Die Tür im Schott

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2001
  • 9
  • Originalausgabe erschienen unter dem Titel „The Crooked Hinge“

    - New York : Harpers 1938

    - London : Hamish Hamilton 1938

    - Bern - Stuttgart - Wien : Scherz Verlag 1959 [unter dem Titel „Gesucht: ein Motiv“ von „Carter Dickson“]: 1959 (Die schwarzen Kriminalromane 124). Übersetzung: N. N. 191 S. [keine ISBN]

    - Köln : DuMont Verlag 2001 (DuMonts Kriminalbibliothek 1093). Übersetzung: Manfred Allié. 285 S. ISBN-13: 978-3-7701-5334-3

    - Köln : DuMont Verlag 2012 [eBook] (DuMonts Kriminalbibliothek 1093). Übersetzung: Manfred Allié. 1,5 MB [ePUB]. ISBN-13: 978-3-8321-8674-6

Die Tür im Schott
Die Tür im Schott
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Michael Drewniok
100°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2021

Er war es - sie war es - niemand war es

In Mallingford, einem Dörflein in der englischen Grafschaft Kent, üben Sir John Farnleigh, Baronet von Mallingford und Soane, und seine Gattin, die liebliche Lady Molly, mit starker aber gütiger Hand das ihnen von Gott und König verliehene Privileg aus, dem Volk Führung und Schutz vor den zweifelhaften Segnungen des 20. Jahrhunderts angedeihen zu lassen. Die Idylle platzt, als aus den fernen USA ein Mann namens Patrick Gore auftaucht, der sich erdreistet, Sir John Titel, Besitz und sogar den Namen streitig zu machen!

Als Jüngling ein Satanist (!) und Wüstling, wurde dieser John Farnleigh 1912 vom Vater verstoßen und in die ehemaligen Kolonien geschickt. Eingeschifft wurde der missratene Spross auf einem Dampfer namens „Titanic“. Bevor deren Reise vorzeitig an einem Eisberg endete, lernte Jung-John einen heimatlosen Zirkus-Artisten gleichen Alters kennen und schätzen: den wahren Patrick Gore nämlich, der dem faszinierten Adelssohn vorschlug, die Identitäten zu tauschen, um die Karten ihrer zukünftigen Leben neu zu mischen. Den neuen Freund verschlang das Meer, und John lebte als Patrick zufrieden in den Vereinigten Staaten, bis ihn die Nachricht vom Tode des ungeliebten Vaters erreichte.

Nun erscheint der erzürnte/verlorene/echte Sohn und fordert sein Recht. Wer ist der echte Sir John Farnleigh? Auch der derzeitige Träger des Titels ist erst vor zwei Jahren aus dem Ausland nach Mallingford gekommen. Womöglich könnte Kennet Murray, Johns Hauslehrer, helfen: Als begeisterter Hobby-Detektiv hat er einst von seinem Schüler Fingerabdrücke genommen! Diese hat er aufbewahrt sowie seinen alten Bekannten Dr. Gideon Fell, Ermittler für Scotland Yard, um Unterstützung gebeten.

Die mit Spannung erwartete Konfrontation endet mit einem Mord, der allen Gesetzen der Logik spottet. Es ist an Gideon Fell, hinter den Kulissen nach Indizien zu suchen, wo Schwarze Magie und Hexerei zu lauern scheinen ...

Ein Genre auf dem Gipfel

Der britische Landhaus-Krimi - vom Fachmann gern „Cozy“ genannt, weil es meist außerhalb der verderbten Stadt auch in Sachen Mord stets gemütlich zugeht - wurde von seinen Kritikern gern mit Spott bedacht. Wenn es ein Genre gibt, das direkt und unverblümt auf die Heile-Welt-Sehnsucht seines Publikums zielt, dann ist es der „Whodunit“. Dies geschieht oft auf recht plumpe Weise, und ärgerlicherweise lässt sich eine entsprechend gepolte Leserschaft allzu einfach mit stumpf nach Schema F (distinguierter Lord, plakativfeministische Amateurdetektivin, bodenständiger Polizist, verschrobener Pfarrer, steifer Butler usw.) gedrechselter Dutzendware abspeisen.

Dabei ist der „Cozy“ mehr als eine künstlich am Leben gehaltene, weil einträgliche literarische Leiche, sondern ein Bote aus längst vergangener, angeblich einfacherer Zeit, deren reales Ende in Großbritannien mit dem Ersten Weltkrieg gekommen war. Insofern reiste bereits John Dickson Carr mit Die Tür im Schott auf der Nostalgie-Schiene: 1938 ging es auch in der englischen Provinz schon anders zu als der Verfasser uns hier vorgaukelt.

