Goldfasan

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2009
  • 3
  • Dortmund: Grafit, 2009, Seiten: 319, Originalsprache
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Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2009

Gelungenes Konzept, starke Fortsetzung

Goldfasan, angesiedelt im Jahr 1943, ist nach dem in der Weimarer Republik spielenden Franzosenliebchen der zweite Band von Jan Zweyers Peter Goldstein-Trilogie. Obwohl das nicht mehr so ganz stimmt: denn der Bochumer Kommissar heißt jetzt "Golsten", hat sich jeder Affinität zum Judentum entledigt und ist seit Jahren Mitglied der SS. Aus Karrieregründen versteht sich, nicht aus Überzeugung, möchte er doch gerne Kriminalrat werden. Nur manchmal geht der Ermittler in ihm durch, dann muss er von seinem Vorgesetzten Saborski wieder auf den Boden der nationalsozialistischen Tatsachen zurück geholt werden. Was Golsten, innerlich zwar bebend, aber ohne Widerstand zu leisten, zulässt.

 So klärt er den Fall um die vermisste polnische Fremdarbeiterin Maria Slowacki, Hausangestellte des titelgebenden stellvertretenden Kreisleiters Walter Munder. Goldfasan, nicht nur aufgrund seiner goldbraunen Uniformaufschläge, sondern auch seines Händchens für halbseidene Warenverschiebereien wegen genannt, die ihn eigentlich zum Kriegsgewinnler machen müssten, egal wie der Krieg ausgeht. Eigentlich...

Denn Munder ist ein wenig zu gierig, ein bisschen zu auffällig agierend, gerät deshalb ins Fadenkreuz einer hochrangiger Parteibonzen und landet bald auf einer Abschussliste. Da es keine Verbrecher in der NSDAP gibt, wird er sich nie vor einem Gericht wiederfinden.

 Golsten stößt während seiner Ermittlungen auf all die Hintergründe, die Marias und letztlich Munders Schicksal und das seiner trinkfreudigen Gattin besiegeln. Er findet heraus, was verborgen bleiben sollte: hinter heimischen Mauern existieren keine Rasseschranken, wo die Libido regiert sind Nationalitäten ohne Belang. Man darf sich nur nicht erwischen lassen und muss offensichtliche Fehltritte selbst beseitigen. Irgend ein Verwandter mit Einfluss wird schon richten, was schief läuft.

Golsten findet die Zusammenhänge heraus, kann die wahren Täter und ihre Taten benennen und sieht doch tatenlos zu, als Sündenböcke zum Schafott geführt werden. Die üblichen Verdächtigen: Juden, Kommunisten, Edelweißpiraten. Am besten machen sich natürlich jüdische Kommunisten als Täter. Golsten spielt mit, heilfroh, dass er selbst nicht ins Visier der Gestapo gerät, betätigte sich sein Schwiegervater doch als Fluchthelfer.

 Er ist keine sonderlich sympathische Figur, dieser Peter Golsten, ehemals "Goldstein". Ein opportunistischer Mitläufer wie er im Buche steht. Möchte so gerne Polizist sein, in welchem System auch immer. Es fiele leicht zu sagen, er verkaufe seine Seele an den Teufel; aber so einfach ist es nicht. Jan Zweyer macht das sehr geschickt; er verdammt Golsten nicht, sondern stellt ihn als Praktiker dar, der seine Verhaltensweisen, seinen moralischen Kodex nicht am Leben in einem verbrecherischen System ausrichtet, sondern zweck- und bestenfalls noch familienorientiert urteilt und handelt. Die Ermittlungsarbeit Golstens ist korrekt und zielgerichtet, das Verhalten seiner Vorgesetzten entspricht dem in jeder Bürokratie. Auf der anderen Seite des Gesetzes sind keine dämonischen Herrenmenschen, sondern kalkulierende und intrigierende Geschäftsmänner, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen möchten, egal wie der Krieg ausgeht. Der zum Zeitpunkt der Handlung noch runde zwei Jahre dauern wird.

Wobei das mit der "anderen Seite des Gesetzes" natürlich ad absurdum geführt wird. Geht es doch nie darum, der Gerechtigkeit genüge zu tun. Konsequenterweise wird Golsten immer dann zu seinem Vorgesetzten zitiert, wenn er den wahren Hintergründen auf die Spur kommt. So wird er gelobt und gleichzeitig ausgebremst; wenn er z.B "redliche Volksgenossen" befragt und sich nicht auf Fremdarbeiter und systemkritisches Pack konzentriert.

 Dabei erliegt Zweyer nicht der Gefahr sich hoch erhobenen Zeigefingers der Zeitgeschichte zu bedienen, sondern baut geschichtlichen Hintergrund wie die Lokalität Ruhrgebiet effizient und ohne übertriebene Gelehrsamkeit ein. Er mixt Plakatives mit Beiläufigem, schafft manchmal auch beides zugleich (wie den jüdischen Häftling, der wegen eines unvermeidlichen Missgeschicks nahezu zwangsläufig erschossen wird. Und anschließend nur noch ein Fall für die Putzkolonne ist). Hoffnungsträger sterben im off, werden von den handelnden Figuren noch einmal lapidar beseitigt: "Kreislaufkollaps" lautet die offizielle Todesursache, die Folter und Mord veruscht. Mitleid findet nicht statt, selbst das Golstens ist begrenzt, besitzt er doch keine Scheu, zum Tode verurteilte schamlos zu belügen, wenn es seinen Zielen dient. Dadurch wird die Alltäglichkeit des Schreckens und der entsetzlichen Tode um so offensichtlicher. Die Opfer fallen schon während ihres (langsamen) Sterbens dem Vergessen anheim, während sie für eine korrumpierte Justiz das freudig benutzte Mittel zum Zweck sind.

 Jan Zweyer konturiert seine Figuren scharf – für Grauzonen sind lediglich Peter Golsten und der junge Edelweißpirat Erwin Bertelt zuständig – und bezieht Position. Das ist nicht unbedingt filigran, aber von entlarvender Kraft. Am Ende sind die Unschuldigen tot; und auch wenn es einige der Täter erwischt, wurde Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung mit Füßen getreten. Die Drahtzieher machen weiter und Jan Zweyer macht keinen Hehl daraus, dass sie auch für die Zeit nach Hitler wohl gerüstet sind.

Lediglich Peter Golsten darf ein paar Tränen verdrücken: "Ihm reichte, was er gehört hatte. Ihm reichte es grundsätzlich. Er hatte genug vom Sterben und der Angst, genug von diesen verlogenen Phrasen, vom Führergebrüll und dem Gerede von Endsieg, genug von Deutschland und seinen Herrenmenschen, genug von Goldfasanen und ihren Familien.

 

Sein Schwiegervater hatte recht. Die Nazis waren nichts anderes als eine Mörderbande. Im Kleinen wie im Großen. Allesamt Mörder.

 

Doch es sind Krokodilstränen. Keine Konsequenzen. Ein Golsten arbeitet weiter, leistet zitternd seine Unterschrift, wenn es verlangt wird, als Hauptsturmführer der SS, ein findiger Kommissar auf dem Weg zum Kriminalrat.

 Goldfasan ist ein kluges und spannendes Buch, das seine Geschichte ernst nimmt und die kriminalistischen Elemente nicht schamhaft verleugnet, bzw. als leidiges Transportmittel gebraucht. Kein Hausieren gehen mit Lokalkolorit und regionalen Markenzeichen, obwohl Zweyer damit nicht hinterm Berg hält.

Goldfasan

Jan Zweyer, Grafit

Goldfasan

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