Dein Wille geschehe
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2009
- 54
- New York: Doubleday, 2008, Titel: 'Shatter', Originalsprache
- Freiburg im Breisgau: Audiobuch, 2009, Seiten: 6, Übersetzt: Arnold, Frank
- München: Goldmann, 2010, Seiten: 567
In der Königsklasse der Thriller-Autoren
Als der Psychologie-Professor Joe O'Laughlin zu einem besonderen Einsatz gerufen wird, glaubt er noch daran, dass vielleicht LSD im Spiel sein könnte: Eine bis auf ihre roten High Heels vollkommen unbekleidete Frau steht auf einem schmalen Brückenvorsprung und stürzt sich ohne sich auf seine Rettungsversuche einzulassen, in die Tiefe. Grundsätzlich wäre dieser Fall damit zu den Akten gelegt, aber es tauchen immer weitere Fragen auf: Was bewegt eine vollkommen normale Mittvierzigerin dazu, diesen bizarren Selbstmord zu verüben? Warum wählt eine Frau, die unter panischer Angst vor Höhen litt, gerade diese Todesart? Warum hat die Verstorbene bis zu der Sekunde ihres Sprungs mit einem Unbekannten telefoniert?
Joe muss zu seinem Leidwesen feststellen, dass diese Fragen keinen Einfluss auf die Ermittlungsarbeit der Polizei auswirken, denn hier wird der Fall nach wie vor als Selbstmord behandelt. Aber wozu hat man schließlich gute Freunde und so kontaktiert der Psychologe seinen alten Freund Vincent Ruiz, der als ehemaliger Polizeibeamter mittlerweile in den Ruhestand getreten und daher ohnehin für Ablenkungen dankbar ist. Mit Hilfe von Ruiz nimmt O'Laughlin den Todesfall genauer unter die Lupe und kann tatsächlich die Polizei dazu bewegen, ihre Ermittlungen wieder aufzunehmen. Denn - welche Selbstmörderin würde bei ihrer Fahrt zu dem Ort ihres Todes noch mit einem Hilferuf, den sie mit Lippenstift auf einen Pappkarton geschrieben hatte, um Rettung flehen?
Endgültig überzeugt wird die Polizei durch einen zweiten bizarren Todesfall im unmittelbaren Freundeskreis der vermeintlichen Selbstmörderin. Ihre Geschäftspartnerin Sylvia wird ebenfalls tot aufgefunden. Mit Handschellen an einen Baum gekettet, nackt wie ihre Freundin und lediglich mit High Heels bekleidet musste sie stundenlang ausharren, ehe der Tod ihren Qualen ein Ende bereitete. Aber auch hier fanden sich am Tatort keine Hinweise auf eine Fremdbeteiligung. Allein das Mobiltelefon, das auch offensichtlich hier wieder eine wichtige Rolle spielte, belegt, dass auch dieses Opfer nicht aus freiem Willen handelte, sondern sein Wille durch einen perfiden Einflüsterer systematisch gebrochen wurde.
O'Laughlin und Ruiz erkennen im Fortlauf ihrer Ermittlungen, dass insbesondere ein Werkzeug dazu geeignet ist, die vollkommene Kontrolle über einen Anderen zu erlangen: Die Sorge um ein Kind. Beide Opfer mussten kurz vor ihrem Tod annehmen, dass sich ihre Töchter in der Hand eines wahnsinnigen Psychopathen befand, dessen Drohung die Mädchen zu vergewaltigen neben den anderen Torturen, die er für sie ausersehen hatte, fast als das kleinste Übel erschienen.
Mit Hilfe der Polizei gelingt es dem eigenwilligen Ermittlungsduo schließlich auf die Spur des eiskalten Psychopathen zu kommen und dabei kommen sich Ermittler und Gejagter so nahe, dass Joe O'Laughlin zuletzt aus eigener Anschauung erfahren muss, wie sich die Opfer vor ihrem Tod gefühlt haben.
Michael Robotham lässt seinen Protagonisten Joe O'Laughlin in konsequentem Präsens seine Erlebnisse und seine Gedanken niederlegen und trifft sich so mit dem Leser auf Augenhöhe. Hier wird keine Vergangenheit erzählt, die mittlerweile bewältigt wurde, sondern der zunehmende Schrecken verbreitet sich im Hier und Jetzt und bindet den Leser unmittelbar ein. Diese Einbeziehung beschränkt sich dabei nicht allein auf die Klärung der Todesfälle, sondern auch auf das Privatleben des unter Parkinson leidenden Helden, das schrittweise ebenfalls auf den Abgrund zutaumelt. Auch hier kann der Leser erkennen, wie sich sukzessive dunkle Wolken zusammenbrauen und manchmal wünscht man sich doch wirklich ein interaktives Buch, in dem man den einen oder anderen Ratschlag platzieren könnte. So wie zum Beispiel den, dass man sich auf der wichtigen Geschäftsparty der erfolgreichen Ehefrau nicht betrinken sollte, will man sich nicht bis auf die Knochen blamieren.
