Der letzte Bus nach Woodstock
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 1985
- 11
- London; Basingstoke: Macmillan, 1975, Titel: 'Last bus to Woodstock', Seiten: 256, Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1985, Seiten: 216, Übersetzt: Marie S. Hammer
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994, Seiten: 216
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2000, Seiten: 216
Formale Schwächen nicht verkennen, die Dexter in seinen späteren Romanen nicht mehr unterlaufen sind
Etwa auf halber Strecke zwischen der ehrwürdigen Universitätsstadt Oxford und dem Shakespeare-Städtchen Stratford-on-Avon liegt Woodstock. Der kleine Ort ist selbst reich an Zeugen einer eindrucksvollen Vergangenheit - so wurde Winston Churchill hier geboren und begraben - und wird daher von den Bewohnern der umliegenden Gemeinden gern besucht.
Viele Leute kommen also nach Woodstock; das ist ein wichtiger Punkt, denn für Chefinspektor Morse und Sergeant Lewis von der Thames Valley Police erweitert es den Kreis der Verdächtigen erheblich, die für den Mord an Sylvia Kayes verantwortlich sein könnten. Die junge Frau wurde im Hinterhof des beliebten Pubs "Black Prince" vergewaltigt und erschlagen aufgefunden.
Die Ermittlungen ergeben, dass Sylvia Kayes nach Woodstock getrampt ist und von ihrem Mörder auf der Straße aufgelesen wurde. Doch sie war nicht allein; Zeugen sahen sie gemeinsam mit einer anderen Frau einsteigen, die sie offensichtlich kannte. Wieso meldet sich diese nicht auf die Aufrufe der Polizei?
Die Fahndung im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreise der Ermordeten bleibt zunächst ergebnislos. Lewis macht dafür die unkonventionellen Methoden seines exzentrischen Vorgesetzten verantwortlich, der eher auf Eingebungen als auf das Polizeihandbuch setzt, geflissentlich das Alkoholverbot im Dienst ignoriert und gern einmal ein paar Pfund bei einer illegalen Pferdewette riskiert. Zudem bändelt der Inspektor mit Sue Widdowson an, einer Mitbewohnerin Sylvia Kayes.
Ein Durchbruch wird erzielt, als der Wagen gefunden wird, in dem Sylvia Kayes ihre letzte Fahrt unternahm. Aber Bernard Crowther, der Eigentümer, ist nicht der Täter. Dennoch spürt Morse, dass der unglücklich verheiratete Dozent etwas verschweigt. Bevor er Crowther intensiver auf den Zahn fühlen kann, begeht plötzlich dessen Frau Selbstmord. Sie schickt Morse einen Abschiedsbrief, in dem sie sich des Mordes bezichtigt: Per Zufall habe sie entdeckt, dass ihr Gatte sie betrügt, und die Ehebrecherin darob in einem Eifersuchtsanfall erschlagen.
Für Lewis ist der Fall damit geklärt, doch Morse ist unzufrieden. Nicht nur gekränkte Eitelkeit darüber, offensichtlich zur Lösung nichts beigetragen zu haben, macht ihm zu schaffen. Da sind auch einige Details, die sich nicht in das glatte Bild des Gattenmordes fügen wollen. Morse ermittelt weiter - und kommt schließlich einer ebenso absurden wie tragischen Geschichte auf die Spur, die ihn letztlich sogar selbst ins Verderben zu stürzen droht ...
Es wird ihm nicht zum letzten Mal so ergehen, jenem ebenso intelligenten wie verschrobenen Hagestolz Endeavour Morse, der in diesem Roman aus dem Jahre 1975 sein Debüt als unkonventioneller Kriminalist gibt, das nicht von ungefähr an eine upgedatete Neuauflage des unsterblichen Sherlock Holmes erinnert. Auch einen Dr. Watson, der stellvertretend für den Leser die dummen Fragen stellt, gibt es, obwohl sich der treue und geduldige Sergeant Lewis rasch vom Steigbügelhalter zum Reiter emanzipiert und seinen sprunghaften Chef und bald auch Freund hervorragend ergänzt.
