Weiße Stille
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2009
- 6
- London: Harper, 2008, Titel: 'Blood runs cold', Seiten: 487, Originalsprache
- Bergisch-Gladbach: Lübbe, 2009, Seiten: 381, Übersetzt: Karin Meddekis
- Köln: Bastei Lübbe, 2011, Seiten: 384, Übersetzt: Karin Meddekis
Guter Ansatz – verwirrend ausgeführt
Im beliebten Skigebiet Breckenridge in Colorado wird auf einem Gletscher eine weibliche Leiche gefunden. FBI-Agentin Ren Bryce wird auf ausdrücklichen Wunsch eines Vorgesetzten mit der Leitung der Ermittlungen betraut. Was zunächst wie ein Routinefall aussieht, wird schnell kompliziert, denn die Leiche wird von einer Lawine begraben, bevor sie geborgen werden kann. Indizien deuten darauf hin, dass es sich um eine Bundesagentin handelt, aber niemand kann sagen, was die FBI-Agentin Jean Transom in den Bergen von Colorado wollte. Schwierig wird die Lage auch deshalb, weil Ren ein psychisches Problem hat, von dem niemand weiß. Und ihre Kollegen sind nicht gerade auf ihrer Seite. Als die Leiche schließlich doch geborgen wird, kommen schreckliche Wahrheiten ans Licht.
Wenn Verlage auf den Umschlagseiten von Büchern aus Zeitschriften zitieren, ist meistens Vorsicht geboten. Auf der Taschenbuch-Ausgabe von Weisse Stille wird stolz die "Freundin" zitiert: "Thriller-Queen Alex Barclay taucht tief ein in psychische Abgründe". Naja. Das ist mal wieder so ein Begriff, der sich im Marketing sicher gut macht, mit dem der Leser aber nun gar nichts anfangen kann. In dieser oder ähnlicher Ausprägung beanspruchen sicher einige dutzend Schriftstellerinnen die Krone der besten Thriller-Autorin. Ich wäre mit so einem Superlativ eher vorsichtig, und für Alex Barclay würde ich den Titel schon gar nicht gelten lassen, nicht nach der Lektüre dieses Buches. Das mit den psychischen Abgründen stimmt durchaus, aber daraus hätte man einfach mehr machen müssen. Das zweite Zitat auf dem Buchumschlag stammt vom NDR: "Geschickt erzählt, spannend und voller Bosheit". Auch hier gibt es von meiner Seite Widerspruch. Spannend ist das Buch schon, aber von geschickt erzählt kann keine Rede sein.
Es ist mitunter ein schmaler Grat, den eine Autorin beschreiten muss. Von einem guten Spannungsbogen, der durch falsche Fährten und geschickte Ablenkungen unterstützt wird zu unnötiger Verwirrung und Orientierungslosigkeit ist der Weg mitunter nicht weit. Bei netten Nebengeschichten bin ich ja durchaus tolerant. Aber der Sex von Ren Bryce mit dem Wirt einer schmierigen Kneipe, der auch Informant ihrer getöteten Kollegin war, bringt die Geschichte nicht wirklich voran. Es ist ja leider derzeit unumgängliche Mode, das Liebesleben der Protagonisten geradezu zwanghaft in die Story einzubauen, aber dann muss es wenigstens geschickt passieren, und die Handlung auch weiter bringen. Davon kann hier leider keine Rede sein.
Mit 380 Seiten ist das Buch außerdem deutlich zu lang geraten, hätte Barclay etliche sinnfreie Dialoge – wie bei der Suche nach einem Parkplatz, der den Leser endlos langweilt – weggelassen, hätte ein knackiger und lesbarer Roman daraus werden können. Denn die Geschichte ist eigentlich gut, und wird nur durch die Seitenschinderei, die zu zahlreichen Ablenkungen und die schlechten Dialoge völlig "zerschossen". Es geht im Kern um die psychischen Probleme von Undercover-Agenten, um den schmalen Grad zwischen guter Ermittlungsarbeit und kriminellem Handeln, und um Professionalität und Frauenfeindlichkeit in der Polizeiarbeit. Genug Themen, um daraus einen wirklich guten Thriller zu machen. Es kann jedoch nicht nur an einer unter Umständen mangelhaften Übersetzung liegen, dass die Dialoge so quälend langweilig und sinn-frei sind. Ein wenig roter Faden muss schon sein, und wenn sich der Leser diesen roten Faden aus allerlei kryptischen Andeutungen selbst weben muss, wird er das Buch im Zweifelsfall bei der Hälfte der Seiten in die Ecke feuern.
Zunächst wird also endlos lange viel zu viel ausgebreitet und ausgewalzt. Aber am Ende geht alles ganz schnell, viel zu schnell. Auf wenigen Seiten und in dürren Worten werden die zuvor höchst rätselhaften Verbrechen aufgeklärt und erläutert, über deren Hintergründe der Leser bis kurz vor Schluss völlig im Dunkeln gelassen wurde. Bei Romanen soll man ja auch nicht zu sehr auf Glaubwürdigkeit pochen, aber die Art und Weise, wie die eigentlich psychisch belastete Super-Agentin Ren Bryce im Finale plötzlich per Geistesblitz zur Lösung verschiedener Fälle kommt, lässt dann doch die Kinnlade herunter klappen. Vielleicht muss das bei einer Thriller-Queen so sein. Aber für mich ist das dann leider kein lesbares Buch.
Alex Barclay, Lübbe
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