Tödliches Solo
- Waxmann
- Erschienen: Januar 2009
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- Münster; New York; München; Berlin: Waxmann, 2009, Seiten: 270, Originalsprache, Bemerkung: Waxmann schwarze Serie
Leider nur ein Vakuum
Jeder halbwegs an Musik interessierte Münsteraner dürfte "Die Zwillinge und die Blechgang" kennen. Ob Stadtfest oder kulturelles Kneipen-Event, der mal mehr, mal weniger jazzig angehauchte deutsche Gute-Laune-Pop-Rock lässt sich bei vielen Gelegenheiten Live erleben. Aushängeschild sind die Zwillinge Gerd und Richard "Ritski" Bracht. Richard spielt Saxophon und singt gelegentlich, während Gerd den Bass zupft und häufig am Mikrofon steht. Das reicht ihm anscheinend nicht als künstlerische Betätigung. Deshalb entschloss sich Gerd Bracht, gemeinsam mit Gattin Brigitte, ein Buch zu schreiben. Aber nicht irgendeins, nein, ein Krimi sollte es sein. Laut Online Stadtmagazin echo-muenster.de "hatte er mehrere Schmöker aus dem Krimi-Genre studiert, sich während der Lektüre stets überlegt: das kannst du auch."
Genau da liegt der Hase im Pfeffer: ganz so einfach wie Herr Bracht sich das vorstellt, ist das Krimi-Schreiben nämlich nicht. Das Verfassen von Grimmis hingegen schon...
Doch auf Anfang.
Während eines Auftritts, den die Schülercombo Hi-You-There 1967 als Support für die angesagten Bands The Equals und Creation bestreitet, wird die 17jährige Simone Herlitzius mit einem Mikrofonstativ erschlagen. Dass dies der Auftakt einer Mordserie ist, die sich bis ins Jahr 2005 zieht, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Knapp zwanzig Jahre später hat der Französisch- und Sportlehrer Heiner De la Croix (geborener Müllers) während einer Ski-Freizeit eine launige Liebesnacht mit dem Objekt seiner Begierde, der verheirateten Anna Hindemith, adoptierte Rosinsky; ihres Zeichens ebenfalls Lehrerin. Nummer 68 in seiner Kladde der beiläufigen Eroberungen und doch etwas besonderes. Erinnert Anna ihn – nicht ohne Grund - an seine große Liebe Jocelyn Perrier, die dem Schüler "Brösel-Heiner" Musik und L’amour näher brachte, bevor sie in ihrem kleinen Häuschen im Saarland unter mysteriösen Umständen verbrannte.
In den folgenden Jahrzehnten wird er Anna erst verlieren, dann wiederfinden und seinem Hang zu One Night Stands adieu sagen. Leider lässt er außer acht, dass Annas Gatte, der blasse Stadtangestellte und fanatische Jazzliebhaber Thomas Hindemith gelegentlich finstere Pläne schmiedet.
Mittendrin die Zwillinge Bracht, vor allem der gelegentliche Ich-Erzähler Gerd, die es schaffen bei fast jedem tödlichen Zwischenfall in der Nähe zu sein. Abenteuerlich. Oder einfach nur von einer erstaunlichen Unglaubwürdigkeit. Wie vieles andere auch.
Zunächst lässt sich Tödliches Solo ganz gut an. Die ironische Mischung aus juveniler Begeisterung für das Musikerleben und der beschwerlichen Allianz mit dem täglichen Allerlei ist durchaus lesenswert und auch die Verbindung zum ersten Mord wird einigermaßen geschickt gezogen.
Obwohl schon hier durchschlägt, was im weiteren Verlauf unangenehme Penetranz gewinnt: Hi-You-There sind natürlich die "beste Schülerband der Welt", genau wie die im "Le Midi" auftretenden Unisono "die beste Rentnerband der Welt" sind. Getoppt wird das durch "Die Zwillinge und die Blechgang", die die beste Band der – na was wohl? – Welt sind. Das mag zu Beginn im pubertären Überschwang halbwegs witzig gemeint sein, im weiteren Verlauf nervt die konstante Selbstbeweihräucherung nur noch.
Spannender sind Heiner De la Croixs Tage und Abende auf der Pirsch allerdings auch nicht. So wurschtelt sich der Roman durch Schneeromanzen und Thomas Hindemiths sehr eigenwilligen Umgang mit Jazz vorwärts bis zum nächsten Mord, versucht Hintergründiges über seine Protagonisten auszusagen und bleibt im nichtigen Ungefähren stecken.
