen hat zu lesen, lässt einen die Geschichte kaum wieder los. Dabei geht es dem Autor nach eigener Aussage vor allem darum, die vielen verschiedenen Facetten des Verbrechens in Deutschland darzustellen. Andreas Franz betont stets, dass seinen ausgezeichneten Kontakten zu Polizei- und anderen Dienststellen die große Authentizität seiner Kriminalromane zu verdanken sei. Dabei haben sich diese Kontakte zu Ermittlern von Landeskriminalämtern aus verschiedenen Bundesländern, verdeckten Fahndern und anderen Spezialisten erst im Laufe der Zeit ergeben und intensiviert. Der Autor nutzt mittlerweile seine Lesereisen durch die gesamte Bundesrepublik zu Treffen mit Experten, die ihm neue Anregungen geben. Nahezu alle Krimis von Andreas Franz basieren auf tatsächlichen Fällen, und auch in Eisige Nähe hat er wieder Situationen eingebaut, die sich so oder so ähnlich tatsächlich ereignet haben.

Das macht einen großen Teil der Faszination seiner Romane aus. Hinzu kommt ein Erzählstil, der ohne allzu viel Drumherum auskommt. Man könnte auch von einem fakten-orientierten Roman sprechen, wobei die Spannung niemals leidet. Franz versteht es immer wieder, durch geschickt platzierte Andeutungen und neue Wendungen die Spannung konstant hoch zu halten. Der Roman wirkt dabei keineswegs zu durchkonstruiert, am Ende läuft es fast zwangsläufig auf ein heftiges Finale zu.

Äußerst zwiespältig ist in Eisige Nähe die Figur des Auftragskillers Hans Schmidt. Schließlich ist der Mann ein eiskalter und zuweilen brutaler Mörder, der sich allerdings darauf beruft, bis auf zwei Ausnahmen nur Menschen getötet zu haben, die es verdient haben, weil sie selbst so viel auf dem Kerbholz haben. Aber nun mordet er auf eigene Rechnung, und bringt Menschen um, die es in der kriminellen Szene besonders heftig getrieben haben. Da muss man schon aufpassen, nicht hier und da verständnisvoll zu nicken. Am Ende bleibt er jedoch der "bad guy", trotz aller Rechtfertigungsversuche.

In ihrem nunmehr dritten Roman erleben die Ermittler Sören Henning und Lisa Santos das übliche Auf und Ab – im Beruf und in ihrer privaten Beziehung. Untypischerweise ist es oft Santos, die trotz ihrer spanischen Wurzeln den aufbrausenden Henning auf den Boden holen muss. Hatten die beiden in Spiel der Teufel schon mit heftigem beruflichen Frust zu kämpfen, so werden sie in Eisige Nähe mit ganz neuen und tieferen Abgründen konfrontiert. Der Leser fragt sich mehrfach, wie die beiden das Geschehen wohl psychisch verarbeiten. Hier werden offenbar höchst realistisch die schlechten Seiten des Polizisten-Berufs aufgezeigt – ungeschminkt und schonungslos. Auch das Ende von Eisige Nähe lässt die beiden Ermittler – und damit auch den Leser – mit einer gewissen Ratlosigkeit zurück. Oder man denkt sich den Schluss weiter, um doch noch zufrieden zu sein.

Ob andere deutsche Kriminalschriftsteller mit ihren Romanen auch so nah an der Realität sind, kann ich nicht beurteilen. Aber Andreas Franz ist hautnah an der Wirklichkeit, fast schon zu sehr. Gerade deshalb geht eine abgründige Faszination von seinen Büchern aus, was fast soweit führt, dass man als Leser sogar Verständnis für den Serienmörder aufbringt, weil er endlich die richtigen Leute umbringt. Er will der Schlange den Kopf abschlagen – und übersieht dabei, dass jedermann austauschbar ist.

Der Frust der Ermittler kann auch im wirklichen Leben dazu führen, dass sie blind zurückschlagen. Santos und Henning balancieren ständig an einer Schwelle, ohne bisher darüber gegangen zu sein. Der Leser spürt unterschwellig den Zorn des Autors und der Ermittler auf die Verhältnisse, wie sie geschildert werden, und wie sie offenbar auch in der Realität sind. Manchem Leser mag dieser Stil und die daraus resultierende Erkenntnis nicht so recht gefallen. Aber die stets noch weiter steigende Auflagenzahl zeigt, dass Andreas Franz damit einen Nerv trifft. Für mich ist Eisige Nähe einmal mehr ein überaus gelungenes Buch.

Eisige Nähe

Andreas Franz, Weltbild

Eisige Nähe

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