Das Haus auf halber Strecke
- Scherz
- Erschienen: Januar 1960
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- New York: Frederick A. Stokes Company, 1936, Titel: 'Halfway house: A problem in deduction', Seiten: 309, Originalsprache
- Bern / München / Wien: Scherz, 1960, Seiten: 191, Übersetzt: Karl Hellwig
- München: Heyne, 1965, Titel: 'Auf halbem Weg', Seiten: 155, Übersetzt: Walter Brumm
- Bern; München; Wien: Scherz, 1972, Seiten: 175, Übersetzt: Karl Hellwig
- Frankfurt am Main; Berlin; Ullstein: Ullstein, 1977, Titel: 'Die Dame mit dem Schleier', Seiten: 125, Übersetzt: Werner Illing
- Bern; München; Wien: Scherz, 1978, Seiten: 154, Übersetzt: Karl Hellwig
- München: Heyne, 1987, Titel: 'Der Schrei am Fluss', Seiten: 254, Übersetzt: Ingeborg Mayer-Salm
Zwei Leben – ein Mord
Auf halbem Weg zwischen New York City und Philadelphia liegt Trenton, Hauptstadt des US-Staates New Jersey. Hier trifft Privatdetektiv Ellery Queen auf der Durchreise einen alten Freund. William Angell ist ein erfolgreicher Anwalt, den derzeit privater Kummer plagt. Seine Schwester Lucy ist seit zehn Jahren mit dem Handlungsreisenden Joseph Wilson verheiratet, der seine Gattin offensichtlich vernachlässigt. Just hat Wilson seinen Schwager in ein einsam gelegenes Haus am Fluss gebeten, wo er sich mit Angell aussprechen möchte.
Als dieser dort eintrifft, findet er Wilson sterbend im Inneren – eine verschleierte Frau habe ihn erstochen, kann dieser nur noch röcheln. Angell bittet Ellery Queen um Hilfe. Gemeinsam mit Polizeiinspektor De Jong, der den Fall offiziell übernimmt, untersucht der Detektiv das seltsame Haus, das einerseits halb zerfallen und andererseits mit hochwertigen Möbeln eingerichtet ist. Im Schrank hängen maßgeschneiderte Anzüge, im Bootshaus ankert ein Segelboot.
Kurz nach Wilsons Tod taucht eine zweite trauernde Witwe am Schauplatz des Mordes auf. Jessica Gimball gehört zur High Society von New York, und Joe stand ihr als Gatte seit acht Jahren zur Seite! Er hat sogar eine Lebensversicherung zu ihren Gunsten abgeschlossen. Stolze 1 Mio. Dollar soll sie im Falle seines Todes erhalten!
Allerdings hat Wilson/Gimball dies kürzlich geändert: Lucy wird nun erben – wenn sie denn kann, weil sie plötzlich zur Hauptverdächtigen avanciert. Wieder einmal bleibt es Ellery Queen überlassen, die dürftigen Indizien so zu interpretieren, dass sie die überraschende Wahrheit preisgeben …
Indizienrätsel sind nicht alles
1936 steht Ellery Queen an einem Scheideweg. Das betrifft den Detektiv ebenso wie seine beiden geistigen Väter, die unter diesem Namen schreiben. Seit 1929 lassen sie Ellery trickreich eingefädelte Mordrätsel lösen. Es entstand eine Reihe lupenreiner "Whodunits" der Sonderklasse, die den Leser ausdrücklich zum Wettbewerb mit dem ermittelnden Detektiv einladen: Wer wird den Täter früher entlarven? Die Beweise liegen vor, nichts wird verschleiert, das ´Spiel´ ist fair.
Doch inzwischen befindet sich der klassische "Whodunit" auf dem absteigenden Ast. Er wird niemals verschwinden und sich letztlich behaupten, aber er wird von einem ´moderneren´ Krimi zur Seite gedrängt, der seinen Lesern nicht nur Spannung, sondern auch psychologische Tiefe bietet. Ellery Queen und die Personen, die in ´seinen´ Fällen auftraten, glichen bisher Schachfiguren, die sich auf ihrem Brett ein möglichst spannendes Spiel lieferten. Die ´menschliche´ Seite des Verbrechens blieb dabei sekundär; kam sie zum Tragen, blieb sie Reaktion auf das Geschehen.
Mit "Halfway House" betreten die Queens Neuland. Zwar bietet der Mord an Joseph Wilson alias Gimball die bekannten, geliebten, komplizierten Mysterien, doch ihm gleichberechtigt zur Seite tritt die Beschäftigung mit dem emotionalen Auslöser der Tat. Das Mordrätsel ist nicht mehr Selbstzweck, sondern logische Folge. Das verschafft dem ´typischen´ Queen-Krimi eine neue Dimension.
