Darling Jim / Teufelslist

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2009
  • 4
  • Kopenhagen: Politikens Forlag, 2007, Titel: 'Darling Jim', Originalsprache
  • München: Piper, 2009, Seiten: 351, Übersetzt: Violeta Topalova
  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2010, Titel: 'Teufelslist', Seiten: 5, Übersetzt: Ulrike Grote, Nina Petri & Felix Knopp
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2009

Der Wolf im Mann gegen drei Schwestern

In dem kleinen irischen Städtchen Melahide bei Dublin wird ein bizarres Mordrätsel zwar offenbart aber nicht gelöst: Moira Walsh, die vor einigen Monaten zuzog, hat in zwei Zimmern eines zum Privatgefängnis ausgebauten Hauses ihre Nichten Fiona und Roisin nicht nur festgehalten, sondern durch Essensentzug und Rattengift langsam und qualvoll sterben lassen. In einem letzten Kraftakt griff Fiona die irre Tante an und brachte sie um, konnte sich und ihre Schwester aber nicht mehr befreien.

Der erfolglose Jung-Postbote Niall Cleary stößt beim Sichten der eingehenden Paketsendungen auf ein Tagebuch, das Fiona in den letzten Tagen ihrer Kerkerhaft verfasste. Ihm entnimmt er, dass Aoife, eine dritte Schwester, in die Gewalt der Tante geraten war, aber flüchten konnte. Seitdem ist sie verschwunden.

Auch Roisin hat ein Tagebuch geschrieben, das Niall an sich bringen kann. Diese Aufzeichnungen enthüllen die Geschichte von "Darling Jim" Quick, den die Walsh-Schwestern drei Jahre zuvor in ihrer Heimatstadt Castletownbere kennengelernt hatten. Mit ihnen allen sowie mit der Tante hatte der charmante junge Mann angebändelt und die Familie gegeneinander aufgehetzt, denn Jim war ein bösartiger Psychopath. Außerdem war er ein brutaler Raub- und Serienmörder, der mit enormem Geschick alle Indizien verschwinden ließ.

Nachdem er auch die Schwestern immer heftiger attackierte, beschlossen die in ihrer Not, den Peiniger zu ermorden. Doch Jim hatte dies vorausgesehen und einen neuen Plan geschmiedet, der seinen Tod einkalkulierte und die Walsh-Frauen in den endgültigen Untergang treiben sollte ...

Eine irische, aber irdische Krimi-Tragödie

Irland ... grünes Land der Trolle und der IRA, bewohnt von rothaarigen Schönheiten und trinkfesten Geschichtenerzählern. Klischee reiht sich an Klischee, eine Kette, die schier unzerreißbar ist. Weshalb Christian Mørk es gar nicht erst versucht, sondern sich ihrer erfindungsreich bedient, ihren Unterhaltungswert nutzt und sie ansonsten der verdienten Lächerlichkeit preisgibt.

Denn selbstverständlich ist auch Irland im 21. Jahrhundert angekommen. Was der Urlauber, der das Land wieder verlassen kann, als Idylle schätzt, ist für die Einwohner, die bleiben müssen, nicht selten eine Sackgasse. Noch schlimmer ist es für jene, die das Stigma des Außenseiters tragen. Kleine Dörfer können Brutstätten großer Vorurteile sein. Die Walsh-Schwestern steckten schon in Schwierigkeiten, bevor Darling Jim die Szene betrat.

Er ist vor allem der Katalysator für eine Kettenreaktion, die sich über drei Jahre hinzieht und auch nach Jims Ende alle zu vernichten droht, die es zu lösen versuchen. Darling Jim ist ein infernalisch erfindungsreicher Zerstörer von Menschen. Er ist ein Rätsel, sein Verhalten bleibt unberechenbar. Nicht einmal der eigene Tod kann ihn abhalten, sein verwickeltes Spiel zu spielen. Es zu entschlüsseln, bleibt einer Figur vorbehalten, die denkbar ungeeignet scheint.

Irrungen, Wirrungen, Irritationen ...

Niall Cleary ist alles andere als der Ritter, zu dem er sich dennoch entwickelt. Er hat kein eigenes Leben, das mit der Tragödie mithalten kann, in die er verwickelt wird und in die er sich willig ziehen lässt. Niall allein gelangt in den Besitz jener Details, die ihn das Rätsel lassen. Autor Mørk lässt sie uns Leser gleichzeitig mit Niall entdecken. Er verzichtet dabei auf eine stringente Handlung, sondern lässt sie in Episoden zerfallen, die wir gemeinsam mit Niall zum Gesamtbild zusammensetzen. Fionas und Roisins Tagebuchaufzeichnungen bilden die Klammer. Die Entdeckung der einen und die Suche nach der anderen beschreibt der Mittelteil, der gleichzeitig Nialls Auftritt markiert. Es endet mit jenem Teil der Geschichte, der selbst den Walsh-Schwestern unbekannt war und den erst der hartnäckige Niall aufdecken kann.

