Andalusisches Requiem

  • Page & Turner
  • Erschienen: Januar 2009
  • 9
  • München: Page & Turner, 2009, Seiten: 560, Übersetzt: Kristian Lutze
  • München: Goldmann, 2010, Seiten: 480, Übersetzt: Kristian Lutze
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Lars Schafft
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2008

Wenn Abgründe so nah am Guten sind

Es scheint der letzte Teil der Javier-Falcón-Reihe zu werden, daraus machen weder Autor noch Verlag ein großes Geheimnis. Da dürfen die Ansprüche durchaus hoch sein - die eigene Messlatte hat der Brite Robert Wilson mit dem superben Der Blinde von Sevilla, dem aufreibenden Die Toten von Santa Clara und dem erschreckend aktuellen Die Maske des Bösen hoch gesetzt. In jedem der Vorgängerromane stand eine andere Figur im Fokus, die Schlimmes erleiden musste, um sich neu zu (er)finden. Und was die dunklen Machenschaften im andalusischen Sevilla angeht, kristallisierte sich langsam aber sicher ein blutroter Faden heraus. Andalusisches Requiem führt dies nun alles zusammen.

Es ist noch gar nicht lange her, dass ein Bombenanschlag auf ein großes Wohnhaus Sevilla erschütterte. Chefinspektor Javier Falcón fand zwar in Die Maske des Bösen einige Schuldige, doch gelangte er nicht an die Drahtzieher dieses Attentats und schwor sich, alles Erdenkliche zu tun, um sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Genau an diesem Punkt setzt die Handlung in Andalusisches Requiem, dem vierten und vermutlich letzten Teil der Falcón-Reihe, ein. Falcón nimmt sich den Fall noch ein Mal vor, hinterfragt Verhöre, befragt den wegen Mordes angeklagten Staatsanwalt Esteban Calderón und dessen ehemalige kubanische Gespielin.

Kaum dass er sich versieht, überschlagen sich die Ereignisse. Ein Krieg zweier verfeindeter Parteien der russischen Mafia droht in Sevilla auszubrechen, die Kubanerin wird brutalst ermordet, bevor sie ihre Geheimnisse preisgeben kann. Und zu allem Unglück wird der kleine Darío, der Sohn von Falcóns Geliebter Consuelo Jiménez entführt. Vermutlich von der Russenmafia. Doch wer soll in dieser andalusischen Melange aus mafiösen Strukturen, Korruption, Drogen- und Menschenhandel sowie der Verstrickung internationaler Geheimdienste eigentlich noch durchblicken?

Nehmen wir es vorweg: In Andalusisches Requiem steht im Gegensatz zu den anderen Falcón-Bänden nicht eine Person im Vordergrund, sondern die drei, die ihren Frieden suchen: Die Unternehmerin Consuelo Jiménez, der Staatsanwalt Esteban Calderón und Javier Falcón selbst - ein Trio infernale, beständig kurz davor, an sich selbst und den sevillanischen Lebensumständen zu scheitern, um letztendlich dennoch mit einsamen Fähnchen der Moral zu winken. Das Psychologische war schon immer Robert Wilsons Stärke, und auch im vierten Falcón-Fall stechen die hervorragenden Figurenzeichnungen weit aus der Masse aktueller Thriller heraus.

Unterschlagen soll an dieser Stelle jedoch nicht werden, wie hart es in Andalusisches Requiem zur Sache geht: Kleine Kinder werden von, alles andere als gutmütigen, russischen Schlägern entführt, eine Bildhauerin mit einer Kettensäge verstümmelt, Dealer gehetzt und das alles in einem Sevilla, das in einem Sumpf von Korruption und Bandenkriegen unterzugehen droht. Passagenweise geht das Buch dermaßen an die Nieren, dass jeder Leser Verschnaufspausen einkalkulieren sollte. Was natürlich für Robert Wilsons Schreibe spricht, aber dennoch ein Warnschild bedarf.

Kritisch anmerken muss man dazu, dass Andalusisches Requiem auf Vieles von Die Maske des Bösen zurückgreift und dieses auflöst. Leser, die Robert Wilsons Tetralogie ganz für sich entdecken wollen, sei streng dazu geraten, der Reihe nach zu lesen, da alle vier Teile konsequent aufeinander aufbauen und vor allem als Ganzes betrachtet Wilsons Meisterschaft belegen: Handlungsstränge wie Charaktere sind in sich stimmig, höchst zeitgemäß und in all ihren Widersprüchen enorm reizvoll - wenngleich seine Romane nichts für Nebenbei sind. Kriminalunterhaltung auf allerhöchstem Niveau, die in ihren Grundzügen klassischen Tragödien folgt.

Zum Glück schlägt Wilson nicht alle Türen hinter Falcón zu. Irgendwie will man auch nicht glauben, dass in seinen tiefschichtigen Figuren nicht noch genug Stoff für weitere Romane stecken sollte. Abgründe lesen wir fast in jedem Krimi, doch nur ganz selten sind sie so tief wie bei Wilson und noch seltener liegen sie so nah an dem, was wir als das Gute bezeichnen. Andalusisches Requiem ist so abgründig wie gut, allerdings im Sinne von hoher Kunstfertigkeit.

Andalusisches Requiem

Robert Wilson, Page & Turner

Andalusisches Requiem

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