Die Kriminalromane von Colin Dexter bestechen weniger durch ihre komplexen Plots. Auch "Der letzte Bus nach Woodstock" erzählt die nur zu bekannte Geschichte vom Mord aus Eifersucht. Dexter interessiert sich stets mehr für die Menschen hinter der Tat, die das Duo Morse und Lewis auf den Plan ruft. Seine beiden Helden sind davon nicht ausgeschlossen. Die Morse/Lewis-Serie ist auch eine chronologische und durchaus dichte Biografie des Chefinspektors und seines Sergeanten. Bereits dieser erste Roman legt dabei das Fundament für jene zwölf Bände, die noch folgen sollten. Morses Einsamkeit, seine Liebe zu Alkohol, der Weg zum Notarzt - das sind nur drei Elemente, denen der Leser immer wieder begegnen wird und die sein geistiger Vater durchaus nicht nur einsetzt, um seiner Figur Konturen zu verleihen: An einem Zuviel der genannten Trias wird Dexter seinen tragischen Helden - zum Entsetzen seiner zahlreichen Leser - 1999 in "Und kurz ist unser Leben", dem 13. (!) Morse-Roman, enden lassen.
Das einzige, worauf sich Morse immer verlassen kann, ist sein kriminalistischer Scharfsinn. "Sie können den Eiger in Hausschuhen besteigen, vorausgesetzt, Sie beginnen den Aufstieg an der richtigen Stelle", fasst er im vorliegenden Roman sein Credo zusammen. Genauso geht Morse als Polizist vor. Ohnehin ist er ein "Quereinsteiger", der seine Zeitgenossen gern und mit der Arroganz des eigentlich Unsicheren an die humanistischen Studien seiner College-Zeit erinnert.
Aber auch Colin Dexter, der lange Jahre Latein und Griechisch in Oxford unterrichtete, kommentiert das Tun und Treiben seiner Figuren gern durch vorzüglich ausgewählte Zitate oder Gedichte aus der klassischen Literatur. Diese konterkariert er allerdings jederzeit bedenkenlos z. B. durch einen Spruch, wie man ihn auf der Tür einer gut frequentierten Gaststätten-Toilette lesen kann: Britischer Humor, der scheinbar mühelos das Alltägliche mit dem Absurden, die feinen mit den niederen Instinkten verbindet und Alles in der täuschenden Sachlichkeit des Vortrags auf einen Nenner bringt, wird von Colin Dexter in höchster Vollendung zelebriert. Morses Ungeschick als Heimwerker, die peinlich- boshaften Gerüchte, die darüber im Polizeirevier kursieren, Morses selbstironisch- verzweifelte Versuch, ihrer wieder Herr zu werden, oder seine unbeholfenen Bemühungen, sich einer der seltenen Frauen in seinem Leben ins möglichst vorteilhafte Licht zu rücken - Dexter versteht es meisterhaft, gleichzeitig die Komik und die Tragik herauszustellen, die solchen Begebenheiten innewohnt, wie wohl jede/r Leser/in aus eigener Erfahrung zustimmen wird.
Dass Colin Dexter seinen ersten Roman während eines verregneten Sommerurlaubs in Wales geschrieben hat, ist wohl zum Teil nur eine jener Legenden, mit denen die üblicherweise wenig spektakulären Lehr- und Wanderjahre später zu Ruhm und Erfolg gekommener Schriftsteller von den Medien gern verklärt werden. Dennoch lassen sich gewisse inhaltliche wie formale Schwächen nicht verkennen, die Dexter in seinen späteren Romanen nicht mehr unterlaufen sind. So hängt der Plot ein wenig zu sehr an einer ganzen Kette von Zufällen, die in ihrer Häufung die Nachsicht des Lesers auf eine harte Probe stellen. Dexter bemüht sich zwar, die Straße zwischen Oxford und Stratford-upon-Avon und den kleinen Ort Woodstock dazwischen als natürlichen Schnittpunkt für seine Figuren glaubhaft zu machen, doch lässt er die Handlung ein paar Haken zu viel schlagen. Das zwingt ihn im Finale zur seitenlangen und recht ermüdenden Nacherzählung dessen, was eigentlich geschehen ist, und richtet die Aufmerksamkeit erst recht auf die Schwachstellen.
Weil Dexter jedoch die Zeichnung seiner beiden Hauptfiguren auf Anhieb so verblüffend gut geraten ist, können diese Einwände das Vergnügen an der Lektüre kaum mindern. Wer also melancholische, grüblerische, einsame, schlaue Polizisten schätzt und die notorisch depressive Welt des Kommissar Wallander für eine Weile verlassen möchte, ist gut beraten, der Thames Valley Police einen Besuch abzustatten. Die Welt ist auch dort so schlecht wie im schwedischen Ystad, aber wenigstens hilft eine gesunde Dosis köstlichen Humors über diesen Tatbestand hinweg!