Dein Wille geschehe besticht insbesondere durch die genaue Beobachtung und die vielen Details, mit denen der Autor das anfangs noch ruhige dörfliche Leben des Protagonisten beschreibt. Dabei werden nicht nur die kuriosen Nachbarn und Traditionen des Dorfes durch Joe's trockenen Humor karikiert sondern auch sein eigener, unwillkommener Untermieter "Mr. Parkinson". Das hier die "Political Correctness" teilweise auf der Strecke bleibt, ist sicherlich ein weiterer Pluspunkt dieses Buches.
Zitat:
"..Ich habe Parkinson"
"Schicksal. Kriegt man da eine Plakette?"
"Eine Plakette?"
"Für Behindertenparkplätze. Damit kann man praktisch überall parken. Das Ding ist fast so gut, wie Detective zu sein, nur dass wir auch noch Leute erschießen und schnell fahren dürfen"
Liebevoll und stimmig aufgebaut ist ebenfalls die Figur des Ex-Cops Vincent Ruiz, der allzeit dem Alkohol und den Zigaretten zugeneigt, zur robusten Unterstützung des sensiblen Psychologen stößt und einen witzigen aber auch interessanten Kontrapunkt zu dessen Figur bildet. Hier stellt sich auch nie die Frage, aus welchem Grund sich die beiden in die ungelösten Todesfälle hinein lavieren lassen. Ruiz als pensionierter Polizist ist ganz froh, dass ihm mal wieder etwas Pulverdampf um die Nase weht und O'Loughlin, der aufgrund seiner Erkrankung zum Hausmann mit gelegentlichen Nebenjobs mutierte, leidet unter dem, was vermutlich viele Elternteile im Erziehungsurlaub kennen: Langeweile und unter dem Gefühl der Minderwertigkeit neben einem erfolgreichen Partner.
Diese Minderwertigkeitsgefühle kann man Joe aber auch nicht verdenken, ist seine Ehefrau Julianne nicht nur einerseits schön und klug, sondern andererseits auch erfolgreich und weltgewandt und damit mit Eigenschaften gesegnet, die dem Helden zumindest in seiner jetzigen Position deutlich abgehen. Daher ist durchaus nachvollziehbar, dass der Ich-Erzähler die Karriere seiner Frau entweder mit einem gewissen Desinteresse oder aber auch mit steigender Eifersucht verfolgt. Auch hier teilt der Leser Joe's aufkeimende Zweifel an der ehelichen Treue seiner Frau und ertappt sich wie er selbst in den spannungsgeladensten Momenten bei der Frage "Hat sie nun, oder hat sie nicht?". Dass das Zerbrechen einer derartigen Persönlichkeit wie der von Julianne eine besondere Trophäe im Pokalschrank eines Psychopathen ausmachen würde, ist natürlich nachvollziehbar und so ist es auch nicht unerwartet, dass auch sie in das Visier des Seelenbrechers gerät. Dennoch ist es nicht Julianne, die unter dieser Situation bricht, sondern vielmehr Joe, der doch eigentlich aufgrund seines Berufes gegen solche Situationen gewappnet sein sollte.
Michael Robothan gelingt es bis zum Schluss des Thrillers die Frage spannend zu halten, ob hier tatsächlich die Gerechtigkeit triumphieren kann, trifft sein gesundheitlich beeinträchtigter Held doch auf einen Gegenspieler, der das Handwerk des Folterns von der Pike auf gelernt hat. In Flashbacks berichtet dieser ebenfalls als Ich-Erzähler davon, wie er von seinem Vater die ersten Weihen in der Ausübung körperlicher Gewalt nebst psychologischer Folter erfuhr, die dann anschließend durch seine Tätigkeit als Verhörspezialist einer Sondereinheit in Afghanistan vervollkommnet und verfeinert wurden. Dieser dunkle Protagonist brüstet sich folglich damit, dass er jeden Willen zerbrechen kann und nach der Lektüre des einen mit einer verzweifelten Mutter geführten Telefonates bleiben beim Leser auch keine Zweifel an dieser Fähigkeit. Dennoch ist dieser Seelenbrecher kein absolutes unberechenbares Monster á la Hannibal Lecter. Auch diesem Menschen hat Robotham eine Gefühlswelt und eine Seele verliehen und so ist es auch ein besonderes Schicksal, dass das fast vollendete Werk dieser grundsätzlich eiskalten und grausamen Gestalt letztendlich durch die Liebe zu seiner Tochter gefährdet wird.
Abschließend stellt sich wie in jedem guten Krimi noch die Frage nach Schuld und Sühne. Wie kann eigentlich jemand bestraft werden, der seine Opfer mittels eines Telefonates in den Selbstmord zwingt? Dieser Fall wäre noch ungleich schwieriger gelagert, als seinerzeit die Verurteilung von Charles Manson, der auch bei den Morden seiner "Family" nie anwesend war, aber doch immerhin zumindest als Anstifter bestraft werden konnte. Wie aber hier verfahren? Und was ist überhaupt beweisbar? Hier ist festzuhalten, dass es Robotham gelungen ist, auch diese Frage logisch und schlüssig zu beantworten, denn so wie der Täter durch besondere Umstände erst zu dem gemacht wurde, was er ist, sorgen auch eben diese Umstände dafür, dass Institutionen nach ihren eigenen Regeln handeln und fernab von der Rechtsprechung strafen können.
Michael Robotham, Goldmann
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