Haut
- Bantam Press
- Erschienen: Januar 2009
- 14
- London: Bantam Press, 2009, Titel: 'Skin', Seiten: 382, Originalsprache
- München: audio media, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Wolfram Koch
- Berlin: DAV, 2010, Seiten: 5, Übersetzt: Wolfram Koch
Sauerstoffmangel und keine Peilung - die große Leere
Die verschwundene Gattin eines Fußballers; Frauen, die sich unter Medikamenteneinfluss die Pulsadern aufschneiden, ein freundlicher Pädophilenkiller, ein merkwürdiger mystischer Schatten aus den Tiefen Tansanias, Tokoloshe genannt. Mittendrin Detective Inspector Jack Caffery und Polizeitaucherin Sergeant Phoebe "Flea" Marley, nicht verwandt oder verschwägert mit Bob.
Es gibt Bücher, die sind so schlecht, dass man sie nach wenigen Seiten bereits mit Wucht in die Ecke, oder über die anliegenden Hausdächer pfeffern möchte. Haut, der aktuelle "Psychothriller" Mo Hayders gehört dazu.
Schon der Der Vogelmann litt unter seinem hanebüchenen Ideengerüst (Psychopath pflanzt seinen Opfern kleine Flattermänner anstelle der Herzen ein. Das hätten sich nicht mal Jacob und Wilhelm Grimm getraut), und auch der vielerorts gelobte Die Behandlung ist in punkto Handlungsentwicklung und interner Logik ein schwachbrüstiger Kandidat seiner Zunft. Haut lässt beide Bücher locker hinter sich.
Da haben wir: Jack Caffery, wieder in Bristol unterwegs, bzw. um Bristol herum, immer noch den vor Jahrzehnten getöteten und verschwundenen Bruder im Nacken. Jetzt gesellt sich noch eine mythische Figur hinzu; der "Tokoloshe", den Caffery als Teil eines Verbrechens vermutet, das er nicht restlos aufklären konnte. Ohne zu viel zu verraten: diese läppische Kunstfigur entpuppt sich bald als ziemlich irdischer und verkrüppelter Erdenbürger, der Caffery sogar in brenzligen Situationen beisteht und ihm im Schlaf die Haare schneidet. Wie Caffery überhaupt von jedem hergelaufenen Sexspielzeugverkäufer überrumpelt, an den Eiern gezogen und verletzt wird; immer eine Hand am Schlagstock und darüber fluchend, dass er mal wieder seine Pistole irgendwo vergessen hat. Am Ende klärt sich alles in Wohlgefallen auf, weil Caffery wie besoffen durch die Gegend läuft, gelegentlich anhält und mitbekommt, was wichtig für die Geschichte ist. Die Rolle des belehrenden griechischen Chores übernimmt der "Walking Man", jener Seelenverwandte, der seine Tochter von einem widerwärtigen Pädophilen vergewaltigt und gemeuchelt sah, und diesen dann seiner irdischen, aber gerechten und nachhaltig schmerzhaften Strafe zuführte.
Übler als Caffery ist allerdings Taucherin Flea Marley dran. Der man, ob ihres strunzdummen Benehmens, einerseits den vorzeitigen Tod an den Hals wünscht, sie andererseits bemitleidet, in der Hand einer gnadenlosen Autorin gelandet zu sein, die die arme Tauchschnepfe bis auf’s Blut malträtieren will.
Denn Flea hat nicht nur mit Luftknappheit und Halluzinationen unter Wasser zu kämpfen, sondern auch mit einer Leiche im Kofferraum ihres Ford Focus. Umgefahren von ihrem unsympathischen und derangierten Bruder Thom, den Flea aus nur ihr begreifbaren Gründen schützen möchte. Weshalb sie ein Bündnis mit Thoms dominanter und ziemlich meschugger Freundin Mandy sucht, was natürlich voll in die Hose geht. Na gut, so unerfindlich sind die Gründe des Beschützens nicht. Die unsanft dahingeschiedenen Eltern fanden keinen rechten Zugang zum Brüderchen. Flea fühlt sich deshalb berufen, Mutterersatz zu spielen, damit die Verbindung zur gemeinschaftlichen Vergangenheit nicht abreißt. Wer jetzt denkt, der Lauser dankt es seiner Schwester, der irrt. Im Gegenteil: lässt er sie doch ins offene Fahrerfluchtmesser rennen; das sie selbst hilfsbereit erst aufgeklappt hat. Ganz schön böse, der Bursche.
Dass es sich bei jener Leiche, die Flea zwischenlagert und spazieren fährt, um jene semiprominente Fußballergattin handelt, die von der gesamten Polizei Bristols fieberhaft gesucht wird, stellt kein großes Hindernis dar. Würden die doch nicht mal ihre Socken bei grellem Tageslicht finden.
Am Ende hält die kleine Welt, die Hayder aufgebaut hat, nahezu unweigerlich ein Meeting mit sich selbst ab. Geht gar nicht anders. Schönheitsoperierte vorgebliche Suizidopfer und flitterige Fußballerfrauen finden sich alle im selben Steinbruch ein. Caffery guckt zu und ist zufrieden.
Ein Täter wird zwischendurch auch etabliert, doch dessen Motivation, ein Hautpuzzle aus möglichste vielen Teilen zu erstellen, wird nicht hinterfragt. Hauptsache Sensation und stockender Atem – Plausibilität oder nur ein Hauch Nachvollziehbarkeit sind uninteressant. Der Mann ist einer jener Instant-Psychopathen, die mittlerweile nicht mal mehr unglaubwürdig, sondern nur noch unendlich gelangweilt vorgestellt werden.
Hayder packt Schnipsel zusammen, gibt sie ihren Hauptfiguren mit auf den Weg durch unerfreuliche 382 Seiten, und schaut, ob am Ende irgendwas dabei heraus kommt. Tut es nicht.
Polizisten, die sich derart unprofessionell benehmen wie Flea Marley (dümmlich, hysterisch, planlos und nur von dem Glück beseelt, dass die restliche literarische Polizei noch blinder ist), oder ungezwungen und verpeilt wie Jack Caffery (komm’ ich heute nicht, komm’ ich morgen... vielleicht) durch die Landschaft huschen, gehören in halbwegs durchdachten Romanen auf die Straße gesetzt (Caffery), oder am nächsten Laternenpfahl aufgeknüpft (Flea).
Ein großes Rätsel hat Haut indes zu bieten: wie konnte solch ein unausgegorenes Konstrukt von Manuskript, je einen Lektor passieren und als druckreif abgesegnet werden?
Man könnte es natürlich auch folgendermaßen sehen:
In ihrem Roman Haut dekonstruiert Mo Hayder landläufige Erzählhaltungen bis auf ihr Gerüst. Es gibt keine glaubwürdigen Ermittler, geschweige denn Täter mehr. Hayder zentriert das Wesen des Schreibens auf eine bloße Behauptung: irgendetwas passiert, weil irgendetwas IST. Das ist existenzialistische Tiefe, die Leben und Poetik als Produkt eines Zufallsgenerators begreift, der sowohl blind wie taub und stumm gegenüber allem ist, was irgendeiner Logik oder Sinnhaftigkeit gehorchen würde. Leben IST... der Hohn und eine große, große Leere. Hayder hat’s raus.
Mo Hayder, Bantam Press
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