Menschenfreunde
- Shayol
- Erschienen: Januar 2008
- 9
- Berlin: Shayol, 2008, Seiten: 214, Originalsprache
Die Schattenseiten der Arbeitswelt
Dass die moderne Geschäftswelt und insbesondere das IT-Business mörderisch ist, muss die Chefsekretärin Dorothea Brecher am eigenen Leib erfahren, endet sie doch als erwürgtes Mordopfer im Schubfach einer Schrankwand. Hauptverdächtiger: ihr Chef Kurt Zeilert, der seine Sekretärin nicht nur für administrative Aufgaben, sondern auch für schnellen Sex auf dem Bürostuhl benötigte. Klar festgelegt in der "Arbeitsplatzbeschreibung". Doch in der konkurrenzschluckenden Saarbrückener Firma I & B finden sich alsbald weitere Verdächtige, wenig freundliche Menschen, die sich gerne mit Intrigen und Sabotageakten die Zeit vertreiben. Als Zeilert spurlos verschwindet, scheint sich die Theorie seines Jugendfreundes Mathias Lanhoff zu bestätigen, das Zeilert selbst das Opfer eines Mordanschlags werden sollte, und Brecher sich nur zur falschen Zeit am falschen Ort befand. Doch obwohl Zeilert dank seiner erfolgreichen Bestrebungen Mitbewerber durch Dumpingpreise in den Ruin zu treiben, nicht gerade weiträumig beliebt war, bleibt die spröde Kommissarin Bahlke skeptisch.
Mit Menschenfreunde legt Krimikritiker, verdienstvoller Mitherausgeber des Krimijahrbuchs und "Watching The Detectives"-Blogbetreiber Dieter Paul Rudolph seinen ersten Kriminalroman vor (zumindest als Verlagsveröffentlichung. Im Internet lassen sich die beiden Krimis Die Pfauenfeder und Das Promimasssaker finden. Letzteres gar animiert). In Saarbrücken und Umgebung angesiedelt, begeht er glücklicherweise nicht den Fehler, einen jener gemütvollen Jammerlappen von Buch zu präsentieren, der durch seinen Lokalkolorit glänzt und sonst nur wenig bis nichts zu bieten hat. Stattdessen hat er sich eines Themas angenommen, das sich für einen Kriminalroman geradezu anbietet, aber trotzdem relativ unterrepräsentiert ist im weiten Feld der Kriminalliteratur: die Schattenseiten der Arbeitswelt.
Genauer gesagt tummeln sich Rudolphs Figuren in einem Pool, angefüllt mit hochtrabenden Begriffen wie E-Learning, Balanced Score Card und am Beckenrand lauern Powerpoint-Präsentationen und Multimedia-Anwendungen. Hier geht es schon lange nicht mehr darum, innovative Strategien zu entwickeln und professionelle Wissensvermittlung zu betreiben, sondern vorhandene Quellen auszusaugen, bis alles im Umkreis vertrocknet ist. Gipfelnd in der zynischen Pointe, dass die selbstständigen Konkurrenten, die man durch Dumping-Preise eliminiert hat, als billige ABM-Kräfte, bzw. Praktikanten in der eigenen Firma arbeiten zu lassen, um dort ihr Fachwissen einzubringen. Natürlich finanziell gefördert vom Arbeitsamt.
Kurt Zeilert war bereits zu Schulzeiten ein Visionär, was technologische Entwicklungen angeht, später setzte er sein Wissen mit seiner Firma I & B um, und wird, selbst als die IT-Branche ins Wanken kommt, ein satter Hai im kleinen Goldfischglas. Umgeben von Neidern, zerstörten Existenzen, Intriganten und Funktionsträgern spürt der Erfolgsmensch indes eine Sehnsucht, geboren aus der eigenen Leere: so sponsert er großzügig den lokalen Fußballverein und holt sich seinen früheren Schulfreund, sein philosophisches und fußballkönnerisches Pendant, Mathias Lanhoff an die Seite (und macht ihn zum Missvergnügen seiner Angestellten zu seinem Stellvertreter).
Mit Lanhoff hat Rudolph einen faszinierenden Charakter geschaffen, den Ex-Profi, der allerdings meist auf der Ersatzbank saß, der Fußball hasst und sich lieber zwischen seinen 6000 Büchern vergräbt, und seiner Leidenschaft für Jean Paul, Adelbert de Chamisso und der "Recherche" frönt. Auf dem Fußballplatz lässt er die Spieler seine ganze Verachtung für ihr minderbemitteltes Treiben spüren, er gilt als "harter Hund" und bringt die Mannschaft natürlich sicher und mit schauspielerischer Verve zum Aufstieg. An ihm reibt sich besonders die ermittelnde Kommissarin Cornelia Bahlke, die erste verbale Konfrontation der beiden ist ein wahres Screwball-Feuerwerk.
