Das rote Zimmer
- Bertelsmann
- Erschienen: Januar 2002
- 19
- London: Michael Joseph, 2001, Titel: 'The Red Room', Seiten: 339, Originalsprache
- München: Bertelsmann, 2002, Seiten: 415, Übersetzt: Brigitte Moosmüller
- München: Goldmann, 2004, Seiten: 415
- München: Goldmann, 2007, Seiten: 415
Die spezifisch weiblichen Sichtweise
Dr. Kit (die Kurzform von Katherine) Quinn ist eine erfahrene Psychiaterin. Eines Abends erhält sie Besuch von der Londoner Mordkommission. Zum Glück hat sie nichts ausgefressen, sondern soll lediglich helfen, den Mord an einem jungen Mädchen aufzuklären, das an einem Kanal gefunden wurde. Die Leiche der Unbekannten ist übel zugerichtet: zahlreiche Stichwunden.
Inspektor Gil Furth hat bereits einen Verdächtigen: den vorbestraften Arbeitslosen Michael Doll. Kit kennt den Mann: Er hat sie drei Monate zuvor bei einer Routinebefragung angegriffen und schwer im Gesicht verletzt. Doll hat die Leiche gefunden und wurde gleich verknackt. Am liebsten würden die Polizisten den verhaltensgestörten Doll einsperren und den Schlüssel wegwerfen.
Doch Kit, die zwischen Mitleid und Angst hin und her gerissen ist, zwingt die Polizei, ihr vorschnelles Urteil zu überdenken und Doll freizulassen. Die Beweise sind einfach zu fadenscheinig. Kit stößt am letzten Aufenthaltsort der Ermordeten auf eine weitere zwielichtige gestalt: Will Pavic ist der Leiter des Jugendhauses, in dem jugendliche Ausreißer wie die ermordete Lianne ein- ausgehen. Pavic sieht gut aus, doch warum hat er seine Karriere als Börsenmakler und Investmentbanker aufgegeben, um in diesem Dreckloch zu schuften?
Nachdem Kit den Tatort eines weiteren Frauenmordes in Hampstead begutachtet hat, zieht sie eine verblüffende Verbindung zwischen den beiden Toten. Obwohl die Polizisten an ihrem Verstand zweifeln, veranlassen sie einen Fasernvergleich: Volltreffer! Und wer wird Held des Tages? Natürlich Oberinspektor Oban und nicht etwa Kit Quinn.
Bei ihren Nachforschungen beginnt Kit eine heiße Liebesaffäre mit Will Pavic, und uns schwant schon Übles. Als eine weitere Frau überfallen wird, aber lebend davon kommt, taucht nun wieder der unheimliche Michael Doll auf. Wenig später erfüllt sich Kits Schreckensvision von einem roten Zimmer: Die Wohnung Dolls ist voller Blut...
Wer ist der Frauenmörder wirklich? Und wird Kit sein nächstes Opfer?
Nach dem extrem dichten und spannenden Sommermörder wurde ich mit "Das rote Zimmer" leicht enttäuscht. Ich hatte eine spannendere, schnellere Handlung erwartet. Aber French macht es dem Leser nie leicht. Es dauert eine ganze Weile, bis ihre Heldin das vielschichtige Puzzle aus Indizien zusammengesetzt hat. Im vorliegenden Buch dauert es bis fast zur letzten Seite. Man sollte also Geduld aufbringen.
Quinn ist selbst frühzeitig eine Waise geworden, als sie ihre Mutter verlor. Wohl deswegen verspürt sie ein hohes Maß an Mitgefühl für jene jungen Menschen, die, wie die tote Lianne, auf der Schattenseite des Lebens stehen und keinen Fuß auf die Erde kriegen. Die im Gegenteil sogar noch dafür verachtet und an den Rand verbannt werden.
Für Kit wird die Suche nach dem Frauenmörder nicht nur ein gewöhnlicher Kreuzzug gegen das Verbrechen, sondern eine persönliche Suche nach Erlösung von dem Trauma des Verlassenwerdens, des Ungeliebtseins. Daher auch die Alpträume vom roten Zimmer: Dort warten die schlimmsten Ängste. Man sollte die Tür stets fest geschlossen halten. Manchmal geht das aber nicht.
In den Gesprächen mit den jugendlichen Ausreißern, aber auch mit den Hinterbliebenen der getöteten Frau eines wohlhabenden Mannes stößt Kit immer wieder auf die eigene Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit. Daher lässt sie sich auf einen Mann wie Will Pavic ein: "the comfort of strangers".
Die Aufklärung des Falls erschien mir keineswegs zwingend. Vielleicht ist die Lösung nur für eine Frau, namentlich eine Mutter offensichtlich und nachvollziehbar. Daher erschien mir der Handlungsverlauf relativ willkürlich, wenn er auch stets überschaubar bleibt: Das Personal ist nur ein kleiner Kreis aus Verdächtigen. Immerhin gibt es gegen Schluss einen gefährlichen Showdown, der der zu einer Lösung aus einer völlig unerwarten Richtung führt.
Unterm Strich ist "Das Rote Zimmer" rin psychologischer Thriller der Mittelklasse, der es zwar nicht mit Größen wie Jeffrey Deaver, Michael Connelly und Dennis Lehane aufnehmen kann, aber dafür mit einer spezifisch weiblichen Sichtweise aufwartet und so die Ermittlungen aus einem völlig anderen Blickwinkel als sonst angeht - vielleicht ähnlich wie bei Minette Walters und Patricia Cornwell.
Nicci French, Bertelsmann
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