Etwa auf halber Strecke zwischen der ehrwürdigen Universitätsstadt Oxford und dem Shakespeare-Städtchen Stratford-on-Avon liegt Woodstock. Der kleine Ort ist selbst reich an Zeugen einer eindrucksvollen Vergangenheit - so wurde Winston Churchill hier geboren und begraben - und wird daher von den Bewohnern der umliegenden Gemeinden gern besucht.
Viele Leute kommen also nach Woodstock; das ist ein wichtiger Punkt, denn für Chefinspektor Morse und Sergeant Lewis von der Thames Valley Police erweitert es den Kreis der Verdächtigen erheblich, die für den Mord an Sylvia Kayes verantwortlich sein könnten. Die junge Frau wurde im Hinterhof des beliebten Pubs "Black Prince" vergewaltigt und erschlagen aufgefunden.
Die Ermittlungen ergeben, dass Sylvia Kayes nach Woodstock getrampt ist und von ihrem Mörder auf der Straße aufgelesen wurde. Doch sie war nicht allein; Zeugen sahen sie gemeinsam mit einer anderen Frau einsteigen, die sie offensichtlich kannte. Wieso meldet sich diese nicht auf die Aufrufe der Polizei?
Die Fahndung im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreise der Ermordeten bleibt zunächst ergebnislos. Lewis macht dafür die unkonventionellen Methoden seines exzentrischen Vorgesetzten verantwortlich, der eher auf Eingebungen als auf das Polizeihandbuch setzt, geflissentlich das Alkoholverbot im Dienst ignoriert und gern einmal ein paar Pfund bei einer illegalen Pferdewette riskiert. Zudem bändelt der Inspektor mit Sue Widdowson an, einer Mitbewohnerin Sylvia Kayes.
Ein Durchbruch wird erzielt, als der Wagen gefunden wird, in dem Sylvia Kayes ihre letzte Fahrt unternahm. Aber Bernard Crowther, der Eigentümer, ist nicht der Täter. Dennoch spürt Morse, dass der unglücklich verheiratete Dozent etwas verschweigt. Bevor er Crowther intensiver auf den Zahn fühlen kann, begeht plötzlich dessen Frau Selbstmord. Sie schickt Morse einen Abschiedsbrief, in dem sie sich des Mordes bezichtigt: Per Zufall habe sie entdeckt, dass ihr Gatte sie betrügt, und die Ehebrecherin darob in einem Eifersuchtsanfall erschlagen.
Für Lewis ist der Fall damit geklärt, doch Morse ist unzufrieden. Nicht nur gekränkte Eitelkeit darüber, offensichtlich zur Lösung nichts beigetragen zu haben, macht ihm zu schaffen. Da sind auch einige Details, die sich nicht in das glatte Bild des Gattenmordes fügen wollen. Morse ermittelt weiter - und kommt schließlich einer ebenso absurden wie tragischen Geschichte auf die Spur, die ihn letztlich sogar selbst ins Verderben zu stürzen droht ...
Es wird ihm nicht zum letzten Mal so ergehen, jenem ebenso intelligenten wie verschrobenen Hagestolz Endeavour Morse, der in diesem Roman aus dem Jahre 1975 sein Debüt als unkonventioneller Kriminalist gibt, das nicht von ungefähr an eine upgedatete Neuauflage des unsterblichen Sherlock Holmes erinnert. Auch einen Dr. Watson, der stellvertretend für den Leser die dummen Fragen stellt, gibt es, obwohl sich der treue und geduldige Sergeant Lewis rasch vom Steigbügelhalter zum Reiter emanzipiert und seinen sprunghaften Chef und bald auch Freund hervorragend ergänzt.