Die adoptierte Anna versucht herauszufinden, wer ihre wahre Familie ist. Natürlich dämmert es selbst dem unbedarftesten Leser bald, um wen es sich bei ihren beiden Schwestern handelt. Die leiblichen Eltern spielen keine Rolle für das Geschehen, also bleiben sie nahezu unerwähnt. Dass die vorgeführten Konstellationen und Zusammentreffen völlig an den Haaren herbeigezogen sind, das gesamte Universum sich quasi auf die realen Zwillinge und ein paar fiktive Freunde und Bekannte reduziert, ist Humbug erster Güte. Das läppische Konstrukt ist jederzeit durchschaubar und knarrt und ächzt, ob seiner berechenbaren Absurdität. Jedes Mal bevor der Leser einnickt wird der große Hammer rausgeholt und "Hau’ den Lukas" gespielt. So darf sich De la Croix gelegentlich in Straßenkämpfermanier austoben, ohne dass es irgendeine Bedeutung für die Entwicklung seiner Figur oder des Romans hat. Und wie aus dem traumatisierten jugendlichen Mörder aus dem Jahr 1967 ein planender und gewiefter Serienkiller wird, der am Ende geradezu in pseudomythische Hannibal Lecter-Sphären gehievt wird, erhält ebenfalls keine Begründung, außer, dass etwas "ultimativ Böses" in seinem Innern schlummert.
Scheinbar besser gelungen sind die Szenen mit Lokal-Kolorit, die Einblicke – vor allem - in Münsters Kultur- und Kneipenszene geben. Doch bleibt das meist ein oberflächlicher Streifzug wie ihn Stadtmagazine und Tageszeitungen ebenso bieten und für welche musikalischen Großtaten die Musiker aus dem Umfeld der Zwillinge bekannt sind, ist bestenfalls für Freunde und Fans von Interesse.
Ähnliches gilt für die ausführliche Kneipenwerbung. Wenn man wissen will, ob das "Le Midi" tatsächlich so ein toller Laden wie beschrieben ist, schaue man lieber im Internet, einem Restaurantführer oder vor Ort nach. Und im Vertrauen: ich habe schon gegenteilige Meinungen gehört, die von überzogenen Preisen und kleinen Portionen sprachen. Für eine mögliche qualitative Steigerung eines Kriminalromans ist das aber völlig ohne Belang.
Genau wie die immerhin teilweise amüsanten Betrachtungen zur Musik. Besonders was Hindemiths ausführliche Jazz-Elogen aus seinem Leben als imaginärer "Clubbesitzer" betrifft. Für derartige Erörterungen empfehle ich aber Tibor Kneifs unterhaltsames "Sachlexikon der Rockmusik", das immer mal wieder Neuauflagen erlebt; und in der Einschätzung der Werke des Mahavishnu Orchestras um John McLaughlin recht nahe bei Bracht/ Hindemith liegt.
Was bleibt also übrig? Ein in die Länge gezogener Roman, der ruhig dahin plätschert und gelegentlich von rüden Gewaltausbrüchen wachgerüttelt wird; in dem polizeiliche Ermittler nur ganz am Rande vorkommen – die aber solch unglaubliche Dinge herausfinden, das Heiner, damals noch Müllers, rund 35 Jahre zuvor mit 1,3 Promille im Auto unterwegs gewesen ist. Diese Erkenntnis wird aufbewahrt neben dem Karton mit den Haaren, die ebenfalls in den 60ern in die Asservatenkammer wanderten weil man damals schon ahnte, welche Bedeutung die DNA-Analyse in den Jahren um das Millennium gewinnen würde. Wir staunen ungläubig.
Sprachlich ist das Tödliche Solo gediegen, neigt zur Umständlichkeit und bietet Passagen, die mit leichter Verwunderung zur Kenntnis nehmen lassen, dass Co-Autorin Brigitte Bracht hauptberuflich Deutschlehrerin ist. Dem gebeutelten Rezensenten zieht es jedenfalls das Sprachzentrum zusammen, wenn er Passagen wie folgende liest: "Nach dem Öffnen der Toilettentür, was durch Drücken passierte, - ,poussez’ stand auf einem kleinen, runden, an der Tür angebrachten Aluminiumschildchen -, offenbarte sich dem Blick des eigentlich nur seine Notdurft verrichten wollenden Gastes eine Batterie von drei Pissoirs." Ein Graus für den eigentlich sich nur einen gut geschriebenen Krimi zu Gemüte führen wollenden Leser.
Tödliches Solo ist ein Muss bestenfalls für die oben bereits erwähnten Fans, Freunde und Verwandte der "Zwillinge", ein Kann für begeisterte Schnee-, Jazz- und Münsterliebhaber und ein Nicht für jeden, der auf einen lesenswerten Kriminalroman spekuliert.
Denn auch wenn Gerd Bracht glaubt, einen glaubwürdigen, nachhaltig wirkenden oder "bloß" spannenden "Schmöker aus dem Krimi-Genre" zu schreiben, sei eine einfache Sache, belegen er und seine Co-Autorin mit Tödliches Solo das Gegenteil.
Und man wünscht sich, er hätte einen ironischen, biographisch angehauchten Rock’n’ Roll-Roman ohne Hang zum Thriller geschrieben. Die ersten Kapitel zumindest zeigen, dass das hätte werden können, was Tödliches Solo nicht ist: ein rundum vergnügliches Werk
Bracht und Bracht, Waxmann
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