Das Buch der Lügen
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2009
- 7
- New York, London: Grand Central, 2008, Titel: 'The Book of Lies', Seiten: 400, Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009, Seiten: 447, Übersetzt: Susanne Goga-Klinkenberg und Ulrike Thiesmeyer
Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Ist es ein gutes Buch? Nein, es ist ein Kasperle im Supermankostüm
Es gibt Bücher, da reicht ein Wort, um sie zu beschreiben. Brad Meltzers Das Buch der Lügen ist so ein Werk. Und das treffende Wort ist: Humbug.
Als seine Mutter stirbt, ist Calvin Harper neun Jahre alt. Eine bipolare Störung, ein Glas Mayonnaise, ein Schubser, ein Junge, der zur Salzsäule erstarrt, und ein Vater, der einen Moment der Unbeherrschtheit mit neun Jahren Gefängnis bezahlt. Eigentlich eher ein Unfall, macht sich Calvin Vorwürfe, dass er seine Mutter nicht vor dem tödlichen Sturz bewahrt hat. Resultierend daraus, bricht der Kontakt zu seinem verurteilten Vater ab. Neunzehn Jahre dauert es, bis Cal ihn wiedersieht. Als angeschossenes Opfer inmitten eines Parks. Getroffen von einer Kugel, die aus demselben Revolver stammt, aus dem der tödliche Schuss auf einen gewissen Mitchell Siegel abgegeben wurde, dem Vater des Superman-Erfinders Jerry Siegel. Der 1932 begangene Mord blieb unaufgeklärt und die Tatwaffe verschwunden. Bis jetzt...
Es dauert nicht lange bis Cal, sein Vater und dessen spirituelle Freundin Serena zu den meistgesuchten Menschen Amerikas gehören. Doch sie sind nicht nur auf dem Radar von Polizei, Zoll und FBI, sondern werden von einem fanatischen Handlanger der Thule-Gesellschaft verfolgt, der sich als rechtmäßigen Erben des ersten Mörders den Menschheitsgeschichte sieht. Ein Nachfahre Kains, der sich unter dem besonderen Schutz Gottes wähnt, und kaltblütig Morde begeht, um das zu erlangen, was der Thule Gesellschaft so sehr am Herzen liegt: Das Buch der Lügen (oder der Wahrheit), welches zu unbeschreiblicher Macht verhelfen soll. Kleines Handicap: es muss erst gefunden werden. Etwas schwierig, weil anscheinend niemand genau weiß, wie das Buch aussieht, noch was sein genauer Inhalt ist. Nur eins kristallisiert sich bald heraus; es muss etwas mit Jerry Siegel, dem Mord an seinem Vater und der ersten Inkarnation Supermans zu tun haben.
Schnitzeljagden sind nicht erst seit Dan Brown beliebt. Bevor sie die Literatur heimsuchten, rannte man Papierfetzen nach, die, einen genauen Blick vorausgesetzt, am Ende zu einem gezielt versteckten Schatz in Form einer Kiste mit Süßigkeiten oder ähnlichem Krimskrams führte.
Wesentlich ertragreicher, als sich mit der Hetzjagd durch halb Amerika zu beschäftigen, auf die Brad Meltzer seine Protagonisten schickt. Da wird wieder gerannt, gerettet und geflüchtet, als ob es noch nie zuvor geschehen wäre. Diesmal sind Miami, Fort Lauderdale, die Alligator Alley nebenan und Cleveland, wo sich das (reale) Geburtshaus Jerry Siegels befindet, die Orte, in denen sich die atemlose Handlung abspielt. Ist aber auch egal, denn bis auf Cleveland bleiben sämtliche Plätze charakterlos, sind lediglich Staffage für das seltsame Treiben von Verfolgern und Verfolgten. Warum da wer hinter wem her ist, wird zwar ständig beratschlagt, aber deutlich wird es niemals. Welches Geheimnis dieses ominöse Buch der Lügen, respektive der Wahrheit, preisgibt, bleibt im Vagen. Die äußerst banale Entschlüsselung am Ende des Romans kann es eigentlich nicht sein, denn dafür würde der böse Fred dem lieben Barney nicht mal den Sandkuchen platt hauen; geschweige denn die Thule-Gesellschaft blindwütig agierende Mordgesellen auf den Plan rufen. Solch sinnlose Aktionen beschleunigen lediglich den eigenen Untergang. Und das hat sich vereinzelt bis in fanatische Keimzellen herum gesprochen, vor allem, wenn sie von vorgeblichen Geistesmenschen geleitet werden.
Meltzers Buch ist ein Konglomerat aus Historie und Fiktion von haarsträubender Zusammenhanglosigkeit, das mit seinen grafischen Mätzchen im Rätselteil, gar in Richtung eines altbackenen Action-Adventures schielt.
Es besteht kein Grund – außer auf das verfallende Elternhaus Jerry Siegels hinzuweisen, für dessen Erhalt im Nachwort um Spenden gebeten wird – die biblische Kainsgeschichte mit der Entstehung von Superman und der persönlichen Tragödie Cal Harpers zu verbinden. Selbst der Tod Mitchell Siegels reiht sich in diese gedankliche Unentschlossenheit ein. In der Realität konnte anscheinend nicht geklärt werden, ob Siegel an einer Kugel oder einem Herzinfarkt starb. Ein Fakt, auf den Meltzer in der Fiktion eingeht. Natürlich entscheidet er sich für die Mordversion, was völlig okay ist; aber die Herzgeschichte herzlich überflüssig werden lässt. Wenn eine Mordwaffe existiert, eine selbst in den 30ern nachweisbare tödliche Wunde und sogar eine Kugel, dann ist es ziemlich albern, sich Gedanken über ein mögliches Herzversagen zu machen. Aber das ist eine unausgegorene Kleinigkeit am Rand – von denen es allerdings etliche gibt (in Meltzers Roman können bspw. frisch angeschossene Senioren herumhüpfen wie gedopte Kaninchen). Das komplette Geschehen schaukelt im luftleeren Raum, ergibt nicht mehr als ein zwischenzeitlich hyperaktives Gehampele von Kasper, Seppel und der Gretel, die mit Wonne an sich selbst rumspielen, um schließlich ertappt dem Krokodil die Schuld zu geben, das nur entrüstet erwidern kann: "Ich war es diesmal wirklich nicht!"
Das Buch der Lügen ist eine inhaltsarme Behauptung, die wichtig klingen möchte und doch nur eine kurzatmige Hatz nach dem silbernen Nixelchen ist.
Humbug halt.
Brad Meltzer, Rowohlt
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