September Society

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 2009
  • 3
  • New York: Minotaur Books, 2008, Titel: 'September Society', Seiten: 310, Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2009, Titel: 'September Society', Seiten: 347, Übersetzt: Isabell Lorenz
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Michael Drewniok
60°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2009

Historische Verbrechen sind quicklebendig

Im Spätsommer des Jahres 1866 wird Privatermittler Charles Lenox aus London mit einem neuen Fall konfrontiert. Lady Annabelle Payson, Witwe eines in den Kolonien gefallenen Soldaten, vermisst George, ihren Sohn, der am Lincoln-College in Oxford studiert. Während ihres letzten Besuches hat er seine Mutter unter einem Vorwand verlassen und ist offenbar untergetaucht. In seinem Schlafzimmer fand die erschrockene Lady Annabelle Georges Katze – erdolcht mit einem Brieföffner des verstorbenen Vaters, der gleichzeitig ein Blatt Papier mit einer codierten Nachricht am Boden festnagelt.

Die Polizei möchte die Lady nicht alarmieren. Lenox ist selbst Spross einer alten und ehrenwerten Familie, als erfolgreicher und vor allem diskreter Detektiv bekannt. Umgehend macht er sich nach Oxford auf, um dort Georges Studentenwohnung als möglichen Tatort buchstäblich unter die Lupe zu nehmen. Dabei entdeckt er eine Karte, die auf eine September Society hinweist. Oxford ist reich an elitären Club und Verbindungen, aber Lenox, der noch vor fünf Jahren selbst hier studierte, ist diese Gesellschaft unbekannt.

Kurz darauf wird die Leiche von George Payson entdeckt; man hat ihn erdrosselt. In einer Tasche steckt erneut eine Karte der September Society. In London nimmt Lenox die Spur dieser Vereinigung auf, zu der sich vor zwei Jahrzehnten einige Soldaten zusammengetan haben, die im ostindischen Pandschab am Krieg gegen die Sikhs teilnahmen. Major Lysander, der Verwaltungsdirektor, weist jegliches Wissen um Paysons Ende zurück, aber Lenox ahnt, dass man ihn belügt. Allmählich deckt er die Umtriebe einer Gesellschaft auf, die aus guten Gründen die Öffentlichkeit scheut – und einen Detektiv, der ihren dunklen Geheimnissen auf die Spur kommt, ganz sicher nicht ungeschoren lassen wird …

Wir basteln uns einen Historienkrimi

Seit einigen Jahren ist der ´historische´ Kriminalroman in den Buchhandlungen zum Selbstläufer geworden. Die Vergangenheit wird zum Pendant exotischer Fremdländer, deren seltsame Sitten und die Abwesenheit moderner Selbstverständlichkeiten reizvoll das übliche Einerlei der Jagd auf Lumpen und Mörder würzen. Für die Verfasser (oder Produzenten) solcher Romane springt ein angenehmer Bonus heraus: Ihr Publikum akzeptiert nicht nur, dass "der Fall", der sonst im Zentrum eines Krimis steht, an den Rand des Geschehens gedrängt wird, sondern es erwartet sogar eine Handlung, die immer wieder stoppt, um stattdessen in historischen ´Fakten´ zu schwelgen.

Autor Finch hat einige Jahre in Oxford verbracht, die ihn deutlich geprägt haben. Die Geschichte der alten Universitätsstadt kennt er gut, und er teilt sein Wissen gern mit den Lesern, die sich dagegen höchstens wehren können, indem sie die entsprechenden Passagen überspringen. Oft bleibt keine andere Möglichkeit, da sonst die Gefahr besteht, den ohnehin dünnen roten Faden endgültig aus den Augen zu verlieren; Finches Anekdoten und Reminiszenzen mutieren gern zu wortreichen Abschweifungen, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben.

Weitere Denkarbeit kann sich ein Autor sparen, indem er den Detektiv in eine aufregende und aufreibende Liebesgeschichte verwickelt. Die daraus resultierenden Balz-Aktivitäten gehorchen relativ fixen Regeln, die sich quasi automatisch umsetzen und abspulen lassen. Den Beweis liefert Charles Finch mit dem sich stetig im Kreis drehenden und der Handlung aufgepfropften Drama um Lenox und seine künstlich komplizierte Liebe zur selbstverständlich schönen, aber zum Gefallen des modernen Publikums – und hier vor allem der weiblichen Leser – vor der Zeit emanzipierten Lady Jane.

Papierfiguren bluten nicht

Über die Polizeiarbeit des 19. Jahrhunderts gibt es wissenschaftliche Untersuchungen. Finch ignoriert sie weitgehend & wohlweislich, denn ein ausschließlich mit den Mitteln seiner Zeit im kriminellen Trüben fischender Detektiv böte nur den in der Geschichte bewanderten Spezialisten Unterhaltung. Die lesende Mehrheit zieht Ermittler vor, die zwar in der Vergangenheit leben, aber zumindest gefühlsmäßig wie Menschen der Gegenwart denken und handeln. Folgerichtig sind Lenox und erst recht Lady Jane glänzende Vorreiter einer Sozialgesellschaft, die 1866 realiter noch ein Jahrhundert auf sich warten ließ. Sie retten Waisen und trösten Witwen und liefern auch sonst manches Feigenblatt für historische Gegen- und Widerwärtigkeiten.

Selbstverständlich ist Lenox kein Chauvinist, sondern schätzt Lady Jane ob ihres Freidenkertums. Auf diese Weise erfreut Autor Finch jenen Teil der weiblichen Leserschaft, die eine Suche nach Mr. Right mindestens ebenso spannend findet wie die Schurkenjagd. Dabei hascht der Verfasser indes so auffällig nach dieser Zielgruppe, dass es den weniger romantisch gestimmten Leser arg ergrimmt. In die Handlung wird Lady Jane von Finch nie wirklich eingebunden. Lenox, der bis weit in die zweite Romanhälfte so offensichtlich ohne sie auskommt, könnte faktisch gänzlich auf ihre reifrockrauschende Anwesenheit verzichten.

Ein geschickter oder wenigstens routinierter Autor würde die Eindimensionalität seiner Figuren besser verbergen als Finch. Noch sehr jung an Jahren, versucht er sich an der Darstellung von Charakteren, die ihn durchschnittlich um ein Jahrzehnt an Alter und Lebenserfahrung übertreffen. Da gerät manches schematisch, da wirken die ausgiebig geschilderten persönlichen Konflikte flach und unglaubwürdig oder – nennen wir es beim Namen – angelesen.

Ein Wiedersehen ohne rechte Freude

Nein, auch im zweiten Band der seiner Serie strickt Charles Finch die Maschen der von ihm gestrickten Geschichte allzu locker. Der Plot ist schrecklich kompliziert und bedarf zahlreicher Zufälle. Trotzdem sorgt mancher Einfall für Kopfschütteln – wie fand George Payson in Vorbereitung seiner hastigen Flucht die Zeit für die aufwendige Inszenierung getürkter Indizien, die nicht raffiniert, sondern nur lächerlich wirkt? Die Story wird umständlich und mit gewaltigen Längen umgesetzt. Keine Erlösung bietet die Auflösung, was verziehen werden könnte, wäre der Weg dorthin unterhaltsamer. Stattdessen quält sich zumindest der puristische Krimifreund zunehmend unlustiger durch einen zähen Roman, der umfangreicher wirkt als er eigentlich ist.

September Society

Charles Finch, Bastei Lübbe

September Society

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