EisHerz

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2010
  • 2
  • Bergisch-Gladbach: Lübbe, 2010, Seiten: 461, Originalsprache
EisHerz
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Jürgen Priester
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2009

Amsterdam - Mailand - Las Vegas

Weite Wege muss Kommissar Bruno van Leeuwen von der Kripo Amsterdam in seinem neuen Fall zurücklegen, denn sein Gegner ist eine international operierende Menschenhändler-Bande. Junge Frauen aus den ehemaligen Ostblockstaaten werden mit falschen Versprechungen in den Westen gelockt, um sie dort unter Androhung und Anwendung von Gewalt zur Prostitution zu zwingen. Verbrechen verabscheuungswürdiger Grausamkeit, die in der Realität tagtäglich geschehen, die nur selten den Weg in die Schlagzeilen finden. In der aktuellen Kriminalliteratur ist diese moderne Form der Sklaverei ein angesagtes Thema, an dem sich schon viele Autoren mehr oder weniger sensibel versuchten. Claus Cornelius Fischers Version orientiert sich im wesentlichen an realitätsnahen Vorgaben. Er lässt seinen Commissaris tief in die Strukturen des organisierten Verbrechens eindringen.

Heiligabend in Amsterdam. Die blutjunge Prostituierte Sofia hat ein Date mit einem ihr unbekannten Freier. Aus ihren Gedanken geht hervor, dass sie alles andere als freiwillig ihrer Profession nachgeht und dass sie von den Unbekannten etwas erfahren will. Der auf den ersten Blick respektierlich wirkende Mann entpuppt sich als ausgemachter Psychopath, der Sofia brutal vergewaltigt und ermordet.

Nicht weit davon entfernt verbringt Kommissar Van Leeuwen den Heiligabend trübsinnig unter seinem Weihnachtsbaum. Im Frühjahr war seine Frau gestorben; nun versucht er, sich der Einsamkeit zu stellen. Das Telefon klingelt. Es meldet sich ein früherer Schulkamerad, der mittlerweile als Pfarrer auf dem Lande seelsorgerisch tätig ist. Auch er ist allein mit seinem Sohn. Er bittet den Kommissar ganz eindringlich um ein Gespräch unter vier Augen, irgendetwas sei mit seiner Tochter Rascha. Gedankenverloren dreht van Leeuwen noch eine Runde durchs verschneite Amsterdam, dabei wird er von einer Jugendbande brutal zusammengeschlagen. Er flüchtet in die tröstenden Arme seiner Geliebten, der Psychologin Feline Menardi. Am 2. Weihnachtsfeiertag machen sich die beiden auf, den notleidenden Landpfarrer zu besuchen. Unterwegs wird Van Leeuwen aus seinem Kommissariat darüber informiert, dass auf einer Amsterdamer Müllkippe die bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche einer jungen Frau gefunden wurde. Beim Pfarrer erfährt er, dass dessen Tochter schon vor einem dreiviertel Jahr von Zuhause ausgerissen ist und sich möglicherweise in Amsterdam aufhält. Zurück in seinem Revier sieht sich Van Leeuwen mit zwei Aufgaben konfrontiert. Muss er zum einen die Identität und den Hintergrund der Leiche von der Müllkippe aufklären und zum anderen um den Verbleib der Pfarrerstochter kümmern. Dass beide Fälle auf einen gemeinsamen Nenner zusammenlaufen werden, ahnt der versierte Leser, nur der Kommissar und seine Truppe tappen noch im Dunkeln.

 

Ihre Brüste, fest und zartblau geädert unter der Haut von hellem Oliv, hoben und senkten sich beim Trinken.

 

Ach, ja – seufzt der Rezensent voll des Neides. Commissaris Bruno van Leeuwen ist einer der vielen glücklichen, die Kriminalliteratur überschwemmenden, ältlichen Kommissare, Inspectors oder Privatdetektive, mit denen das Leben es nur gut meint, denen nach schwerem Schicksalsschlag eine zweite Chance in Gestalt einer wunderschönen, intelligenten, verständnisvollen jungen Frau begegnet. So viel Glück muss natürlich ausführlich besprochen werden. Doch wie viel Privates (v)erträgt ein Krimiplot? Nach Meinung des Rezensenten hat C.C. Fischer des Guten zu viel getan. Wie jeder Autor von Serienromanen steht er vor dem Dilemma, einerseits die Biographien seiner Dauerprotagonisten fortzuschreiben, andererseits für Neusteiger in die Serie Eckpunkte der Vergangenheit aufzuarbeiten. Der Autor widmet sich beidem sehr weitschweifig, was gerade in der ersten Hälfte des Romans dem Leser viel Geduld abverlangt. Seine Tändelei zu Anfang glaubt der Autor im Schlussdrittel wieder wettmachen zu müssen und schickt seinen Commissaris auf einen unglaub-(haften)lichen Alleingang durch die wie eine Matroschka-Puppe ineinander verschachtelte Phalanx des organisierten Menschenhandels. Van Leeuwen jagt die Drahtzieher der Mafia über Mailand bis nach Las Vegas, wo es dann zum finalen Showdown kommt.

Der vierte Teil der Reihe um den Commissaris Bruno van Leeuwen beginnt als solider "Police procedural", in dem die vielseitige Polizeiarbeit bei der Verbrechensbekämpfung geschildert wird. Van Leeuwen, der nicht nur Kommissar bei der Mordkommission ist, sondern auch noch (seltsamerweise) das Amt eines stellvertretenden Polizeichefs innehat, ist ein empathischer Vorgesetzter, der sich fast väterlich um die Belange seiner Untergebenen kümmert. Die Rolle als Actionheld und Undercover-Mann, die er im Verlaufe der Handlung überstreift, will nicht so recht zu ihm passen. Mit dem Schauplatzwechsel von Amsterdam nach Mailand geht ein atmosphärischer Bruch einher. Die fast familiäre Stimmung beim Einsatz in Amsterdam wird der planlosen Hektik eines Thrillers geopfert. Fast schon peinlich der Commissaris in der Rolle eines Porno-Händlers.

Ohne die Vorgänger-Romane zu kennen, lässt sich vermuten, dass Claus Cornelius Fischers Stärke im ruhig erzählten Kriminalroman liegt. Mit Amsterdam hat der Autor doch einen Schauplatz an der Hand, der ihm reichlich Stoff für verzwickte spannende Kriminalfälle bietet. Sagen wir doch (sehr) frei nach Goethe: "Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Böse liegt so nah!"

EisHerz

Claus Cornelius Fischer, Lübbe

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