Versuch macht klug
Allerdings zeigen sich die Autoren (noch) recht ungeschickt in ihrem Bemühen. Die detailfrohe Deutung scheinbar bedeutungsloser Indizien zelebrieren sie im großen Finale mit der bekannten Meisterschaft. Demgegenüber fallen die Ausflüge in die Tiefen der menschlichen Seele ungelenk aus.
Ein Mord erzeugt zweifellos große Gefühle. Die Queens werden bei dem Versuch, diese darzustellen, sehr theatralisch. Zudem fällt es dem heutigen Leser schwer, bestimmte Reaktionen nachzuvollziehen. Während das Lösen eines Kriminalfalls vergleichsweise zeitlosen Techniken und Praktiken folgt, unterliegen Emotionen und Reaktionen kulturhistorischen Veränderungen. Ehrbare Frauen fallen heute nicht mehr in Ohnmacht, wenn sie sich bedrängt fühlen. Sie werden auch nicht mehr in Acht & Bann getan, wenn sie einem Bigamisten auf den Leim gegangen sind. Ein gesellschaftlicher Kodex existiert zwar noch, aber er ist stärker der Gegenwart angeglichen und modifiziert worden. Die schiere Verzweiflung, mit der sowohl die Wilsons als auch die Gimballs den "Skandal" sogar mit kriminellen Methoden zu vertuschen suchen, findet der Leser des 21. Jahrhunderts übertrieben.
Letztlich zeigt sich, dass die Queens mit "Halfway House" besser auf bekannten Pfaden geblieben wären. Gerade die ´modernen´ Elemente bekommen dem ansonsten gut gealterten Werk gar nicht. Dass es den Verfassern möglich ist, ihr Publikum über mehrere Seiten mit der Interpretation abgebrannter Zündhölzer zu fesseln, während das ewige Gejammer psychisch labiler Frauen und die erregten Proteste notorisch ritterlicher Männer nerven, spricht eine deutliche Sprache. (Ursprünglich sollte "Halfway House" übrigens den Titel "The Swedish Match Mystery" tragen und hätte damit an die früheren Queen-Krimis angeschlossen.)
Ein Detektiv wird neu definiert
Bemerkenswert gut entkommt Ellery Queen, der Detektiv, diesem Dilemma. 1929 betrat er die Szene als unerhörter Stutzer; nicht nur im Geiste war er eine Kopie des snobistischen Philo Vance, mit dem S. S. van Dine zu dieser Zeit auf kriminalliterarischem Erfolgskurs segelte. Im Auftreten wurde Ellery bald selbstständiger und vor allem lockerer; er war neugierig und flexibel, passte sich allen Gesellschaftsschichten an und fand sich sowohl in der Stadt als auch in der tiefsten Provinz zurecht.
Weiterhin ließ Ellery sich jedoch nur oberflächlich auf die Menschen ein, mit denen er es zu tun bekam. Er blieb lieber unverbindlich; ein Beobachter, der sich bedingt dessen bewusst war, was er mit seinen Nachforschungen auslöste. Das ändert sich in Das Haus auf halber Strecke und wird sich in den nächsten Romanen der Serie noch gravierender entwickeln. Ellery wird ´menschlicher´, während seine Fälle weniger komplex geraten.
Diese Metamorphose ist nicht nur dem allgemein veränderten Publikumsgeschmack geschuldet. Bevor ein neues Ellery-Queen-Abenteuer in Buchform veröffentlicht wurde, erschien es als Fortsetzungsroman in zeitgenössischen Zeitschriften. Aufgrund der enormen Auflagen stellten diese Magazine eine interessante und lukrative Einnahmequelle dar. Die Queens – gemeint ist das Autorenduo – waren Profis; auf ´Anregungen´ ihrer Kunden gingen sie deshalb ein. In den 1930er Jahren zeigten sich Frauenmagazine wie "Cosmopolitan" besonders interessiert an Queen-Krimis. Deren Herausgeber forderten im Namen ihrer Leserinnen, den "human touch" zu verstärken.
Über die Folgen ließe sich ausgiebig diskutieren. Fakt bleibt immerhin – wie weiter oben erläutert – Fakt. Außerdem ist anzumerken, dass die Queens den Seifenoper-Schaum später durch echte Charakterzeichnungen ersetzen konnten, wenn sie denn wollten. (Leider wollten sie nicht immer, und dem ´verdanken´ wir krude Lovestory-Krimis wie "The Dragon’s Teeth", dt. "Drachenzähne".) Das Haus auf halber Strecke ist – das Wortspiel bietet sich an – ein Roman, der auf halber Strecke zwischen Krimi und love story stecken blieb. Mit Rücksicht auf diese etwas unglückliche Begegnung lässt er sich zweifellos genießen.Ellery Queen, Scherz
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