Mittwinternacht
- rororo
- Erschienen: Januar 2009
- 6
- London: Macmillan, 2000, Titel: 'Midwinter of the Spirit', Seiten: 468, Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: rororo, 2009, Seiten: 576, Übersetzt: Karolina Fell
Wo Schnarchen lauter tönt als Spukgeräusche
Als Witwe, alleinerziehende Mutter und Pfarrerin der Gemeinde Ledwardine in der westenglischen Grafschaft Herefordshire ist Merrily Watkins eigentlich ausgelastet. Doch Michael "Mick" Hunter, der junge, energische Bischof ihrer Diözese Hereford, setzt sie außerdem ins Amt des Bistums-Exorzisten ein. Kanonikus Dobbs, der es bisher innehatte, vertritt in Sachen Spuk und Teufelswerk allzu mittelalterliche Ansichten, und zu allem Überfluss scheint er in letzter Zeit wunderlich zu werden. Dennoch gedenkt er seinen Platz nicht zu räumen. Er intrigiert gegen die ungeliebte Konkurrentin und macht Merrily das Leben möglichst schwer.
Damit steht er nicht allein, obwohl Bischof Micks Interesse an Merrily in eine andere Richtung zielt. Obwohl verheiratet, will er sehr offensichtlich mit der hübschen Pfarrersfrau anbändeln. Mit dem Bischof möchte sich Merrily ungern anlegen. Für weiteres Ungemach sorgt Teenager-Töchterlein Janes. Sie bemüht sich, die Mutter mit dem Alt-Rocker Laurence "Lol" Robinson zu verkuppeln. Lol hat allerdings mehr als ein Auge für die esoterisch verwirrte Katherine Moon geworfen, die auf das einsam gelegene Gehöft der Familie gezogen ist, obwohl sich dort einst der Vater umbrachte. Dieser geistert nach Katherines Auskunft angeblich durch die Wälder. Wenig später liegt sie tot in ihrer Badewanne.
Merrily kämpft inzwischen gegen eine wahre Gespensterplage. Überall in Hereford und Umgebung geht es plötzlich um, sodass die frischgebackene Exorzistin kaum mit dem Austreiben nachkommt. Dann tauchen auch noch Satanisten auf, die damit begonnen, abgeschiedene Kirchen durch schwarzmagische Praktiken zu entweihen. Als in diesem Umfeld ein toter Mann gefunden wird, tritt Detective Chief Inspector Annie Howe auf den Plan. Sie bittet Merrily um Unterstützung, was diese nicht ablehnen kann. Als Jane in den Bann einer Druiden-Sekte gerät, ist der Teufel endgültig los …
Donnerwetter, Potz Blitz & Teufelsspuk!
Manchmal gerät man an ein Buch, das man einfach nicht mehr aus der Hand legen kann – dies nicht, weil es spannend und gut geschrieben wäre; das Gegenteil ist der Fall, und der daraus resultierende Zustand kann am besten als "Faszination des Grauens" beschrieben werden. Mittwinternacht liegt inhaltlich soweit neben der Spur, dass man weder glauben kann noch mag, was einem da vorgesetzt wird. Tatsächlich bildet sogar die gesamte Merrily-Watkins-Serie einen Korpus von (derzeit) zehn dickleibigen Romanen (Fortsetzung folgt), die in einer Welt spielen, in der Geisterspuk, Erdstrahlen, Seelenwanderungen u. a. Phänomene kein Hokuspokus, sondern (bitter ernst genommene) Realitäten sind.
Bis der spirituell nüchterner als der Rickman-Fan gestimmte Leser sich darauf eingestellt hat, so gut dies eben möglich ist, vergeht eine Weile. Dieser Prozess ist objektiv nicht unkompliziert, denn Merrily Watkins lebt in keinem fantastischen Paralleluniversum. Hereford stellt ein fiktives aber getreues Abbild der Realität dar, wie der Verfasser in einem Nachwort offenbart. Literarisch ist Hereford eine dieser im englischen Krimi beliebten Kleinstädte, in denen die große Welt sich überschaubar widerspiegelt. Hinter vornehmen Fassaden spielt sich interessant Böses und Unanständiges ab, und als Pfarrersfrau ist Merrily in der idealen Position, sich überall dort Zutritt zu verschaffen, wo sich gerade solches plus Kriminelles abspielt.
