Grabkammer
- Limes
- Erschienen: Januar 2009
- 34
- New York: Ballantine Books, 2008, Titel: 'The Keepsake', Originalsprache
- München: Limes, 2009, Seiten: 413, Übersetzt: Andreas Jäger
- München: Blanvalet, 2011, Seiten: 416
- München: audio media, 2010, Seiten: 6, Übersetzt: Mechthild Großmann
Schmierseifenoper für Hobbyarchäologen
In ihrem siebten gemeinsamen Abenteuer, das allzu viele kollektive Szenen gar nicht besitzt, werden Gerichtsmedizinerin Maura Isles und Detective Jane Rizzoli von Mumien, Schrumpfköpfen, Moorleichen und einer mysteriösen Archäologin auf Trab gehalten. Wenn sich dazu noch verhuschte Professoren, Verwirrungen in Liebesdingen, reiche Machtmenschen und echt gemeine Serienkiller gesellen, ist eine aufregende Zeit vorprogrammiert.
Alles beginnt ganz harmlos, mit dem Kellerfund einer Mumie, die sich als nicht ganz so antik entpuppt wie vermutet. Denn "Madam X" steckt ein Projektil im Bein, welches so gar nicht auf ein lange zurück liegendes Ableben hinweist.
In Windeseile wird aus der interessierten Beobachterin Maura Isles ein fleißiges Arbeitsbienchen, das einen Mord untersucht, der ein knappes Vierteljahrhundert zurückliegt und keine Jahrtausende. Und somit auch zum Fall für Jane Rizzoli und Kollegen Barry Frost wird.
Maura Isles bleibt in diesem siebten Auftritt erschreckend blass. Sie ist eine marginal exponierte Nebenfigur, die immer dann ein wenig rumschnippeln oder Beziehungsprobleme überdenken darf, wenn gerade Luft ist. Die ist zwar meist vorhanden, denn der Fall, bzw. die Mordfälle lösen sich quasi von selbst, aber Maura weiß nicht viel Wissenswertes mitzuteilen. Außer für einen müden und an den Haaren herbei gezogenen Spannungsmoment tritt sie kaum in den Vordergrund.
Ein labyrinthisches Museum, eine Mumie mit rätselhafter Vergangenheit, Geheimräume mit Schrumpfköpfen, da dürften eigentlich die drei Fragezeichen nicht weit sein. Doch weit gefehlt, aus der Schauermär mit detektivischem Hintergrund sollen sich düstere Familiengeschichten entwickeln, Beziehungsepisoden voller manischer Obsessionen. Dazu gruppiert sich noch ein stalkender Serienkiller aus der Plattitüdenkiste, eine dieser finsteren Gestalten, denen man schon in frühester Jugend an den Augen ansieht, dass es böse enden wird. Und genau so kommt es auch.
Trotz des nicht geringen Aufwands plätschert die Geschichte spannungslos vor sich hin, versucht zu punkten, indem Halbtote, Scheintote und ganz Tote sich ein wildes Stelldichein geben. Manchmal darf es auch ein garstiger Verwandter sein, der sich geschickt tarnt, um an vorderster Front agieren zu dürfen.
Gerritsen setzt diese Versatzstücke eher hilflos zusammen, scheut sich auch nicht vor langwierigen Exkursen in archäologische Spezialgebiete, in denen es um die Herstellungsdauer von Schrumpfköpfen und Moorleichen geht, verschwundene Armeen in der Wüste gesucht werden und Museumsarchivare ganze Särge verlegen. Sorgt das Rätsel um die wahre Identität der jungen und natürlich bildschönen Archäologin Josephine Pulcillo zunächst noch für bescheidenen Reiz - obwohl auch hier jedem Leser, der ein Buch mit dem ersten Kapitel beginnt, schnell dämmert, um wen es sich bei ihr handelt - vertändelt sich Gerritsen bald in harmlosen Plänkeleien, die meist damit zu tun haben, das jemand verschwindet und an anderer Stelle wieder auftaucht. Dass sich die Protagonisten bisweilen kreuzdämlich verhalten müssen, damit bestimmte Ereignisse eintreten können, gehört mittlerweile wohl zum Standard solch schwachbrüstiger Kriminalliteratur.
Grabkammer ist nicht mehr und nicht weniger als die durchschnittliche Folge einer belanglosen Krimi-Seifenoper, die nach Schema F gelangweilt abgespult wird. Die eingeflochtenen Beziehungsgeschichten sind von seltener Ödnis und Einfalt. Zu ganz großer Form läuft Gerritsen auf, wenn sie beschreibt wie sich Maura Isles in ungezügelter Liebe ihrem wankelmütigen geistlichen Beistand hingibt. Da wird mit "sündigen Küssen" das weite Feld des Kriminalromans endgültig verlassen und blanker Comedywahnsinn blitzt durch. Nicht gerade solcher der freiwilligen Natur.
Der größte Nachteil des Romans ist allerdings, dass eine kriminalistische Telenovela nach spätestens einer Stunde - inklusive Werbepausen - überstanden ist. Für das wenig nachdenkenswerte Buch, das nicht mal ein Schrumpfköpfchen geistig überfordern würde, braucht man rund das Vierfache an Zeit. Hat dann aber immerhin die niedergeschriebene Anleitung zur Hand, wie man lästig gewordene Feinde, Freunde, Verwandte und Angetraute im Moor konservieren oder bei Bedarf als schmucke Accessoires um den Hals tragen kann. Zumindest in Teilen.
Tess Gerritsen, Limes
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