Der kalte Blick der Rache
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2008
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- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2009, Seiten: 347
- Bergisch Gladbach: Lübbe, 2008, Seiten: 347, Übersetzt: Katharina Schmidt
Maresciallo Bonanno rettet die etwas dünne Geschichte
Der kalte Blick der Rache ist ein gewöhnungsbedürftiges Werk, was vor allem an der Inhaltsangabe auf der Buchrückseite liegt. Demnach sorgt die Nachricht von einem Doppelmord an einem heimlichen Liebespaar für Aufruhr in Villabosco. Dies ist zwar nicht ganz falsch, allerdings sollte erwähnt werden, dass sich dieser Mord erst auf Seite 253 (!) "ereignet" und somit knapp hundert Seiten vor Schluss des Romans.
Maresciallo Bonanno ist wie immer leicht aufbrausend und das obwohl doch eine neue Liebesbeziehung vor ihm zu liegen scheint. Die Sozialarbeiterin Rosalia hat es ihm angetan, bleibt nur die Frage, warum eine attraktive Frau ausgerechnet den etwas unförmigen, um nicht zu sagen übergewichtigen Ermittler in ihr Herz schließen sollte. Doch wie es der Autor so will, kommen sich die Beiden näher, allerdings mit Hindernissen. So ist ausgerechnet am Abend des ersten Rendezvous das Abendessen noch nicht ganz verdaut als plötzlich in der Nähe ein Schuss fällt.
Schnell stellt sich heraus, dass Agatina Piditella auf ihren Ehemann Cristenzio Ficalora geschossen hat. Doch Ficalora teilt dem verdutzten Bonanno mit, dass sich der Schuss versehentlich beim Reinigen der Waffe gelöst habe. Die anschließenden Untersuchungen beweisen zwar, dass es sich um einen klaren Mordversuch gehalten haben muss, aber Piditella wie Ficalora bleiben bei ihren Aussagen. Bonanno sind die Hände gebunden, findet jedoch alsbald heraus, dass Ficalora eine heimliche Geliebte hat, womit zumindest das Motiv geklärt wäre. Rätselhaft bleibt indes, warum Ficalora seine Frau weiterhin entlastet.
Bonanno verdrängt den Fall da er genügend andere Probleme hat. Eine Reihe von Autodiebstählen, Drogenhandel an der Schule und nicht zuletzt mehrere vergiftete Hunde eines bekannten Tierschützers sorgen für reichlich Arbeit. Hinzu kommt der Dauerkonflikt mit Bürgermeister Prestoscendo der zu allem Unglück beabsichtigt, erneut zu kandidieren. Dann steht plötzlich ein neuer Capitano auf der Matte, von dem sich Bonanno eigentlich eine Entlastung bei den bürokratischen Arbeiten erhofft, jedoch verläuft die Zusammenarbeit mit dem bornierten Neuling alles andere als kollegial.
"Sehen Sie nicht, dass ich der Untersuchung der Leichen beiwohne?"
"Die sind mausetot, das wird der Doktor Ihnen gleich bestätigen, aber wenn Sie sich herablassen könnten, mir zuzuhören, ginge es schneller."
Zumindest auf seine Mitarbeiter kann sich Bonanno verlassen, der sich plötzlich aufgrund seiner nicht gerade üblichen Vorgehensweise mit einigen Anzeigen auseinandersetzen muss. Als es dann endlich zu dem bereits angekündigten Doppelmord kommt, steht die Hauptverdächtige schnell fest, doch natürlich hat die Piditella ein stichfestes Alibi…
Tja, wer die Vorgängerromane der Bonanno-Reihe kennt, der wird hier gerne zugreifen, vor allem, um Weiteres aus Bonannos Privatleben zu erfahren. Eine neue Liebe ist in Sicht, die Dispute mit Mutter Donna Alfonsina gehen munter weiter. Leider kommt der Doppelmord ein wenig spät, denn auf den wenigen verbleibenden Seiten kann der Autor natürlich kaum noch neue Verdächtige (bis dahin gibt es zwei) aufbauen. So geht es eigentlich nur noch um die Frage, wie die beiden Erzählstränge des Plots zusammenhängen. Denn neben der schon oben angerissenen Geschichte wird auch die traurige Geschichte von Mishna erzählt, einem kleinen Jungen aus Albanien, dessen Eltern unter dem Kosovokrieg und besonders unter den Serben leiden.
Nachdem beide Eltern auf unterschiedliche Weise zu Tode gekommen sind, macht sich Mishna auf den Weg zu seinem Onkel Jan, der beabsichtigt, mit seiner Familie sein Glück in Italien zu finden. Der Leidensweg des Jungen ist damit aber noch lange nicht zu Ende und so entwickelt sich in ihm immer mehr Hass, der schon bald auf die eignen Landsleute umschlägt. Hier beschreibt Mistretta sehr detailliert wie der unbändige Hass im Kosovokonflikt entstehen und sich immer weiter entwickeln konnte, ohne dass es für die Betroffenen jemals eine Perspektive gegeben hätte. Dies ist interessant und gleichermaßen erschütternd zu lesen, allerdings hat dieser recht umfangreiche Erzählstrang nur sehr wenig bis gar nichts mit dem besagten Doppelmord zu tun. Anders ausgedrückt, man hätte diesen Part - mit geringen Anpassungen am restlichen Text - einfach weglassen können.
So liest man zwei Geschichten, deren "Schnittmenge" minimalistisch gering ist und somit ein leichtes Magengrummeln hinterlässt. Den Vorwurf der Seitenschinderei will ich an dieser Stelle einmal wohlwollend vermeiden, da die Passagen von Mishnas Odyssee lesenswert sind und alleine die Figur des Bonanno schon den Kaufpreis wert ist. Dennoch hätte man sich deutlich mehr Mühe bei dem eigentlichen Fall gewünscht.
Roberto Mistretta, Lübbe
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