Tiere

  • rororo
  • Erschienen: Januar 2011
  • 93
  • London: Allison & Busby, 1995, Titel: 'Animals', Seiten: 224, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: rororo, 2011, Seiten: 288, Übersetzt: Andree Hesse
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Jürgen Priester
10°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2009

Endlich: Es ist vollbracht!

Die Worte der Überschrift mögen im Zusammenhang mit einem zu rezensierenden Roman ein wenig blasphemisch klingen, aber sie beschreiben das Ende der leidvollen Aufarbeitung von Simon Becketts Backkatalog. Alle, die sich versehentlich oder wider besseren Wissens dieses Machwerkes angetan haben, werden den Seufzer der Erlösung verstehen, den man am Ende der Lektüre ausstößt. Tiere (Animals, 1995) ist nach dem feinsinnigen Thriller (O-Ton,Beckett) Voyeur der zweite Roman aus der frühen Schaffensperiode (1994 - 1998) des Künstlers. Hatte sich für Voyeur (Fine Lines), damals noch als Galerie der Verführung ein deutscher Verlag (Droemer/Knaur) erbarmen können, sind die drei Folgeromane wohlweislich vom deutschen Verlagswesen ignoriert worden, obwohl gerade das hier vorliegende Tiere im Original mit dem Marlowe-Preis 1996 der Raymond Chandler-Gesellschaft ausgezeichnet wurde. Welchen Stellenwert man dieser Auszeichnung auch immer beimisst, den Autor erfüllt sie mit Stolz, wie er im Vorwort zur deutschen Erstausgabe von Tiere (2011) schreibt.

Sechzehn Jahre lag Animals verstaubend im Archiv und wäre dort mit Sicherheit auch liegen geblieben, wenn nicht mit Die Chemie des Todes (2006), dem ersten Roman der David-Hunter-Reihe, eine Beckett-Hysterie in Deutschland ausgebrochen wäre. Im Folgenden veröffentlichte der Rowohlt-Verlag Romane aus der überschätzten Hunter-Reihe und Becketts Frühwerke fragwürdiger Qualität im Wechsel – eine Strategie, die jedes Buch an die Spitzen der Hitparaden beförderte. Das Gesamtwerk des Autors wurde maximal ausgeschlachtet und optimal vermarktet - zwei durchschnittliche Krimis (Die Chemie des Todes & Kalte Asche) im Konzert mit sechs Nieten, unter denen Tiere den absoluten Tiefpunkt darstellt.

Tiere ist weder Thriller, wie ganz unverfroren auf dem Cover geschrieben steht, noch Roman. Bestenfalls könnte man es als unnötig in die Länge gezogene Kurzgeschichte bezeichnen, in der ein junger Mann einige Tage aus seinem Leben schildert.

Nigel ist Bürogehilfe im örtlichen Arbeitsamt und übt einfachste Tätigkeiten wie Fotokopieren und Botengänge aus. Er ist schlichten Gemüts und ohne Arg, deshalb ist er allseits wohlgelitten. Sein schüchternes, manchmal tolpatschiges Verhalten reizt die Kollegen dazu, harmlosen Schabernack mit ihm zu treiben, was er ihnen aber nicht übel nimmt. Außerhalb der Arbeit hat Nigel wenig soziale Kontakte. Er lebt allein in dem geschlossen Pub seiner verstorbenen Eltern. Fernsehen und Comics lesen füllen seine freie Zeit aus, wenn er sich nicht gerade um die Menschen kümmern muss, die er in seinem Keller gefangen hält. Warum er sie dort eingesperrt hat und wie Tiere behandelt, weiß er gar nicht so richtig. Eigentlich bedeuten sie ja nur Stress und Arbeit. Als seine Kolleginnen Karen und Cheryl zu Besuch kommen, hat Nigel nur Angst, dass sie seinem Geheimnis auf die Spur kommen könnten, was sie dann auch tun. Das war´s!

