Ein Spiel zuviel

  • Droemer
  • Erschienen: Januar 1980
  • 6
  • London: Faber & Faber, 1962, Titel: 'Cover her Face', Seiten: 254, Originalsprache
  • Tübingen: Wunderlich, 1980, Seiten: 271, Übersetzt: Wolfdietrich Müller
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1982, Seiten: 270
  • München: Droemer Knaur, 1998, Seiten: 343
  • München: Droemer Knaur, 1999, Seiten: 343
  • München: Droemer Knaur, 2003, Seiten: 343
  • Wien: Ueberreuter, 2006, Seiten: 415, Bemerkung: Großdruck
  • Klappenbroschur, Droemer TB 03.12.2018, 336 S.
Ein Spiel zuviel
Ein Spiel zuviel
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Almut Oetjen
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2019

Mord auf Martingale Manor: Der erste Fall für Adam Dagliesh

Sally Jupp, eine 22-jährige ledige Mutter, tritt nach der Geburt ihres Kindes in die Dienste der Familie Maxie auf Martingale Manor, einem Elisabethanischen Herrenhaus in dem (fiktiven) Dorf Chadfleet in Essex. Sally, hübsch und intelligent, gewinnt das Interesse von Stephen Maxie, dem Sohn des Hauses. Am Abend des traditionellen Sommerfestes, als die ganze Familie samt Freunden versammelt ist, verkündet sie triumphierend, dass Stephen ihr einen Heiratsantrag gemacht hat.

Am nächsten Morgen wird sie erwürgt in ihrem Zimmer aufgefunden. Die Tür ist von innen verriegelt, das Fenster offen. In ihrem Kakaotrunk finden sich Reste eines Schlafmittels. Der heikle Fall wird Detective Chief Inspector Adam Dagliesh von Scotland Yard anvertraut, der assistiert wird von Detective Sergeant George Martin.

Die Umstände verraten, dass der Täter sich mit den Örtlichkeiten und Gepflogenheiten im Hause auskannte. Das engt den Kreis der Verdächtigen ein. Daglieshs Hauptverdächtige sind daher zunächst die Anwesenden auf Martingale Manor: Hausherrin Eleanor Maxie; der bettlägerige Hausherr Simon Maxie; Stephen Maxie, Chirurg am Londoner St Luke’s Hospital; Deborah Riscoe, verwitwete Tochter des Hauses; Felix Hearne, ein dekorierter Kriegsheld, der sich einbildet, Deborah zu lieben; Catherine Bowers, eine Krankenschwester, die sich als Quasi-Verlobte von Stephen sieht; die langjährige treue Haushälterin Martha Bultitaft, die Sally wegen ihrer Tüchtigkeit hasste.

Dagliesh prüft die Alibis, rekonstruiert die Ereignisse in der Mordnacht und stellt Recherchen über die Verdächtigen und Sally an. Dabei stößt er auf weitere Verdächtige, wie Sallys Onkel Victor Proctor, der sie nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufnahm, sowie Derek Pullen, ein junger Mann aus dem Dorf, der sich öfter mit Sally traf.

Mehr als ein klassischer cosy mystery

Mit „Ein Spiel zuviel“ gab P.D. James 1962 ihr Debüt als Kriminalautorin. Der Originaltitel, „Cover Her Face“, stammt aus John Websters Drama „The Tragedy of the Duchesse of Malfi“ (um 1612). Der Name der Leiterin des St-Mary-Heims für ledige Mütter, Alice Liddell, spielt auf Alice in Wonderland an.

James orientiert sich in der Form am klassischen Subgenre des cosy mystery, der Plot und Struktur formulaisch vorgibt: In einem englischen Landhaus findet ein mysteriöser Mord statt, alle Bewohner des Hauses sind verdächtig. Der Leser folgt wechselweise dem berühmten Ermittler und anderen Figuren durch eine labyrinthische Geschichte um Mord und Detektion, Eifersucht, Neid, Hass. Am Ende versammelt der Ermittler die Verdächtigen im Salon, rekapituliert die Ereignisse und präsentiert den Täter.

Der cosy mystery war 1962 bei Erscheinen des Romans bereits aus der Mode. Doch James sieht die vorgegebene Form nicht als Zwangsjacke, die die künstlerische Freiheit einschränkt, sondern als befreiend für die kreative Imagination. Sie verleiht dieser Romanform ein modernes Update, kreiert anschauliche Settings und lebendige Figuren mit einer profunden Einsicht in menschliche Schwächen und Abgründe. 

