Der Täter

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2010
  • 17
  • New York: Ballantine, 1995, Titel: 'The shadow man', Seiten: 468, Originalsprache
  • Berlin: Argon, 2010, Seiten: 6, Übersetzt: Simon Jäger
Der Täter
Der Täter
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Andreas Kurth
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2009

Ist der Holocaust noch immer nicht vorbei?

Wer für sich entscheiden möchte, ob er John Katzenbachs Roman "Der Täter" lesen sollte, findet im Klappentext wenig Entscheidungshilfe. Dem pensionierten Detective Simon Winter ist keineswegs sofort klar, dass seine Nachbarin berechtigte Ängste hatte, weil der "Schattenmann" plötzlich in Miami Beach aufgetaucht ist. Erst langsam und voller Zweifel wird der alternde Kriminalist in seinen ersten "Fall" seit vielen Jahren hineingezogen. Aber dann zeigt sich, dass seine langjährig trainierten Instinkte und Reflexe noch da sind.

Das Buch beginnt damit, dass sich Winter eine Kugel durch den Kopf schießen will, weil er sich einsam und nutzlos fühlt. Dabei wird er von seiner Nachbarin Sophie Millstein gestört. Die alte Jüdin hat den Holocaust in Europa überlebt, und ist jetzt völlig hysterisch, weil sie beim Einkaufen einen ehemaligen Nazi-Schergen gesehen haben will, den sie den "Schattenmann" nennt. Winter begreift nicht, was seine Nachbarin von ihm will, folgt ihr dennoch in ihre Wohnung, um sie zu beruhigen. Dort ist alles in Ordnung – so scheint es.

Nur Stunden später wird Millstein erdrosselt in ihrem Bett aufgefunden, Nachbarn haben Geräusche gehört und einen jungen Schwarzen davonlaufen sehen. Für den ermittelnden Detective scheint der Fall klar. Aber Simon Winter, der zufällig am Tatort vorbeikommt, gibt seine Bedenken zu Protokoll und erzählt den Polizisten auch vom Schattenmann. Und spätestens an diesem Punkt beginnt Katzenbach den Leser meisterhaft zu fesseln. Nicht mit knisternder Spannung, sondern einfach mit der Geschichte selbst. Man beginnt sich zu fragen – so wie auch Simon Winter nachzudenken beginnt – was es mit diesem Schattenmann denn nun auf sich haben könnte?

In der Folge pendelt der Autor geschickt zwischen den Routine-Ermittlungen der Polizei und den privaten Nachforschungen von Winter hin und her. Eindrucksvoll lesen sich vor allem die Gespräche des Ex-Detective mit den Freunden und Verwandten von Sophie. Er findet heraus, dass sich ein Mann aus der jüdischen Gemeinde vor Wochen angeblich das Leben genommen hat – weil er den Schattenmann gesehen haben will. Doch auch in diesem Fall tauchen mehr als ernsthafte Zweifel am Suizid auf. Das Eintauchen in die Welt der Überlebenden des Holocaust bringt Simon Winter völlig neue Erfahrungen – vom Autor hervorragend recherchiert und geschildert.

Die Geschichte, die hinter dem Buch steckt, erscheint dabei durchaus glaubwürdig. Mitte der 90er Jahre, als Katzenbach das Buch schrieb, gab es noch jede Menge ehemaliger Nazis oder willfähriger Helfer, die in den 40er Jahren als Greifer in Deutschland unterwegs waren, um versteckte und flüchtige Juden aufzuspüren und sie an die SS auszuliefern. Die Rolle der Greifer ging über die eines Kollaborateurs weit hinaus, wegen ihrer jüdischen Vorfahren blieb ihnen der gesellschaftliche Aufstieg verwehrt, was oft zu einem stärkeren Juden-Hass führte, als bei manchem Christen.

