Die Schöne und der Alligator
- Lichtenberg
- Erschienen: Januar 1999
- 1
- Rom: e/o, 1997, Titel: 'Il mistero di Mangiabarche', Seiten: 232, Originalsprache
- München: Lichtenberg, 1999, Seiten: 238, Übersetzt: Barbara Kleiner
- Frankfurt am Main: Scherz, 2003, Seiten: 253
Eine Mischung aus Comic-Strip, James Bond und Sergio Leone
"I smell a rat in my house!" (Buddy Guy)
Das ist der zweite Krimi mit Marco Buratti, dem "Alligator". Gegen Ende des ersten Buches, Die Wahrheit des Alligators, hat ein Musiker aus Cagliari Kontakt zu ihm aufgenommen und eine seltene Blues - Platte als Geschenk überreicht, von jemandem, der ihn engagieren will. Im Zuge der Ermittlungen in seinem letzten Fall war Buratti gezwungen, Padua zu verlassen und mit seinem Partner Benjamino Rossini in Korsika untergetaucht. Er war bereit, den Auftrag zu übernehmen.
Buratti arbeitet gewöhnlich als Privatdetektiv ohne Lizenz, für Leute, die Kontakte zur Unterwelt brauchen. Er selbst kennt dieses Milieu, da er als Opfer eines Justizirrtums sieben Jahre in Haft war. Er hat sich im Bereich der organisierten Kriminalität als Vermittler einen hervorragenden Ruf geschaffen. Er kennt Rossini aus dieser Zeit und hat ihm einst das Leben gerettet.
Der Auftraggeber aus Sardinien ist Rechtsanwalt Genesio Columbu. Er vertritt drei andere Anwälte, die vor zehn Jahren in einem sehr dubiosen Prozess wegen Mord und Drogenhandel angeklagt wurden und zwei Jahre in Untersuchungshaft verbrachten. Der Ermordete hieß Giampolo Siddi, doch jemand hat ihn vor kurzem äußerst lebendig wiedererkannt. Die Anwälte wollen wissen, ob Siddi noch am Leben ist, weshalb sie in diese Geschichte hineingezogen wurden und wer ihnen diesen üblen Streich gespielt hat.
Genesio Columbu berichtet Buratti, dass Siddi vor zehn Jahren spurlos verschwunden ist. Der letzte Klient, mit dem er es zu tun hatte, war der Belgier Leon Benoit, ein ehemaliger Leutnant auf dem NATO -Stützpunkt von Decimomannu, jetzt Besitzer eines Supermarktes in Cagliari. Weiters ging Siddi seinem Beruf als Anwalt nur ziemlich sporadisch nach und widmete sich lieber undurchsichtigen Geschäften. Neben Wucher, Bestechung und Schwarzhandel gibt es auch Verbindungen zu einem Drogenhändlerring, der angeblich von deutschen Militärs auf der NATO - Basis beliefert und von bisher unbekannten Anwälten geführt wird. In der Stadt hat niemand Zweifel: Das Verschwinden Siddis steht im Zusammenhang mit seinen Geschäften auf dem NATO - Stützpunkt.
Für seine Ermittlungen holt sich Buratti wieder Benjamino Rossini, den alten Mafioso und Spezialist für brenzlige Situationen als Partner und diesmal, da beide in Sardinien fremd sind, auch für die Unterstützung vor Ort den Sarden Marlon Brundu, der tatsächlich ein Marlon Brando - Verschnitt ist, mit entsprechendem Motorrad.
Gemeinsam finden sie zunächst Siddis Geliebte und bei ihr auch ein geheimnisvolles Buch: "Die Geschichte des französischen Filmes", welches im Laufe der Handlung zunehmend entscheidende Bedeutung gewinnen wird.
Sie stoßen auf Leon Benoit, überfallen einen Supermarkt, werden beinahe von deutschen Soldaten massakriert, dabei verletzt sich Buratti und verbringt einige Zeit in einer Kleintierklinik. Eine schöne Frau taucht auf und verführt den Alligator, der sich schwer in sie verliebt, doch die Sache ist äußerst gefährlich. Verschiedene Personen werden ermordet, der Geheimdienst kommt ins Spiel, ein korrupter Bulle hilft weiter. Ein Killer treibt sein Spiel mit Buratti, die korsische militante Unabhängigkeitsbewegung tritt auf den Plan, ebenso Blutrache, Folter und Menschenjagd. Doch erst ein alter Film über Napoleon und das geheimnisvolle Wort "Mangiabarche" führen die beiden Ermittler auf die richtige Spur ...
Im Vergleich zum ersten Alligator-Krimi hat Massimo Carlotto offenbar selbstkritisch dazugelernt. Vieles, so muss man konstatieren, ist besser gelungen: Die Personen sind durchwegs lebendiger, farbiger und konturenreicher dargestellt, die Diskrepanz zwischen Sprache und Milieu ist großteils aufgehoben. Gelegentlich gibt es humorvolle Einlagen, und auch äußerst phantasievolle, wie zum Beispiel die Szene, in der sie einem guten Freund vor dem Haus seiner Mutter auf sehr originelle Art die letzte Ehre erweisen. Doch Carlotto scheut sich auch diesmal nicht, manche Szenen in realistisch - brutaler Weise zu schildern. Gleich zu Beginn erleben wir eine Vendetta, die an Brutalität und Zynismus nichts zu wünschen übrig lässt.
In diesem Buch gibt es keine Leerläufe, das Tempo ist durchwegs rasant, der Autor vermeidet Beschreibungen von Landschaft, Atmosphäre und - Gott sei Dank - Kochrezepten aus Sardinien.
Die Kleidung des Alligators ist bemerkenswert: Python-Stiefel, alte Jeans, violettes Rohseidehemd, amerikanische Fliegerjacke mit synthetischem Pelzkragen, großer Ohrring links.
Oder Rossini: Langer, kamelhaarfarbener Mantel, blauer Nadelstreifanzug, schwarzweiße Schuhe. Kein Wunder, dass der Anwalt Columbu die Beiden zunächst höflich auffordert, ihr Äußeres zu ändern.
Das Duo ist recht gut gelungen: Buratti ist melancholisch, launisch, arbeitet eher gefühlsbetont, intuitiv, aus dem Bauch heraus, liest mehr zwischen den Zeilen. Rossini ist der Mafioso alter Schule. Unglaublich präzise, kennt keine Angst, stellt Ehre über alles, ist bei jeder Aktion immer auf den finalen Höhepunkt konzentriert.
Burattis Liebe zum Blues wirkt nicht mehr wie früher etwas aufgesetzt, sondern integriert in seine Persönlichkeit und in die Handlung. Carlotto erweist sich für mich als wirklicher Kenner der Bluesszene mit erstaunlichem musikalischen Einfühlungsvermögen.
Natürlich ist das Ganze wieder eine Mischung aus Comic-Strip, James Bond und Sergio Leone. Kitsch, Heldentum, melancholische Besoffenheit, Altmänner - Mafiaehre, ein bisschen was von Superman, Marlon Brando, "Q", Mike Hammer oder Telly Savallas. Und das ist gut so. Ich weiß nicht genau warum, aber ich mag dieses Buch. Punktum. Maybe it´s only the Blues ...
Massimo Carlotto, Lichtenberg
Deine Meinung zu »Die Schöne und der Alligator«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!