Echo Park
- audio media
- Erschienen: Januar 2009
- 16
- New York: Little, Brown, 2006, Titel: 'Echo Park', Seiten: 405, Originalsprache
- München: audio media, 2009, Seiten: 6, Übersetzt: Frank Engelhardt
- München: Heyne, 2010, Seiten: 464, Übersetzt: Sepp Leeb
Ein Cop im Strudel von Korruption und Killertücke
Seine Tätigkeit in der Abteilung "Offen - Ungelöst" des Los Angeles Police Department bietet Detective Hieronymus "Harry" Bosch die Möglichkeit, sich mit dem Verschwinden der jungen Marie Gesto zu beschäftigen - ein Fall von 1993, den er nie hatte lösen können. Dreizehn Jahre später hat sich Bosch wieder einmal in die alte Akte vertieft, als diese von der Bezirksstaatsanwaltschaft angefordert wird: Der Doppelmörder Raynard Waits, den man mit den zerstückelten Leichen zweier Frauen ertappte, hat dem Ankläger Rick O'Shea einen Deal angeboten. Wandelt man die Todesstrafe, die ihn erwartet, in lebenslängliche Haft um, will er sich zu neun weiteren Morden bekennen; unter den Opfern ist auch Marie Gesto.
Für O'Shea, der für das bald vakante Amt des Bezirksstaatsanwaltes kandidiert, wäre die Überführung eines Serienkillers im Wahlkampf überaus hilfreich, weshalb er einwilligt. Bosch lässt sich nicht ausbooten und wird mit an Bord der Ermittlungskommission genommen. Bei einer Durchsicht der Fallakten wird festgestellt, dass Waits offenbar 1993 Kontakt zum damals ermittelnden Bosch und seinem Partner aufgenommen hatte, die dem Hinweis aber nie nachgegangen waren. Sein schlechtes Gewissen lässt Bosch nun umso aktiver werden.
Als Waits die Polizei zu Maries Grab führt, kommt kann der Killer einem der Wächter seine Pistole entreißen. Er richtet ein Blutbad an und entkommt. Während sich die beteiligten Behörden noch gegenseitig die Schuld zuschieben, kommt Bosch einer Verschwörung auf die Spur: Waits hat Marie Gesto nicht umgebracht, sondern den Mord auf sich genommen. O'Shea wurde offensichtlich geschmiert, und Bosch meint den Anstifter zu kennen: Sein Hauptverdächtiger im Mordfall Gesto war seit jeher Anthony Garland, der nichtsnutzige Sohn des Ölmagnaten "T. Rex" Garland, der O'Sheas Wahlkampf finanziell unterstützt.
Dass man sich mit dem skrupelfreien Senior lieber nicht anlegt, bekommt Bosch rasch zu spüren. Garland lässt seine politischen Verbindungen spielen, um den lästigen Polizisten auszumanövrieren. Freilich ist Harry Bosch ein Mann, den Druck eher motiviert. Er nimmt den ungleichen Kampf auf - und zahlt seinen Preis dafür ...
Das Dutzend ist voll!
Zum zwölften Mal ermittelt Harry Bosch, und man folgt seiner erst vergeblichen, dann zielstrebigen aber immer fesselnden Suche nach einem wahnsinnigen aber schlauen Serienkiller, hinter dem plötzlich noch monströsere Kapitalverbrecher zum Vorschein kommen, weiterhin mit einer Aufmerksamkeit, die keineswegs selbstverständlich für eine schon so viele Jahre laufende Reihe ist. Dabei bietet Echo Park von der Plot-Konstellation keineswegs Neues: Harry Bosch ermittelt, gerät in Sackgassen oder irrt sich, gräbt unermüdlich weiter und legt sich nicht nur mit dem LAPD, sondern auch mit anderen Behörden an, stößt privilegierte Politiker und Wirtschaftsbosse vor den Kopf, wird getäuscht und betrogen, zeigt den Medien den Stinkefinger und hat trotzdem genug Zeit, sich zu vielen alten noch neue Feinde zu machen. Das wird erneut spannend und temporeich geschildert, wobei Connelly seine intime Kenntnis moderner "police procedurals" ebenso geschickt einfließen lässt wie sein Wissen um die für Los Angeles spezifischen, von Klüngel und Korruption gezeichneten politischen Verhältnisse.