Und es gab in den USA zahlreiche Kolonien von Überlebenden des Holocaust. Da muss die Sichtung eines früheren Nazi-Kollaborateurs tiefgreifende Panik ausgelöst haben. Als ein weiterer alter Jude verschwindet, und vermutlich ebenfalls ermordet wurde, wird allen Beteiligten – und damit auch dem faszinierten Leser – endgültig deutlich, welche Dimension das Geschehen hat. Denn niemand weiß, wie lange der Schattenmann schon sein Unwesen treibt, wie viele Holocaust-Überlebende, die ihn erkannten, durch seine Hand bereits starben? Die Ungeheuerlichkeit dieses Kriminalfalles bringt die Ermittler und die alten Menschen, die vor dem ehemaligen Greifer Angst haben, an den Rand ihrer psychischen Möglichkeiten. Meisterhaft versteht es Katzenbach dabei, die Spannung nicht nur konstant zu halten, sondern subtil zu steigern. Ab einem bestimmten Punkt identifiziert sich der Leser mit den Ermittlern und fragt sich ebenfalls: Wie ist dieser Killer bloß zu fassen? Ist der Holocaust noch immer nicht vorbei?

Das Zusammenwirken des aktiven Polizisten Walter Robinson und seines alternden Ex-Kollegen Simon Winter wird von anfänglicher Skepsis über zunehmendes Vertrauen bis zu kollegialem Verständnis langsam enger. Die nebenher laufende Liebesgeschichte zwischen Robinson und der jungen Staatsanwälte Espy Martinez sorgt für die heute schon unvermeidliche Note von "Sex & Crime" – wirkt aber keineswegs überflüssig oder lästig, da Katzenbach geschickt dafür sorgt, dass Martinez ihren ganz eigenen Beitrag bei den Ermittlungen erbringt. So zerschießt sie beispielsweise ungewollt einem flüchtigen Verbrecher das Knie – für ihren Ruf in der Staatsanwaltschaft ist der Vorfall "Gold" wert. Und sie spürt den Augenzeugen auf, der den Schattenmann noch aus der Kriegszeit kennt.

Alles in allem entwickeln sich während der spannenden Handlung interessante Charaktere, der Leser lernt viel über ebenso schwierige wie faszinierende Lebensläufe. Und er lernt viel über die Verhältnisse in Miami – jenseits der Fernsehwelt von CSI. Nach wie vor vorhandene Rassenschranken, politischer Einfluss in Justiz und Polizei, das Leben der europäischen Immigranten – Katzenbach reißt einige Themen an, ohne sie allerdings zu vertiefen.

Vom Schattenmann erfährt der Leser vor dem dramatischen Finale noch mehr als genug. Allerdings wird nicht abschließend klar, warum er die Holocaust-Überlebenden töten will, bevor er sich in die nächste vorbereitete Tarnexistenz flüchtet. Das Finale ist schließlich hochdramatisch – im Hinblick auf den Schattenmann bleibt jedoch einiges im Schatten.

Eine überaus starke Figur ist Simon Winter. Von einem lebensmüden Alten entwickelt er sich während der Geschichte zurück zu einem instinktsicheren Ermittler. Zunächst will er nur seine Nachbarin beruhigen. Dann verspricht er einigen alten Menschen, sie vor dem Schattenmann zu schützen. Und schließlich wird die Jagd nach dem Killer zu seiner Mission. Winter wird zum eigentlichen Helden der Geschichte, mehr als Robinson/Martinez. Doch dabei drängt er die beiden keineswegs in den Hintergrund, vielmehr werden Robinson und Winter zunächst wieder Kollegen, und dann beginnt sich eine Freundschaft zu entwickeln. Und bei Walter Robinson und Espy Martinez wünscht man sich eine weitere Geschichte mit diesem Paar, um sie näher kennen zu lernen. Insgesamt eine erzählerisch starke Leistung.

Der Täter

John Katzenbach, Argon

Der Täter

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