Der Tod des Kandidaten
- dtv
- Erschienen: Januar 2009
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- Amsterdam: De Bezige Bij, 2003, Titel: 'De zesde mei', Originalsprache
- München: dtv, 2009, Seiten: 320, Übersetzt: Matthias Müller
Wählt mich, dann dürft ihr Pelzmäntel tragen
Eines der gängigen Klischees über Schriftsteller besteht darin, zu behaupten, sie würden irgendwann nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können. Stephen King entwickelt daraus wahre Welten im Horrorszenarium. Tomas Ross hingegen zeichnet in Der Tod des Kandidaten die Faszination für einen Politiker nach, der eigentlich nicht gesellschaftsfähig war, aber hofiert wurde und der seine Bedeutung am eigenen Tod maß. Was sagt das über ein Land aus, das sich als weltoffen bezeichnet, das Außenstehenden wie der Hort des Multi-Kulti erscheint?
Der 1944 geborene Schriftsteller und ehemalige Journalist Willem Hogendoorn, der sich in der Welt des Thrillers des Pseudonyms Tomas Ross bedient, wendet sich in seinen Romanen über den Zweiten Weltkrieg, dem Fall von Srebrenica oder in De Hand van God um die in den Niederlanden beschützte Ayaan Hirsi immer wieder historischen und gesellschaftspolitische Themen zu.
Pim Fortuyn wird sterben, das wissen wir alle, bevor wir zu dem Roman greifen, der mehr als ein Krimi sein will, der vielmehr die Frage aufwirft, was eine Gesellschaft ausmacht. Tomas Ross rückt Fortuyns Aufstieg, zum allseits vorstellbaren Premierminister, in einem Land, das auf Konsens aufgebaut ist, mitten in eine Parteienlandschaft, in der ein Selfmade-Politiker allmählich zum Heilsbringer anwächst. Darf man das Nicht-Korrekte denken, gar aussprechen? Darf man sein Fähnchen in den Wind der Wahlumfragen hängen und ganz auf Populismus setzen? Viele Politiker träumen davon. Kaum einer besitzt das Charisma dies umzusetzen.
Enfant Terrible
In Fortuyns Welt war man gegen die Monarchie, kündigte man das Ende der Einwanderung, Überfremdung an, wendete sich gegen Islam, Tierschutz und einer Reihe anderer subventionierte, heiliger Kühe. Sein Bekenntnis zur eigenen Homosexualität machte den charmanten Politiker zur schillernden Figur des Medienzirkus. Gleichzeitig auch zur Zielscheibe, da er nach der Gründung seiner rechtspopulistischen Partei Lijst Pim Fortuyn durchaus als Regierungschef vorstellbar war.
Im Vorfeld des Attentats zeigt Tomas Ross eine Gesellschaft, die mit sich im Unreinen ist und sich einem Heilsbringer zuwendet. Dass dies nie ohne Gegenbewegung bleibt, der Geheimdienst im Hintergrund agiert, Tomas Ross einer Verschwörungen nachgeht, gehört zum Wesen des Politthrillers. Schon im Schakal von Forsyth wurde der Wettlauf zwischen Attentäter und Geheimdiensten beschrieben. Bei Tomas Ross wächst die Gefahr von innen heraus. Wer besitzt die edleren Motive? Derjenige, der tötet, um zu beschützen oder derjenige, der Wähler verführt, um seine rechten Ansichten zum Regierungsprogramm zu erheben?
Nach vierhundert Jahren war Fortuyn der erste Politiker in den Niederlanden, der einem Attentat erlag. Er hat das Land hysterisiert. Die Niederlande fühlen sich nicht mehr sicher, nicht mehr als Hort des unbescholtenen Lebens. Was gerade eben nach dem Attentatsversuch auf die königliche Familie erneut das Alltagsleben bestimmt. Abseits von Gouda, frischer Meeresbrise und begnadeten Fußballern gelingt Ross eine interessante Spiegelung zwischen gegensätzlichen Motiven. Alle wollen sie Gutes tun, alle bedienen sie sich der reißerischen Aufmachung, um auf sich aufmerksam zu machen, doch hinter den Kulissen bleibt das Szenarium der Parteienlandschaft verstaubt und egozentrisch aufs eigene Fortkommen beschränkt.
Ross bewegt sich im Dreieck zwischen Anke Luyten, einer aus dem Gefängnis entlassenen Tierschutz-Aktivistin, Jim, dem Fotografen und Fortuyn selbst, um den Mechanismus einer Tragödie zu entblößen, der beinah zwangsläufig erscheint.
Wer die politischen Verhältnisse umkrempeln will, spaltet die Gesellschaft. Pim Fortuyn stellte durch sein Auftreten die Gretchenfragen: Wie stehst du zu mir? Bist du für mich oder gegen mich?
Womit wir uns wieder dem Anfang zuwenden. Wie weit Politiker oder Aktivisten überhaupt in der Realität leben? Oder ist es besser für sie, sich ihre eigene Realität zu schaffen, um so überzeugend zu wirken? Dem spürt Tomas Ross nach, indem er vom fulminanten Aufstieg und Fall eines Politikers erzählt, der den Spagat wagte, um sein Land nach seinen Ansichten umzukrempeln.
Tomas Ross, dtv
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