Eine Messe für all die Toten

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 1986
  • 7
  • London: Macmillan, 1979, Titel: 'Service of all the dead', Seiten: 256, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1986, Seiten: 219, Übersetzt: Ute Tanner
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1995, Seiten: 219, Übersetzt: Ute Tanner
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2001, Seiten: 252, Übersetzt: Ute Tanner
  • Zürich: Unionsverlag, 2018, Seiten: 219, Übersetzt: Urs Tanner
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Michael Drewniok
95°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Krimispannung für Kopf und Bauch

Der Pfarrer vermisst Geld aus dem Klingelbeutel und verdächtigt den Küster oder den Organisten. Der Küster findet heraus, dass ihn seine Frau, die Lehrerin, mit dem Organisten betrügt. Die Lehrerin spioniert ihrem Mann, dem Organisten, hinterher und erwischt ihn mit der Kirchen-Putzfrau. Der Pfarrer hat einen kriminellen Bruder, der den Organisten erpresst. Die Putzfrau bekommt davon Wind. Der Organist erfährt von den Gelddiebstählen und verdächtigt den Pfarrer oder den Küster. Der Pfarrer stellt dem Sohn des Organisten nach. Der Organist betrügt seine Geliebte mit einer minderjährigen Schülerin. Dann liegt plötzlich der Küster erstochen in der Kirche, und der Pfarrer springt vom Turm - oder etwa nicht?

Auftritt Chef-Inspektor Morse von der Mordkommission der Thames Valley Police im kleinstädtischen Kidlington nahe der ehrwürdigen Universitätsstadt Oxford. Eigentlich wollte er ja in den Urlaub fahren, doch einem kriminalistischem Rätsel konnte er noch nie widerstehen. Als dann der Hauptverdächtige vom Kirchturm in den Tod stürzt, lässt Morse jede Zurückhaltung fahren. Begleitet vom geduldigen, ob seines eigenwilligen Vorgesetzten Kummer gewöhnten Sergeanten Lewis setzt sich Morse auf die Spur des wahren Täters.

1975 löste er seinen ersten Fall, der bärbeissige, unkonventionelle und höchst erfolgreiche Inspektor Morse, dessen Vornamen Autor Colin Dexter fast zwei Jahrzehnte sorgfältig geheim hielt. Erst in seinem zwölften Fall erfuhren seine Leser (und der viel geprüfte Sergeant Bell), dass seine Eltern Morse "Endeavour", d. h. "Entdecker" oder "Suchender" getauft haben. Ein Suchender ist er tatsächlich, dieser Endeavour Morse, der so gar nichts von einem "typischen" Polizisten an sich hat. Er stammt aus kleinbürgerlichem Haus, konnte aber studieren und hat auf der Universität eine umfangreiche humanistische Bildung erworben, mit der er nicht hinter dem Berg hält - besonders, wenn man ihn langweilt oder reizt. Beides geht rasch, denn Morse ist ungeduldig bis überheblich, kann Dummheit nicht ausstehen und lässt seinen oft schwer nachzuvollziehenden Gedankengängen mit erstaunlichen Ergebnissen freien Lauf. ("Aber da bekamen seine Gedanken schon wieder Flügel und erhoben sich mühelos wie eine Möwe, die über den Klippen schwebt"; S. 46.) Widerspenstigen Verdächtigen und blasierten Vorgesetzten begegnet er gleichmassen mit sorgfältig gewählten Unverschämtheiten.

Seinen Respekt kann man nicht erzwingen, sondern muss ihn sich verdienen, wie es Sergeant Lewis gelungen ist, der ihm im Laufe der Jahre zu einem echten und wohl einzigen Freund geworden ist (auch wenn beide dies lange selbst nicht zu bemerken scheinen). Zur Polizei ist Morse gekommen, weil ihn die Lösung eines realen, möglichst verwickelten Kriminalfalls seit jeher mehr reizte als eine Karriere als Wissenschaftler oder Universitäts-Dozent. Er stochert gern im Privatleben anderer Menschen; dies vielleicht auch deshalb, weil es ihm schwer fällt, persönliche Kontakte zu knüpfen. Morse ist Junggeselle, nicht ganz so freiwillig, wie er gern behauptet, und muss sich oft seiner Einsamkeit stellen.

"Eine Messe für all die Toten" ist das vierte Morse-Abenteuer. Dexter entwirft ein höchst kompliziertes Geflecht persönlicher Beziehungen und Verwirrungen, legt falsche Spuren und präsentiert immer neue Verdächtige. Bis zum Schluss bleiben der wahre Täter und sein Motiv im Dunkeln, wie es sich für einen gelungenen englischen Krimi der etwas altmodischen Art gehört. Mindestens ebenso vergnüglich ist es jedoch, Morse bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Mit trockenem britischen Humor begleitet Dexter seinen Helden, dem er so manche bissige Bemerkung in den Mund legt, bei der Mörderjagd. Doch trotz der beinahe übertrieben verrätselten Handlung und der leicht verschrobenen Charaktere gelingen Dexter auch sehr realistische Beschreibungen, in denen er deutlich werden lässt, wie die Banalitäten des Alltags leben sich plötzlich zu einer Tragödie aufschaukeln können.

Fazit: ein rundum gelungenes Lesevergnügen.

Eine Messe für all die Toten

Colin Dexter, Rowohlt

Eine Messe für all die Toten

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