Bis es soweit ist, führt uns Mørk immer wieder aufs Glatteis. Nach dem ersten Drittel meint man den weiteren Verlauf der Ereignisse zu kennen und ist ein wenig enttäuscht, dass die verheißungsvoll einsetzende und spannend entwickelte Geschichte diese Richtung nimmt. Genau jetzt reißt Mørk das Ruder herum. Er setzt das Licht neu, wechselt die Perspektive und gewinnt seiner schauerlichen Mär gänzlich neue Seiten ab.

"Schauerlich" ist ein Stichwort, denn Mørk scheut vor keinem Trick zurück, um an der Spannungsschraube zu drehen. Zeitweise gewinnt der Leser den Eindruck, eine "Dark Fantasy" statt eines Thrillers zu lesen. Darling Jim scheint ein mythologischer Werwolf zu sein, der wie der Ewige Jude seit Jahrhunderten durch Irland zieht und seine Opfer reißt. Auch das ist eine der erwähnten falschen Fährten und Jim Quick ein Mörder, der sich selbst perfekt zu inszenieren weiß. Die Sagen, die er für Geld in Kneipen erzählt (und die Mørk im Volltext wiedergibt), beschreiben offen seine Taten. Man muss sie nur zu deuten wissen. Den Walsh-Schwestern bleibt nicht die Zeit dafür. Erst Niall versteht, was im letzten Teil noch einmal für eine unerwartete Wendung sorgt.

Familienhöllen brennen besonders heiß

Während die Morde des Darling Jim eher Nebensache bleiben, konzentriert sich Mørk auf die Dynamik innerhalb der Walsh-Familie. Sie ist aus verschiedenen Gründen selbstzerstörerisch und deshalb ideal für einen geborenen und selbst ernannten ´Wolf´ wie Jim Quick, der - so lernen wir - selbst ungewöhnlichen Familienverhältnissen entwachsen aber nie entkommen ist.

Zum Auslöser für die Entstehung des Romans "Darling Jim" wurde ein reales Familiendrama: In Leixlip, einer irischen Gemeinde im County Kildare, entdeckte man 2000 in einem einsamen Gehöft die Leichen einer 83-jährigen Frau und ihrer drei Nichten. Sie hatten sich offenbar religiös motiviert selbst zu Tode gehungert, ein Exempel entschlossenen Wahnwitzes, das Mørk nicht aus dem Gedächtnis ging. Er ergänzte das Szenario durch den Faktor des mörderischer Vorsatzes und ersann eine Vorgeschichte, die ebenfalls im Wahnsinn gipfelte.

Auch ohne ihre verrückte Tante haben die Walsh-Schwestern einen schweren Stand. Fiona ist eine frustrierte Lehrerin, Roisin hütet ihre lesbische Veranlagung, Aoife hört Stimmen. In ihrem Dorf beobachtet man sie mit Argusaugen und zerreißt sich das Maul über sie. Der tragische Unfalltod der Eltern hat ihre Isolation noch verstärkt. Das Trio bleibt unter sich und konserviert dadurch die Probleme.

Niall gilt der Gesellschaft als Loser. Sogar seinen wenig anspruchsvollen Job verliert er, die Karriere als Comic-Zeichner wird ein Traum bleiben. Er lebt allein mit seiner Katze, die ihm auf der Nase tanzt. Als Niall Fionas Tagebuch findet, öffnet sich ihm dadurch ein Schlupfloch. Die unbekannte und gefährliche Welt dahinter kann ihn nicht schrecken, die öde Gegenwart zu verlassen. Das wird er oft bitter bereuen, aber nie gibt er nach. Seine Erlebnisse lassen Niall reifen. Als er das Rätsel gelöst hat, steht er nur scheinbar so trostlos da wie zuvor. Endlich gelingt ihm ein Bild, mit dem er sich lange Zeit vergeblich geplagt hatte. Es steht am Ende dieses Romans und fasst wiederum verschlüsselt aber nunmehr verständlich das Geschehen noch einmal zusammen - ein eigenartiger Ausklang, der indes gut zu dieser ungewöhnlichen, gut erzählten Geschichte passt.

Darling Jim / Teufelslist

Christian Mørk, Piper

Darling Jim / Teufelslist

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Darling Jim / Teufelslist«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren