Ich vertraue dir

  • TechniSat Digital, Radioropa Hörbuch
  • Erschienen: Januar 2009
  • 3
  • Turin: Einaudi, 2007, Titel: 'Mi fido di Te', Seiten: 175, Originalsprache
  • Daun: TechniSat Digital, Radioropa Hörbuch, 2009, Seiten: 5, Übersetzt: Manuel Kressin
  • München: Goldmann, 2011, Seiten: 218
Ich vertraue dir
Ich vertraue dir
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Jochen König
86°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2009

Exzellent geschriebene, sarkastische und spannende Erzählung

Gigi Vianello setzt die alte Binsenweisheit vom "Jeder ist sich selbst der Nächste" beredt, charmant und ohne jeden Skrupel um. Bedenkenlos nutzt er Menschen, die ihm nahe sind, aus; bei Bedarf sind Verrat und Mord probate Mittel, sich die eigenen Freiräume zu schaffen, bzw. zu erhalten. Profitmaximierung um jeden Preis ist Gigis Credo; und er glaubt sehr gut damit zu fahren. So steigt er vom Pillen verhökernden Dealer vor den Diskotheken des Veneto, zum Immobilien- und Restaurantbesitzer in Sardinien auf. Während in seinem Gourmettempel Chez Momò nur die besten Zutaten und Speisen zum Verzehr kommen, verdient Gigi den Großteil seines Kapitals durch das Verschieben kontaminierter Lebensmittel. Er ist glücklich in seiner durchgeplanten Welt, mit all seinen Geschäftspartnern und seiner Lebensgefährtin aus Berechnung, Bianca, die ihm das Lokal führen darf. So lange, bis er beides abzuservieren gedenkt. Leider macht ihm seine Libido einen gewaltigen Strich durch die sorgsam aufgestellte Rechnung. Eine Affäre mit der falschen Frau führt ihn von einer Katastrophe zur nächsten. Planung und geschickte Improvisation hin oder her: am Ende muss er sich mit einer tobenden Bianca, einem gehörnten Ehemann, der Polizei und wenig zimperlichen Schatten aus seiner Vergangenheit herum schlagen. Doch selbst, wenn ihm die Wogen des Schicksals mit hoher Schlagzahl um die Ohren brausen, Gigi bleibt optimistisch: irgendwo wird sich schon ein (mörderischer) Ausweg finden lassen.

Gigi Vianello hat sein Leben im Griff. Denkt er jedenfalls. Denn, was da alles so sauber durchgeplant und geistig verwaltet wurde, hängt plötzlich an einem seidenen Faden. Denn obwohl er den Frauen in seinem Leben bestenfalls einen Status als Mätresse zugesteht, erweisen sie sich als Fallstricke, die selbst einen skrupellosen Lebemann wie ihn straucheln lassen. Viel zu verliebt in sich selbst und seinen genau ausgearbeiteten Masterplan, bemerkt Gigi nicht, dass er dabei ist, den Karren immer tiefer in den Dreck zu fahren. Als Wolf unter Wölfen, muss er feststellen, dass es gar nicht einfach ist der Lenker des eigenen Lebens zu sein, wenn nur Profitgier die Antriebsfeder ist. Zu schnell werden aus Verbündeten Aasgeier, die mit scharfem Blick über Vermögenswerten und Vertriebswegen kreisen. Und niemand ist da, der einen fängt, während man fällt. Außer dem unveränderlichen Optimimismus, geboren aus dem Glauben an das korrumpierte schwarze Herz der Menschheit, der noch in der letzten Sackgasse eine Durchgangsstraße sieht.

Gigi Vianello ist ein Verwandter Tom Ripleys. Ausgestattet mit gutem Aussehen, Charme, Eloquenz und Amoralität, unterscheiden sie sich allerdings in einem wesentlichen Gesichtspunkt. Tom Ripley ist in der Lage zu lieben, er mordet zwar - wie Gigi - um seinen Status Quo zu sichern, aber er sorgt sich um etwas, dass größer ist als er selbst. Gigi hingegen ist beständig unterwegs. Er benutzt seine Mitmenschen als Vehikel, die ihn von einem Punkt zum nächsten bringen. Und wundert sich, wenn ihm das übel genommen wird. Eigentlich nicht ganz zu Unrecht, denn Gigi ist ein Spiegelbild jenes radikalen Erfolgsstrebens, das im Kapitalismus gern als Glücksgarant gilt.

Während er selbst penibel auf seine Gesundheit achtet, sich nur aus biologischem Anbau ernährt, hat er keine Bedenken, kontaminierte Lebensmittel großflächig zu verscherbeln. Abate und Carlotto lassen ihren Protagonisten einige findige Varianten präsentieren, wie minderwertige Abfallstoffe in kostspielige Luxusgüter verwandelt werden. Der aus Rumänien stammende "Serrano"-Schinken voller Keime und Bakterien? Eine Extra-Portion Salz dran und das Ganze wird den halbtoten Geschmacksnerven der Endverbraucher schon munden. Gigi kennt sich aus, deshalb bekommt auch jeder, der ihm mit Magengrimmen über den Weg läuft, den Tipp: "Ist vermutlich eine Lebensmittelvergiftung" Doch die Betroffenen wiegeln entsetzt ab und verweisen auf eine grassierende Magen-Darm-Grippe. Und Gigi lächelt dazu, bekommt er doch wieder belegt, dass die Welt betrogen sein will. Ein einziges Mal könnte Vianellos Umwelt den Romantitel für bare Münze nehmen; doch das verpufft im Leeren, im Selbstbetrug.

Ich vertraue dir ist voll solcher satirischer Spitzen, vermeidet es aber zur reinen Nummernrevue zu werden. Dem Roman gelingt das Kunststück, dem Leser seinen eigentlich von Grund auf unsympathischen Protagonisten nahe zu bringen. Je weiter sich Gigi von Desaster zu Desaster hangelt, um so mehr steigt die Spannung und die bange Frage, ob es ihm wohl gelingen wird, seinen Hals aus den diversen ausgeworfenen Schlingen zu befreien.

Exzellent geschrieben, hält Ich vertraue dir die Waage zwischen sarkastischem, gesellschaftskritischem Diskurs und spannender Erzählung. Zugleich spielt er mit Metaebenen, in dem er seinem Protagonisten die Sehnsucht zugesteht, dass eigene Leben als Film mit dem passenden Soundtrack zu erträumen. David Bowie ist der Wunsch-Komponist, den Gigi als Seelenverwandten sieht, da ihn die gleiche körperliche Anomalie von der Masse abhebt: Augen von verschiedener Farbe. Ausgerechnet hier beweist Gigi analytische Klarsicht, er gestattet sich zwar zu träumen, beschließt aber jeden Absatz mit dem resignierten Schluss, dass das Leben kein Film ist. Leider versäumt er, Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Und die klugen Autoren lassen ihn gewähren. Auf das Fortsetzungen folgen mögen.

 

"Wenn dies ein Film gewesen wäre. Wenn dies die Szene eines Films gewesen wäre, hätte jetzt die Filmmusik eingesetzt und die Bilder kommentiert. Vielleicht ein lang gezogener Ton und ein mitreißender Song. Vielleicht Starman, mit der jungen Stimme von David Bowie. Aber es war kein Film, und es gab keine Musik."

 

Wenn Ich vertraue dir ein Film wäre und der passende Titelsong dazu gesucht würde: Always Crashing In The Same Car wäre die erste Wahl. Natürlich vom jungen David Bowie, der den Geist des Romans vollkommen trifft:

 

Every chance, every chance that I take
I take it on the road
Those kilometers and the red lights
I was always looking left and right
Oh, but I'm always crashing in the same car

 

Knapp, präzise, wahr. Auch wenn es (noch) kein Film ist.

Ich vertraue dir

Massimo Carlotto, TechniSat Digital, Radioropa Hörbuch

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