Doch John Dickson Carr durfte sich gegen den Vorwurf kalkulierter Gemütlichkeit gefeit fühlen, denn er verfügte über jenes Talent, mit der die Mehrzahl seiner Epigonen nicht gesegnet wurde. Es mischte sich mit einem enzyklopädischen Wissen um den Kriminalroman und war gepaart mit einem unbändigen Vergnügen, Regeln gleichzeitig strikt zu beachten und gleichzeitig außer Kraft zu setzen. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es für Carr keine blutleeren literarischen Fingerübungen. Die Tür im Schott macht da keine Ausnahme.

Ein Fest der unterhaltsamen Verwirrung

Hier gibt es keine schnulzige Liebesgeschichte, nach der zumindest die weibliche „Cozy“-Klientel angeblich hungert. Mit Liebe und Leidenschaften hatte Carr wenig am Hut, es sei denn, ihnen entsprangen skurrile Morde. Auf diese konzentrierte er seine ganze Aufmerksamkeit, was sicherlich den Amateur-Psychologen interessiert. Den Lesern ist es gleichgültig. Sie pfeifen auf den Vorwurf, Carr-Krimis seien sauber, aber herzlos konstruierte, wie ein Uhrwerk ablaufende Kabinettstückchen, bevölkert mit Reißbrett-Figuren und voller absurder Hintertüren, Taschenspielertricks und grotesker Auflösungen. Darin steckt viel Wahres, aber es mindert den Lese-Spaß nicht im Geringsten!

Die Tür im Schott ist der destillierte Carr: ein Krimi ohne Längen und Lücken. Stattdessen gibt es auf jeder Seite neue Überraschungen. Wieder und wieder schlägt die Handlung Haken, präsentiert neue Verdächtige, entlastet alte, wirft plötzlich alles scheinbar Gesicherte und bisher Gelesene über den Haufen.

Dabei spielt der Verfasser stets mit offenen Karten. Das war ihm wichtig, denn die Kunst eines Krimiautors maß Carr auch daran, dass er dem Leser einerseits deutliche Hinweise gab, während er andererseits die Spannung bis zur letzten Seite aufrechterhält. In Die Tür im Schott spart Carr keineswegs und beinahe provokant mit entsprechenden Andeutungen. Liest man schon länger Kriminalromane, fallen sie durchaus auf. Man schenkt ihnen nur lange keinen Glauben, weil der einfallsreiche Verfasser mit immer neuen Kniffen und Volten verunsichert. Allein die Kunst, mit der Carr die Unsicherheit schürt, wer denn nun der echte Sir John Farnleigh ist, verdient neidvolle Anerkennung!

Irgendwo im Dunkel liegt Occams Rasiermesser

Da passen Hexerei und die „Titanic“ wunderbar ins Gesamtbild. Zeit seines Lebens war John Dickson Carr vom Schaurigen und Seltsamen fasziniert. Auch Die Tür im Schott ist reich an solchen Handlungssträngen, die scheinbar das Eingreifen übernatürlicher Mächte andeuten. Sir Johns unfromme Neigung zur Schwarzen Magie, der spukhafte Menschautomat von Farnleigh Close und zwergenhafte Meuchelmörder in der Nacht bieten stimmungsvolle Anklänge an ‚richtige‘ Gruselgeschichten. Sie werden selbstverständlich als Täuschung entlarvt, denn wo John Dickson Carr vielleicht das eine oder andere echte Gespenst auftreten lassen würde, kann Dr. Gideon Fell das Übernatürliche niemals dulden.

Dr. Fell ist ein echtes Unikum. Er gehört zu den großen Gestalten des Kriminalromans, aber leiden konnte und kann ihn eigentlich niemand; kaum verwunderlich, denn Fell ist ein poltriger Besserwisser, der eifersüchtig sein Wissen hortet, um dann im großen Finale großspurig der Polizei, dem Täter, den atemlos lauschenden Randfiguren und den Lesern gleichermaßen sein Können unter die Nase zu reiben.

Davon konnte oder wollte Carr nicht lassen; über ein halbes Jahrhundert und eine endlose Reihe gesichts- und charakterloser Möchtegern-Helden später kann seine Entscheidung akzeptieren: Gideon Fell mag ein arroganter Mistkerl sein, aber wenigstens ist er einer, an den man sich erinnert! Das verdankt er wunderbaren Romanen wie diesem, die dazu anspornen, weitere Carr-Werke auszugraben.

Fazit

Der 9. Gideon-Fell-Roman gilt als einer der besten Rätsel-Krimis überhaupt; der Plot ist geradezu irrwitzig, aber unglaublich raffiniert, die Spannung trägt mühelos bis in ein grandioses Finale: ein Klassiker par excellence!

Die Tür im Schott

John Dickson Carr, DuMont

Die Tür im Schott

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