Die Kriminalromane von Colin Dexter bestechen weniger durch ihre komplexen Plots. Auch "Der letzte Bus nach Woodstock" erzählt die nur zu bekannte Geschichte vom Mord aus Eifersucht. Dexter interessiert sich stets mehr für die Menschen hinter der Tat, die das Duo Morse und Lewis auf den Plan ruft. Seine beiden Helden sind davon nicht ausgeschlossen. Die Morse/Lewis-Serie ist auch eine chronologische und durchaus dichte Biografie des Chefinspektors und seines Sergeanten. Bereits dieser erste Roman legt dabei das Fundament für jene zwölf Bände, die noch folgen sollten. Morses Einsamkeit, seine Liebe zu Alkohol, der Weg zum Notarzt - das sind nur drei Elemente, denen der Leser immer wieder begegnen wird und die sein geistiger Vater durchaus nicht nur einsetzt, um seiner Figur Konturen zu verleihen: An einem Zuviel der genannten Trias wird Dexter seinen tragischen Helden - zum Entsetzen seiner zahlreichen Leser - 1999 in "Und kurz ist unser Leben", dem 13. (!) Morse-Roman, enden lassen.
Das einzige, worauf sich Morse immer verlassen kann, ist sein kriminalistischer Scharfsinn. "Sie können den Eiger in Hausschuhen besteigen, vorausgesetzt, Sie beginnen den Aufstieg an der richtigen Stelle", fasst er im vorliegenden Roman sein Credo zusammen. Genauso geht Morse als Polizist vor. Ohnehin ist er ein "Quereinsteiger", der seine Zeitgenossen gern und mit der Arroganz des eigentlich Unsicheren an die humanistischen Studien seiner College-Zeit erinnert.
Aber auch Colin Dexter, der lange Jahre Latein und Griechisch in Oxford unterrichtete, kommentiert das Tun und Treiben seiner Figuren gern durch vorzüglich ausgewählte Zitate oder Gedichte aus der klassischen Literatur. Diese konterkariert er allerdings jederzeit bedenkenlos z. B. durch einen Spruch, wie man ihn auf der Tür einer gut frequentierten Gaststätten-Toilette lesen kann: Britischer Humor, der scheinbar mühelos das Alltägliche mit dem Absurden, die feinen mit den niederen Instinkten verbindet und Alles in der täuschenden Sachlichkeit des Vortrags auf einen Nenner bringt, wird von Colin Dexter in höchster Vollendung zelebriert. Morses Ungeschick als Heimwerker, die peinlich- boshaften Gerüchte, die darüber im Polizeirevier kursieren, Morses selbstironisch- verzweifelte Versuch, ihrer wieder Herr zu werden, oder seine unbeholfenen Bemühungen, sich einer der seltenen Frauen in seinem Leben ins möglichst vorteilhafte Licht zu rücken - Dexter versteht es meisterhaft, gleichzeitig die Komik und die Tragik herauszustellen, die solchen Begebenheiten innewohnt, wie wohl jede/r Leser/in aus eigener Erfahrung zustimmen wird.
Dass Colin Dexter seinen ersten Roman während eines verregneten Sommerurlaubs in Wales geschrieben hat, ist wohl zum Teil nur eine jener Legenden, mit denen die üblicherweise wenig spektakulären Lehr- und Wanderjahre später zu Ruhm und Erfolg gekommener Schriftsteller von den Medien gern verklärt werden. Dennoch lassen sich gewisse inhaltliche wie formale Schwächen nicht verkennen, die Dexter in seinen späteren Romanen nicht mehr unterlaufen sind. So hängt der Plot ein wenig zu sehr an einer ganzen Kette von Zufällen, die in ihrer Häufung die Nachsicht des Lesers auf eine harte Probe stellen. Dexter bemüht sich zwar, die Straße zwischen Oxford und Stratford-upon-Avon und den kleinen Ort Woodstock dazwischen als natürlichen Schnittpunkt für seine Figuren glaubhaft zu machen, doch lässt er die Handlung ein paar Haken zu viel schlagen. Das zwingt ihn im Finale zur seitenlangen und recht ermüdenden Nacherzählung dessen, was eigentlich geschehen ist, und richtet die Aufmerksamkeit erst recht auf die Schwachstellen.
Weil Dexter jedoch die Zeichnung seiner beiden Hauptfiguren auf Anhieb so verblüffend gut geraten ist, können diese Einwände das Vergnügen an der Lektüre kaum mindern. Wer also melancholische, grüblerische, einsame, schlaue Polizisten schätzt und die notorisch depressive Welt des Kommissar Wallander für eine Weile verlassen möchte, ist gut beraten, der Thames Valley Police einen Besuch abzustatten. Die Welt ist auch dort so schlecht wie im schwedischen Ystad, aber wenigstens hilft eine gesunde Dosis köstlichen Humors über diesen Tatbestand hinweg!
Colin Dexter, Rowohlt
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