Was will uns der Autor mit dieser kleinen Geschichte sagen? Wenn überhaupt etwas! Anscheinend hat die Geschichte so viel Erklärungsbedarf erzeugt, dass der Autor sich für die deutsche Ausgabe zu einem klärenden Vorwort genötigt sah. Darin ist von mein bösester Roman...mit viel schwarzem Humor, denn der Leser soll lachen... die Rede. Von Humor, welcher Couleur auch immer, ist in dieser Geschichte nichts zu entdecken, wenn man davon absieht, dass da mal einer über eine Tasche stolpert oder ein anderer sich ein Bier über die Hose kippt, aber wer kann noch über solch infantilen Klamauk lachen? Richtig übel wird es, wenn man den Kern der Geschichte überdenkt: Nigel hält sich Menschen wie Tiere. Nicht irgendwelche Menschen, sondern die Ärmsten der Armen – Ausgestoßene, die eh am Rande der Gesellschaft leben – Obdachlose, Prostituierte, Alkoholiker und Junkies. Sie vegetieren dahin in Nigels Keller unter katastrophalen hygienischen Bedingungen, erniedrigt und gefoltert von einem harmlosen Bürschlein, der sogar Todesfälle billigend in Kauf nimmt. Ist das stimmig? Ist das lustig? Den Rezensenten hat das nur abgrundtief traurig gestimmt. Wieder mal einer, der sich auf Kosten Wehrloser zu amüsieren scheint. Passend zu noch ein Zitat aus dem Vorwort: "Keine Figur hat mir beim Schreiben so wenig Mühe gemacht wie Nigel, was bei näherer Betrachtung etwas bedenklich ist". So viel Selbsterkenntnis ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Man will Simon Beckett nicht unterstellen, absichtlich in die falsche Schublade gegriffen zu haben. Festzustellen bleibt, dass sein Projekt "Versuch´s mal mit Humor" gründlich gescheitert ist. Manchen Menschen ist halt kein Humor gegeben oder sie sind unfähig, ihn in Worte zu fassen.

Nicht nur der Autor entlarvt sich hier, sondern auch die Person im Rowohlt-Verlag, die für die Überschrift auf der Rückseite des Buches verantwortlich ist. Dort steht geschrieben: - Manche Menschen sind wie Tiere – Wen meint er damit? Wohl kaum die armen eingepferchten Menschen, die ihre Verständnislosigkeit, ihre Ohnmacht durch die Gitter schreien. Auch nicht Nigel, den Erzähler, den der Autor zwar als Monster mit menschlichem Antlitz bezeichnet, es aber unterlässt, dessen Psyche entsprechend darzustellen. Es gibt nur einen, der von seinen tierischen Rudimenten dominiert wird – das ist Pete, einer von Nigels Gästen, der anscheinend nichts anderes kennt als Fressen, Saufen und Ficken.

Nach Meinung des Rezensenten dient der zitierte Satz allein dazu, potenzielle Voyeure zum Kauf des Buches zu animieren.

Tiere ist nichts weiter als gut verpackter, geschickt vermarkteter Müll, dessen Veröffentlichung ein Schlag ins Gesicht eines jeden ahnungslosen Lesers ist. Der Aufkleber "Bestseller" spottet dem Inhalt Hohn. Im Verlag reibt man sich genüsslich die Hände, die Enttäuschten und Düpierten gucken dumm aus der Wäsche, der Autor hat seinen guten Namen verspielt.

Das Schlechteste zuletzt zu servieren, war taktisch klug, aber der bittere Nachgeschmack wird den Lesern noch lange auf der Zunge haften. Allen Unentwegten, die immer noch nicht glauben wollen, dass Simon Beckett maßlos überschätzt ist, sei dringend zu Geduld geraten, bis Tiere auf den Grabbeltischen verramscht wird. Dort wird es mit Sicherheit zuhauf zu finden sein.

Tiere

Simon Beckett, rororo

Tiere

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