Echo Park ist vordergründig der Name einer ausgedehnten Parkanlage im Nordwesten der Cluster-Großstadt Los Angeles. Hier verbirgt sich der Killer Raynard Waits, der sich nach der Fabelgestalt Reineke Fuchs benannt und seine eigene Fluchtburg Malepartus eingerichtet hat. Der Titel und damit der Roman Echo Park besitzt eine zweite Bedeutungsebene: Die Ereignisse der Gegenwart stellen Echos der Vergangenheit dar. Das betrifft nicht nur Waits, sondern auch Harry Bosch. Beide sind Waisen, die von den Jugendbehörden nicht betreut, sondern verwaltet und vernachlässigt wurden. Die erlittenen Leiden lassen sie nicht los, doch die Reaktionen sind unterschiedlich. Waits bzw. Connelly findet dafür ein Bild: Zwei Hunde stehen vor der Entscheidung, die Hand, die sie füttert, zu beißen oder zu verschonen. Raynard entschied sich für Mord, Bosch für den Kampf gegen das Verbrechen, den er mit manchmal selbstzerstörerischer Kompromisslosigkeit führt.
Im Tunnel mit den Ratten
Harry Bosch hat seine Schwierigkeiten mit den Polizeidienst. Die benötigt er aber offensichtlich, um sich richtig lebendig zu fühlen. Seit er ins Los Angeles Police Department zurückgekehrt ist, lesen sich seine Abenteuer jedenfalls so spannend wie vor dem Intermezzo, das ihn als eher unzufriedenen Privatdetektiv zeigte. Bosch gibt inzwischen selbst zu, dass er den LAPD-Apparat, mit dem ihn eine innige Hassliebe verbindet, benötigt, um mit dem Gesetz im Rücken seine Mission zu erfüllen: die Jagd nach den richtig dicken Fischen im Teich der Kapitalverbrecher.
Sein Kampf mit den Windmühlen vor allem der politischen Realität stellt eine Konstante der Harry-Bosch-Romane dar. Autor Connelly, der auch ein versierter Kriminalreporter ist, kennt sich in der Materie ausgezeichnet aus. Machtkämpfe und Intrigen weiß er so spannend wie die Jagd auf den Verbrechen zu präsentieren. Was eigentlich deprimieren müsste, wird durch den Einfallsreichtum erträglich, mit dem sich Bosch seiner Peiniger erwehrt.
Dieses Mal kehrt Harry wieder einmal und gleich zweifach in seine problematische Vergangenheit zurück. Er ist ein Heimkind, das keine erfreulichen Erinnerungen an seine Jugend hegt, um es beschönigend auszudrücken. Außerdem ist er eine "Tunnelratte", ein ehemaliges Mitglied jener Spezialeinheit, die im Vietnamkrieg in die verzweigten, mit Todesfallen gespickten Tunnelkomplexe des Vietkong eindrang, um den Gegner in tiefer Finsternis zu stellen. Die dabei erworbene Mischung aus Kaltblütigkeit und Todesverachtung veranlasst Bosch, Waits in dessen unterirdische Burg zu folgen. Zwar widerspricht dies sowohl der Dienstvorschrift als auch dem gesunden Menschenverstand, doch das kann Bosch nicht aufhalten. Später entfährt ihm dazu der nur vorgeblich scherzhaft gemeinte und verräterische Satz: "Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt." (S. 390)
Einfache Lösungen gibt es nicht
Connelly schafft es, der ausgelaugten Figur des Serienkillers neues Leben einzuhauchen. Raynard Waits ist gleichzeitig erbarmungsloser Täter und bedauernswertes Opfer. Darüber hinaus ist er ein Katalysator: Der monströse Mörder dient als Bauer in einem ungleich größeren Schachspiel. Hinter Waits stehen Machtmenschen, die sich selbst die Finger nicht schmutzig machen und sich über das Gesetz erhaben fühlen. Die daraus resultierende Hilflosigkeit von Justiz und Gerechtigkeit treiben Bosch endgültig über die dünne rote Linie. Hat er sich im Kampf mit Waits bereits in vorsätzlich selbst geschürte Lebensgefahr gebracht, nimmt er nunmehr das Recht in die eigene Hand, wird zum Richter und indirekt zum Henker, auch wenn er selbst die Todesschüsse auf den Drahtzieher nicht abgibt. Damit verrät er manische Züge, die ihn durchaus in die Nähe von Raynard Waits rücken.
Die seelischen Konflikte des Harry Bosch sind fixes Element der Serie. Dass sie nicht wie viel zu oft im modernen Thriller üblich in seifenoperhaftem Geplänkel versanden, verdanken sie dem Talent eines Autors, der vordergründige Handlung und hintergründige Charakterzeichnung sorgfältig auszutarieren vermag. Auch nach seiner zwölften Auftritt wissen wir längst nicht alles über Harry Bosch, der sich langsam aber stetig weiterentwickelt. Wenn Echo Park ausklingt, hat Bosch seinen Job, seine Partnerin und seine Geliebte verloren. Die Karten sind neu gemischt. Das macht neugierig auf die Fortsetzung.
Michael Connelly, audio media
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