Mit leeren Händen
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2009
- 2
- Mailand: Frassinelli, 20066, Titel: 'A Mani Vuote', Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009, Seiten: 270, Übersetzt: Karin Rother
Eine Stadt in den Händen des Verbrechens
Es ist drückend heiß in Parma. Jede Bewegung verursacht einen Schweißausbruch, die Menschen kriechen in Ventilatoren, ein Königreich für ein reinigendes Gewitter. Commissario Soneri sitzt in seinem Büro und hört Polizeifunk. Entlassene Arbeiter demonstrieren, Jugendliche randalieren, einem Straßenmusiker wird sein altes Akkordeon gestohlen. Und dann: Mord. Soneri und seine Leute begeben sich ächzend ins Freie.
So beginnt Valerio Varesis Mit leeren Händen, fünfter Band der Reihe um jenen eher pessimistischen und mürrischen, an den neuen, weil deprimierenden Zeiten leidenden Commissario Soneri. Als Urlaubslektüre für Italienfahrer und Liebhaber feinen Parmaschinkens eignet sich keins der Bücher, das nun vorliegende am allerwenigsten.
Ein Mord also. Francesco Galluzzo, der ein Textilgeschäft betrieben hat, ist totgeschlagen worden, unbeabsichtigt wohl, eigentlich wollte man es bei einer Abreibung belassen. Viel weiß man nicht über den Getöteten. Er war noch nicht lange in Parma, stammte aus Kalabrien, wo seine Familie in allerlei Geschäfte verwickelt ist, die, man ahnt es, nicht ganz koscher sind.
Mafia und harte Drogen
Was man auch ahnt: Der Mord an Galluzzo wird in eine Mafiageschichte münden. Nicht harmlose Textilien, sondern harte Drogen dienen dem Broterwerb der Familie Galluzzo und ihren albanischen Geschäftspartnern, Francesco, das schwarze Schaf der Familie und schwul dazu, hat irgendwie gegen die Regeln verstoßen. All das findet Soneri mühsam heraus. Und in Parma brütet weiterhin die Hitze.
Aber Mit leeren Händen ist mehr, viel mehr als der nächste Schmarren innerhalb des aktuellen Mafiakrimibooms. Irgendwann kommt Gerlanda ins Spiel. Er, im legalen Leben Restaurantbesitzer, hat sich als Wucherer die Stadt untertan gemacht. Aber er ist eben nicht die eindimensionale Ausgabe des Bösen. Gerlanda verleiht Geld auf "moralische Art". Wer etwas daraus macht, sich anstrengt und der Krise entkommt, dem steht er hilfreich zur Seite. Wer aber die Chance nicht nutzt und versagt, den nimmt Gerlanda bis zum bitteren Ende gnadenlos aus. Also liebt und hasst man ihn gleichermaßen. Gerlandas Lebensphilosophie ist hart, aber plausibel:
"Ich nehme die Realität zur Kenntnis und glaube, dass es bis in alle Ewigkeit Leute geben wird, die befehlen, und solche, denen befohlen wird. Das Leben ist ein unaufhörlicher Kampf ums Überleben, und wer gewinnt, entscheidet für die anderen. Meine Kunden werden auf die Probe gestellt, und wenn sie verlieren, gehorchen sie. Wenn sie es jedoch schaffen, befreien sie sich: Das ist alles."
Gerlanda und Soneri mögen auf verschiedenen Seiten des Gesetzes stehen, im Grunde aber beurteilen sie das kommende Schicksal der Stadt Parma ähnlich. Die Stadt wird immer korrupter, die Verbrechen verlagern sich in die politischen und gesellschaftlichen Zentralen - und keiner wehrt sich. Auch Gerlanda, der Moralist, wird kapitulieren und den neuen Verbrechern seine Pfründe überlassen. Und Soneri? Man muss nur einen Blick auf den Titel des Buches werfen, um zu wissen, wie der Commissario am Ende dastehen wird.
Hilflos oder aggressiv
Das Spannende an Mit leeren Händen ist Varesis Beschreibung einer Gesellschaft, die in ihren Grundzügen auch längst schon die unsrige ist. Die harten Gesetze der Leistungsgesellschaft, wie sie Gerlanda verkörpert, wandeln sich allmählich zur Gesetzlosigkeit hinter den Kulissen, gegen die nur noch hilflos oder aggressiv protestiert werden kann. Immer wieder beschwört Soneri die Vergangenheit, am Ende bleibt ihm allein seine Freundin Angela, eine Rechtsanwältin, auf die er sich verlassen kann.
Mit leeren Händen ist ein dramaturgisch geschickt inszenierter, wenn auch nicht mit Trillereffekten oder Rätselelementen gespickter Roman über den gesellschaftlichen Wandel. Kleine Punktabzüge gibt es für die manchmal zu demonstrativ ins Bild gerückte Launenhaftigkeit des Protagonisten und sein bisweilen zu lautes Denken, wo es genügt hätte, einfach nur zu beschreiben. Dennoch: lesenswert.
Valerio Varesi, Rowohlt
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