Flucht übers Watt
- dtv
- Erschienen: Januar 2009
- 6
- München: dtv, 2009, Originalsprache
Fällt dem Watt zum Opfer
Kriminalistisch angehauchte Kabarettisten bringen ein wenig tödlichen Humor auf den Buchmarkt. Nachdem Jörg Maurer im Vormonat sein Debüt auf der Krimi-Couch mit Föhnlage gab und durchwegs brauchbare Kritiken bekam, versucht es nun der Mastermind des "Hamburger Spottvereins" im Deutschen Taschenbuchverlag mit einer knapp 300 Seiten langen Flucht übers Watt.
Harry Oldenburg ist ein verkrachter Kunststudent, der sich mit Gemäldekopien, die als solche nicht gekennzeichnet sind, mehr schlecht als recht über Wasser hält. Der Weg, sich gleich die Originale unter den Nagel zu reißen und zu verhökern, scheint aber deutlich weniger Arbeit zu machen. Und weil Expressionisten gerade en vogue sind und sich Harry seit seiner Kindheit auf den nordfriesischen Inseln auskennt, liegt Nichts näher, als sich auf Seebüll zu begeben, wo das ehemalige Wohnhaus von Emil Nolde heute als Ausstellungshaus seine Bilder zeigt. Aber nicht mehr lange, denn Harry wird sich dort bedienen, nicht ahnend, dass die Putzfrau ihn überrascht und er deshalb zu drastischen Maßnahmen greifen muss.
Zurück aufs Festland will Harry nicht, denn dort würde man ihn zuerst suchen. Deshalb setzt er mit der Fähre nach Amrum über und mietet sich in einer Inselpension ein, ständig auf der Angst entdeckt zu werden. Und diese Angst ist berechtigt, denn an dem Erlös der Bilder wollen auch Andere mit naschen, bevor sich Harry aus dem Dünenstaub machen kann.
Wie Harry das schafft und nach achtzehn Jahren mit Frau und Kunstraubpartnerin Zoe wieder auftaucht, um das größte Bild, das er damals versteckt zurücklassen musste, an sich zu bringen, hat Krischan Koch mit mehr als einem Augenzwinkern in Buchform gebracht. Im Rückblick trotte(l)t der tolpatschige Maler durch die Inseldörfer. Alle Figuren, denen er begegnet, werden vom Autor gnadenlos seziert und in die Gattung Touristenschnösel, Kunstbanause und Dorfblödel eingereiht. Dass so nebenbei der oder die Eine einen bedauerlichen Abgang machen muss, ist natürlich nicht Harrys Schuld, sondern eine weise Fügung des Schicksals.
Die Geschichte erreicht mühelos die tiefgelegt Latte eines Privatfernsehkrimis und auch ein adäquates Spannungsniveau. Wer sich bei einem Krimi nicht damit zufrieden gibt, die überaus schrägen und witzigen Psychogramme der Pensionsgäste und Einheimischen zu lesen und der Flucht Harrys zu folgen, die einem Slapstick-Film von Buster Keaton entnommen sein könnte, der braucht dieses Buch erst gar nicht zur Hand zu nehmen, denn die stimmigen Beschreibungen von Leuchtturm, Sand und Meer und dem dazugehörigen Nordseewetter täuschen nicht darüber hinweg, dass der Schluss vergessen wurde und absolut nicht befriedigen kann.
Herr Koch und sein Versuch dem Leser das Leben von Harry Oldenburg schmackhaft zu machen, hält sich in Grenzen. Nun sind ja die Inseln an und für sich schon kein sehr kriminelles Pflaster, dass man deswegen aber den kleinsten Kommissar Deutschlands aus Kiel holt und einen großen und kräftigen Dorfpolizisten an seine Seite stellt, der mit dem Auto im Watt steckenbleibt etc., ist kriminalistische Leserverdummung erster Klasse.
Grundsätzlich könnte Harry Oldenburg das Zeug zu einem Serienhelden haben, den Kunsträuber haben generell einen hohen Sympathiebonus. Sich im Ablauf jedoch auf (schlechtem) Comedy-Niveau zu bewegen, um damit die Logiklücken zu füllen, hat selbst auf Amrum nicht genügend Krimisubstanz, damit man Flucht übers Watt als Urlaubslektüre dorthin mitnimmt. Schade um die wirklich witzige Ausgangsidee, die in diesem Fall dem Watt zum Opfer fiel.
Krischan Koch, dtv
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