Unterm Kirschbaum
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2009
- 5
- Meßkirch: Gmeiner, 2009, Seiten: 230, Originalsprache
Wenn man Kirschen mit Birnen verwechselt
Horst Bosetzky hält Theodor Fontane für "den Vater des deutschen Kriminalromans". Das sind überraschende Meriten für einen Mann, der zwar einige Kriminalerzählungen, aber keinen einzigen Kriminalroman geschrieben hat. Sogar ein Buch hat Bosetzky zu seiner These verfasst ("Mord und Totschlag bei Fontane"), in dem er mit seinem Vorbild munter in einen Dialog tritt. An der Unsinnigkeit der These ändert dies freilich nichts; und ob Fontane nach "Unterm Kirschbaum" noch einmal mit Bosetzky reden würde wie haben da unsere begründeten Zweifel.
Denn "Unterm Kirschbaum" will nichts Geringeres sein als eine Art moderne Fassung von Fontanes klassischer Kriminalerzählung "Unterm Birnbaum" (1885). Das Ganze ist in eine schlichte Rahmenhandlung eingebetet. Der pensionierte Kommissar Mannhardt, der nebenbei als Unidozent arbeitet, besichtigt mit seinen Studenten die Strafanstalt Berlin-Tegel. Dies nutzt der dort wegen Mordes am Ehemann seiner Geliebten inhaftierte Karsten Klütz, ein ehemaliger Fußballprofi, und steckt dem Ex-Kriminalisten einen Zettel zu. Er habe die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen, Mannhardt möge den Fall noch einmal aufrollen. Und Mannhardt rollt. Doch bevor er dies gemeinsam mit seinem Enkel tun kann, rollt auch Bosetzky mächtig auf, Fontanes Erzählung nämlich.
Das könnte irgendwie alles ganz nett sein. Ein "Unterm Birnbaum"-Remake was Hollywood kann, traut sich Bosetzky schon lange zu. Aus dem Fontane'schen Gasthaus wird ein In-Fresstempel, das Personal behält weitestgehend Namen und Professionen bei, auch die Motivlage für den Mord bleibt gleich. Der Gläubiger drängt auf Rückzahlung der Schulden, der Schuldner beseitigt den Gläubiger. Doch ach, zwei Dinge aus Fontanes Repertoire verwendet Bosetzky nicht. Der Meister aus der Mark Brandenburg nämlich konnte schreiben, ziemlich gut sogar; ein Talent, mit dem Bosetzky schon zu Zeiten, da er sich "-ky" abkürzte, nicht gerade hausieren ging. Auch besaß Fontane einen durchaus speziellen Humor, während sich sein selbsternannter Nachfahre mit munterer Kalauerei und gelegentlichen Witzischkeiten zur Lage der Nation über Wasser halten muss.
So verwandelt Bosetzky über ca. 150 der insgesamt 230 Seiten ein tatsächlich gelungenes Werk deutscher Erzählkunst in eine ebenso neckische wie seicht dahingeplauderte Mordgeschichte, der vor allem eines fehlt: Spannung jeglicher Art. Ein ideales Buch für Leser, die partout Literatur mit Bosetzkyschen Fresstempeln verwechseln, in denen das Menü weichgekocht und vorgekaut serviert wird, nicht mehr verdaut werden muss, sondern nach Verzehr umgehend ausgeschieden werden kann. Mannhardt und Enkel erkennen natürlich sofort, dass der aktuelle Mord fast genau so schon von Fontane beschrieben worden ist. Alles weitere ist folglich Routine, muss man doch nur das Ende der literarischen Vorlage lesen, um das Verbrechen aufzuklären. Die Polizei in Gestalt eines unglaublich witzigen Beamten und seines beständig an der Frührente arbeitenden Kollegen hat selbstredend keine Ahnung und macht alles falsch. Die übrigen durch die Handlung gescheuchten Figuren sind von charakterlicher Beliebigkeit und werden zu willenlosen Opfern von des Autors schnörkellos in die Belanglosigkeit driftender Plauderei.
Eines Gutes hat "Unterm Kirschbaum" ja vielleicht: Man bekommt wieder Lust auf souveräne Erzählkunst, sprich: auf Fontane und seine Birnbaum-Geschichte. Die so ziemlich das Gegenteil von Bosetzkys Kirschbaumabklatsch ist, also lesenswert.
Horst Bosetzky, Gmeiner
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