Ein Spiel und ein Mord

Im Zentrum steht Sally Jupp, eine ungewöhnliche und bestechende Figur: jung, hübsch, intelligent, phantasievoll, provokativ. Hinter ihrer Maske aus Tüchtigkeit und Freundlichkeit verbirgt sie Verachtung und Boshaftigkeit. Die Buchhändlerin Ms. Molpas, eine präzise Beobachterin der Menschen und Gender-Expertin, beschreibt den Charakter und die Vorgehensweise ihrer ehemaligen Mitarbeiterin Sally anschaulich. Sally manipulierte ihre Mitmenschen, benutzte sie und trieb üble Psychospiele mit ihnen. Sie liebte Geheimnisse. Ihr größtes Geheimnis bewahrt James bis zum Schluss. Es detoniert mit einem mächtigen Knall im Salon von Martingale Manor.

Man versteht Sallys Motive besser, als man ihre Verwandten, die Proctors, kennenlernt. Die Proctors nahmen sie nach dem Tod ihrer Eltern auf. Sie wirken ehrlich und sind bemüht, ein gutes Bild abzugeben. Doch es steckt mehr hinter dieser Maske biederer Anständigkeit. Victor Proctor lügt und hütet ein Geheimnis, dem Sally auf die Schliche kam. Man versteht ihn besser, als man mehr über sein Schicksal erfährt.

Man versteht auch den Mörder und den Grund seines langen Schweigens besser. 

Alle Figuren spielen eine Rolle, täuschen ihre Mitmenschen und vor allem sich selbst. Es geht um Liebe, Geld, Moral. Die Maxies sind fast pleite, würden es aber nie zugeben. Man gibt sich hilfsbereit, um moralische Überlegenheit zu suggerieren, Snobismus zu kaschieren und sich ein gutes Gefühl zu verschaffen.

Manche Figuren wissen um ihre Defizite, andere werden damit eiskalt konfrontiert wie Stephen, der Liebe mit erotischem Begehren verwechselt. Äußerlich wirken sie normal, emotional sind sie verkrüppelt. Victor Proctors Versehrung ist ein passendes Sinnbild für diese Misere. 

Eine Gesellschaft im Umbruch

Die Figuren leben in einer Gesellschaft im Umbruch, sind geprägt von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und müssen sich den Unsicherheiten der Nachkriegszeit anpassen. Die Steuern auf große Häuser wie Martingale Manor sind mörderisch, die Sitten ändern sich mit beängstigender Dynamik. Beispiel ledige Mütter: Soll man sie verachten und bestrafen oder besonders unterstützen? Die Erinnerungen an den Krieg sind noch präsent, die Folgen sichtbar und fühlbar. Man sieht Häuserruinen, versehrte Menschen, Sallys Eltern starben im Blitz, Felix Hearne wurde von der Gestapo gefoltert.

Die einen kämpfen mit ihrer Vergangenheit, die anderen mit der Gegenwart. All das wirkt auf die Figuren und bestimmt sie, als Teil ihrer Biographie.

Über Adam Dagliesh erfährt der Leser recht wenig. Er lebt allein, seine Frau und sein Sohn starben wenige Stunden nach dessen Geburt. Dagliesh gilt als der Beste, als skrupellos und unkonventionell. So führt er sich mit seinem ersten Satz auch ein. Bei seiner Ankunft auf Martingale Manor gefragt, ob er als erstes die Familie sehen will, antwortet Dagliesh, er möchte sich erst die Leiche ansehen, denn die Lebenden „halten sich besser“.

Obwohl kalt und reserviert, scheint am Ende eine romantische Beziehung zu Deborah Riscoe möglich.

Fazit:

In ihrem ersten Kriminalroman, „Ein Spiel zuviel“, führt P.D. James ihren ikonischen Detective Chief Inspector Adam Dagliesh ein und erneuert das Genre des klassischen englischen Detektivromans auf literarisch ansprechende Art. Spannend und zynisch, mit nachvollziehbaren Figuren, starken Emotionen und Dialogen, eingebettet in eine Zeit der gesellschaftlichen und moralischen Umbrüche.

Ein Spiel zuviel

P. D. James, Droemer

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