Wie überhaupt knappe, pointierte und konsequent zu Ende gebrachte Dialoge eine Stärke Rudolphs sind. Eingebettet in die schnelle Handlung, die zwischen den Protagonisten und Ereignissen hin- und herspringt, ergibt sich so ein manchmal fast atemloses, kurzweiliges Vergnügen mit bitterem Nachgeschmack. Das, abgesehen von den drei Hauptfiguren (wovon sich Kurt Zeilert in der Mitte des Romans vorläufig verabschiedet), statt Charakteren eher (Stereo)Typen den Roman bevölkern, ist leicht verschmerzbar, denn die Typisierungen sind meist stimmig und lassen durchblicken, dass Klischees eben vielfach zu Klischees werden, weil sie zutreffen. Als Beispiel mag die kurze Beschreibung des Teampädagogen Siegmann dienen:
Sehr jung noch, sah auch so aus, zur methodischen Durchdringung einer Thematik unfähig, aber voller abstruser Ideen, konnte die Wörter nicht halten und war somit ideal für jenes Vernebeln geeignet, das A & O in diesem Gewerbe ist. Absolut loyal, völlig ohne Ehrgeiz.
Wobei dem gebeutelten Siegmann, neben der Volkswirtin Eller und dem am Boden zerstörten Dr. Ballmann noch eine recht detaillierte individuelle Biographie und Tiefe zugestanden wird. Doch das ist nichts gegen das ungleiche Ermittlerpaar, das sich erst nicht ausstehen kann und dann doch im gleichen Bett landet. Melodramatisch bis zum Zynismus sind sie beide, und das macht sie sympathisch; denn der misanthropische Schutzschild wird aktiviert, weil sie "involved in mankind" sind, wie John Donne es nannte, und diese Eigenschaft macht alle guten Ermittler aus. Wobei Lanhoff noch vorteilhafter geraten ist, als Bahlke, er bekommt mehr Raum und an seiner widersprüchlichen Persönlichkeit brechen sich die Personen um ihn herum, er ist ein wandelndes Klischee und stellt es zugleich in Frage. Gleichzeitig fällt es ihm leicht, sich in jedes System zu integrieren, weil er in der Lage ist, Zusammenhänge zu analysieren und klug genug Hilfe anzunehmen, um sie auszuwerten. So kommt er nicht nur hinter das unlautere Geschäftsgebaren der Firma, die er kurzzeitig leiten darf, sondern auch höchst kooperativ mit Kommissarin Bahlke Mörder und Entführer nahe. Vielleicht zu nahe.
Die Motivation des Mörders ist nachvollziehbar entwickelt, Rudolph sucht hier nicht das Sensationelle, wie auch alle kleineren Verbrechen am Wegesrand - Telefonterror, Körperverletzung, Sabotage etc. - nahezu beiläufig und meist stimmig aufgeklärt werden. Die Stärken des Romans liegen in seiner genauen Beobachtungsgabe und dem Versuch einer entmenschlichten Gesellschaft auf die Schliche zu kommen. Rudolph tut dies mit sarkastischem Witz - der zwar manchmal haarscharf am Quatsch-Comedy-Club vorbeischrammt, aber nicht nur mit der Arbeitsgruppe "Bildungsbock" satirische Kleinode aufzuweisen hat. - und mit der Sehnsucht, im Wissen und der Poesie einen Ausweg finden zu können. Manchmal gerät ihm ein Bonmot zu flapsig, aber da sind wir weit Schlimmeres gewohnt. Augen zudrücken muss man bei den Beschreibungen von Lanhoffs Trainertätigkeit. Das erinnert ein wenig zu sehr an weitgehend ausgestorbene totalitäre Urgesteine wie Rinus Michels oder Max Merkel. Amüsant zu lesen ist es trotzdem.
Schwer zu schlucken ist der Epilog, der zwar eine düstere, fiese Pointe bietet, aber aufgesetzt wirkt, ein Fremdkörper in einem ansonsten recht homogenen Universum. Erinnert an den unsäglichen "Wir spulen die Handlung mal eben zurück"-Gag aus Michael Hanekes Funny Games. Obwohl der Autor Stein und Bein schwört, Haneke nicht zu kennen. Mindert aber das nachdenkenswerte Vergnügen an einem klugen und spannenden Roman kaum. Ein Wiedersehen mit Bahlke und Lanhoff wäre allerdings ein Zimmer mit Aussicht auf einen wogenden Ozean in tiefblau.
Dieter Paul Rudolph, Shayol
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