Womit nicht (nur) das eifrige Mobbing und Intrigieren gemeint ist, dem sich Merrily ausgesetzt sieht. Dies gehört zu den zwischenmenschlichen Konflikten, mit denen moderne Kriminalromane auf Länge gebracht werden: Emotionaler Seifenschaum ist leicht zu schlagen, und vor allem die weiblichen Leser scheinen süchtig nach ihm zu sein. Nein, hier geht es um Verbrechen, die primär übersinnlich daherkommen. Vorzeitlich gestimmte Heiden und Satanisten schleichen durch die Diözese Hereford, wo sie sich klischeegerecht finster verhalten, d. h. Kirchen schänden, Krähen killen sowie jene Menschenkinder umbringen, die ihnen auf die Schliche kommen, wenn sie zu schlechter Letzt Luzifer und seine Dämonen heraufbeschwören, die doch in dem aktuellen Geister-Getümmel definitiv überflüssig sind.
Viel Feind´, wenig Ehr´
Schon im ersten Roman ´ihrer´ Serie hatte Merrily privat und priesterlich viel um die Ohren. In Mittwinternacht mutiert sie zur Getriebenen. Der fesche Bischof sieht in ihr die ideale Geliebte, ein düpierter Kanoniker belegt sie mit einem Fluch, die Tochter gerät unter keltische Heiden und ist auch sonst eine altkluge Landplage, verknöcherte Chauvinisten nehmen sie in ihrem Job nicht ernst, ständig rufen von Geistern gepeinigte Pfarrkinder an, und schwenkt sie dann vor Ort eifrig Weihwasserwedel u. a. Exorzisten-Inventar, drehen ihr die Spukbolde die lange Nase und wollen partout nicht weichen.
Der nüchterne Leser (s. o.) verfolgt diese Prüfungen eine Weile, dann gibt er auf und nimmt es mit Humor. Schon Merrily selbst ist höchstens als Karikatur zu ertragen. Als solche passt sie auch viel besser in die groteske Welt, die Autor Rickman ihr schuf. Dort spielt sie eine erstaunlich passive Rolle. Merrily ist offensichtlich harmoniesüchtig, was übel ist in einer Dorfgemeinschaft, die vor allem aus selbstsüchtigen, boshaften und notorisch schwatzhaften Gesellen beiderlei Geschlechts besteht. Die gutgläubige Pfarrersfrau rennt in jedes offene Messer, schaut dabei verdutzt, legt sich erschöpft in ihr Bett und rappelt sich Minuten später wieder auf, weil der nächste undankbare Kunde sie anruft. Schnell möchte man diese rückgratarme Gutfrau tüchtig beuteln, auf dass sie endlich kontert, wie es ihre lästigen Bittsteller und Lästlinge verdienen: mit einem kräftigen Arschtritt!
Säusel, säusel …
Doch solche Anwandlungen überkommen nur diejenigen Leser, die immer noch nicht begriffen haben, dass Phil Rickman keine Geschichte erzählen, sondern nur plaudern möchte. Mittwinternacht ist ein "Lady-Thriller". Das Verbrechen und seine Aufklärung stehen nicht im Mittelpunkt, sondern sind exotisches Beiwerk. Wichtiger und offenbar aufregender sind die Expeditionen in seelische Untiefen. Sie werden ergänzt durch die genannten Ausflüge ins Übernatürliche, die ebenfalls Würze in ein Geschehen bringen, das auf diese Weise Spannung generiert, die der auf eine stringente Handlung geeichte Purist beim besten Willen nicht nachvollziehen kann.
Er findet sich schiffbrüchig auf einem Meer sinnfreien Gefasels und Geplappers, das sich um aufgebauschte Möchtegern-Problemchen und Als-ob-Aufregungen dreht. Fiebrig raunend deutet der Verfasser Enthüllungen an, die niemals kommen oder unter einem neuen Schwall beliebiger Nichtigkeiten erstickt werden. Dies gilt auch für den berühmten roten Faden, was Mittwinternacht zu einem Buch werden lässt, das man lesen kann, ohne sich um Kapitel oder Seitenzahlen zu kümmern: Die Ereignisse wabern konturlos vor sich hin, ohne konkret auf einen Höhepunkt hinzuführen.
Den gibt es zwar, doch er wird quasi pflichtschuldig geliefert. Die losen Fäden werden gepackt und grob zu einem finalen Knoten geschürzt. Mittwinternacht wird zum Dan-Brown-Gemunkel en miniature. In Hereford offenbart sich das Wirken einer Verschwörer-Gruppe, die mindestens seit der Eisenzeit aktiv ist und den heidnischen Naturglauben der Ahnen gegen die christlichen Emporkömmlinge verteidigt. Das wird vom Verfasser so bierernst und gleichzeitig ungeschickt in Szene gesetzt, dass sich nunmehr endgültig die Spreu (= diejenigen, die atemlos weitere Merrily-Watkins-Mystery-Thriller verschlingen werden) vom Weizen (= diejenigen, die genau dies fürderhin vermeiden werden) trennt. Dreimal darf geraten werden, welcher Gruppe dieser Rezensent sich anschließen wird ...
Phil Rickman, rororo
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