Ein unverhofftes Geständnis
- Wunderlich
- Erschienen: Januar 1980
- 7
- London: Faber & Faber, 1967, Titel: 'Unnatural Causes', Seiten: 236, Originalsprache
- Tübingen: Wunderlich, 1980, Seiten: 330, Übersetzt: Sibylle Hunzinger
- Berlin; Weimar: Aufbau, 1985, Seiten: 259, Bemerkung: Ausgabe für die DDR und die sozialistischen Länder
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2001, Seiten: 247
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2003, Seiten: 247
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2005, Seiten: 247
Psychologisch versiert
Inspektor Adam Dalgliesh fährt zu seiner Tante Jane an die Nordküste. Er braucht dringend Erholung und Ruhe, nachdem gerade ein besonders schwieriger Fall seinen Abschluss fand. Ausserdem möchte Dalgliesh den Herbsturlaub nutzen, um sein Privatleben zu ordnen. Wie soll es mit seiner Freundin Deborah und ihm weiter gehen? Der Aufenthalt bei seiner Tante, einer sehr beeindruckenden Frau, beendet kurzzeitig alle Grübeleien des Inspektors. Er geniesst die herrliche Natur und beobachtet leicht amüsiert die Nachbarn, ein exzentrisches Völkchen von Autoren, Kritikern und Journalisten. Ein bizarrer Leichenfund, dem Toten fehlen beide Hände, stört die Idylle der kleinen Ferienkolonnie empfindlich. Der Tote, einer von Tante Janes schriftstellernden Nachbarn, starb an einem Herzanfall. Da der Verstorbene an einer Herzschwäche litt, geht die Polizei nur allzu gern von einer natürlichen Todesursache aus. Die abgehackten Hände werden als die Tat eines Verrückten abgetan, da die Verstümmelung nachweislich erst mehrere Stunde nach dem Tod erfolgte. Adam Dalgliesh schmeckt diese Erklärung überhaupt nicht. Sein hervorragender kriminalistischer Instinkt sagt ihm, dass mehr hinter den mysteriösen Geschehnissen steckt. Diskret nimmt er seine privaten Nachforschungen auf, fährt nach London und macht bald eine interessante Entdeckung.
Ein zweiter Todesfall, dieses Mal eindeutig eine brutale Gewalttat, bringt auch das Untersuchungsergebnis der Polizei ins Wanken. Dank seines psychologischen Gespürs und seines Scharfsinns kommt Adam Dalgliesh dem Täter auf die Spur. Doch jenem scheint das perfekte Verbrechen geglückt zu sein. Nichts lässt sich beweisen und die Morde können scheinbar nicht gesühnt werden. Doch Adam Dalgliesh ist nicht der Mann, der Mörder ungeschoren davon kommen lässt. Unter Einsatz seines Lebens gelingt ihm das Unwahrscheinliche...
In "Mord auf dem Nil" lässt Agatha Christie ihren Poirot sinngemäss sagen, dass nur seine zufällige Anwesenheit zur Aufklärung eines eigentlich perfekten Verbrechens führte. Diese Aussage trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Der Mord, brillant geplant und durchgeführt, würde niemals durch die örtliche Polizei entdeckt oder gar aufgeklärt werden. Der Täter ging sehr raffiniert vor und machte keine Fehler. Selbst als Dalgliesh den Tathergang kennt, weiss er nicht, woher er stichhaltige Beweise nehmen soll. Ausser dem Inspektor hat niemand Verdacht geschöpft. Dank seines kriminalistischen Gespürs findet er bald die richtige Fährte. Nur ein kluger Mensch, dem die menschlichen Abgründe vertraut sind, kann die Motivation für diese Morde, bzw. die auslösenden Faktoren, erkennen.
Selten trifft man in einem Buch auf so viele Personen, die wenig oder überhaupt nicht sympathisch sind. Auch auf die beiden Mordopfer trifft dies zu. Der Leser könnte es gut nachempfinden, wenn der Mörder nochmals zuschlüge - ich erwähne hier nur die schreckliche Celia Calthrop! Natürlich handelt auch dieser Krimi von den Emotionen, die die Menschen zu Mördern machen können: Hass, enttäuschte Liebe, Kränkung, Habgier und verletzter Stolz. Doch es benötigt schon einen Dalgliesh, um den richtigen Täter herauszufinden. Denn das bunte Künstlervölkchen, das sich da in Monksmere tummelt, zählt einige psychologisch Auffällige in seinen Reihen.
P. D. James zeigt in diesem Krimi mehr von Inspektor Dalglieshs privater Seite. Der Leser erfährt etwas über seine Kindheit und das Verhältnis zu seiner Tante, die seine einzige lebende Verwandte ist. Daneben beschäftigt den Ermittler eine bohrende private Frage. Soll er Deborah einen Heiratsantrag machen oder nicht? Vordergründig zögert Dalgliesh, da er seinen aufreibenden Beruf als unüberwindliches Hindernis für eine glückliche Ehe ansieht. Dahinter versteckt sich aber die Angst, seine Unabhängigkeit zu verlieren und seine Privatsphäre teilen zu müssen. Dies erkennt er schliesslich selbst. Dass er das Einverständnis seiner Freundin zu einer Heirat blind voraussetzt, zeugt übrigens von einer Selbstgefälligkeit, die er in späteren Jahren ablegt. Hin- und hergerissen schreibt er sogar ein Gedicht für Deborah und gibt dem Leser damit eine Kostprobe seiner Lyrik (ganze 10 Zeilen). Immerhin hat der Inspektor bereits zwei erfolgreiche Gedichtbände veröffentlicht und bleibt auch später diesem Hobby treu. Bei seinen Nachforschungen bleibt Dalgliesh dieses Mal auf sich selbst gestellt. Ohne sein gewohntes Team muss er sehen, wie er allein zurecht kommt. Doch er löst diese Herausforderung meisterhaft.
Mit Adam Dalgliesh hat P. D. James eine Figur geschaffen, die als Ermittler und Mensch überzeugt - übrigens nicht ihre einzige. Mag der kühle, distinguierte Inspektor auch nicht gerade den Archetyp des Detektivs darstellen, so wirkt er doch wesentlich realistischer als der schon erwähnte Hercule Poirot und die meisten seiner Kollegen. Meiner Meinung nach reicht dieses Buch nicht ganz an P.D. James beste Kriminalromane heran. Zwar glänzt die Autorin sprachlich und stilistisch wie gewohnt. Sie versteht es z.B. meisterlich, die unwirtliche nordenglische Küste zu beschreiben. Psychologisch versiert, vermittelt sie uns überzeugend die Auswirkungen, die eine derart abgeschiedene, unheimliche Umgebung auf ihre wenigen Bewohner hat. Spannung und Logik fehlen diesem Krimi ebenfalls nicht. Inspektor Dalgliesh löst den Fall logisch wie immer und ordnet nebenbei sein Privatleben. Allerdings ist ihr Spätwerk doch wesentlich raffinierter, komplexer und psychologisch ausgefeilter. Trotzdem kann ich ein "Ein unverhofftes Geständnis" uneingeschränkt empfehlen. Der Leser wird bestens unterhalten und der "Dalgliesh-Fan" erfährt einiges, was er noch nicht wusste.
P. D. James, Wunderlich
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