Gottesdienst

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 9
  • München: Heyne, 2008, Seiten: 492, Übersetzt: Stefan Rohmig
Gottesdienst
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Wolfgang Franßen
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2008

Schaum vor dem Mund

Sollte jemand einem Prediger wie Pete Wyoming und seinen Anhänger den Standhaften begegnen, wäre es ratsam, ihm besser nicht einzugestehen, dass der Mensch vom Affen abstammt. Plötzlich ist man eine Hexe, eine Hure, ein Schwulenliebchen, wird das eigene Auto mit dreckigen Sprüchen verunziert, das Haus zerlegt, verstecken sie einem eine Tüte voller Wespen auf den Rücksitz und hoffen auf einen allergischen Anfall, damit man am nächsten Baum verendet.

Rigoroser Fanatismus, der vorgibt sich, um seine Anhänger zu kümmern, seine Fußsoldaten degradiert, um sie einem gerechten, heiligen Krieg auszuliefern, dafür muss man nicht den nahen Osten reisen. Überall auf der Welt sollen Seelen gerettet werden.

Die Bedrohung ist in Meg Gardiners Thriller Gottesdienst mit Händen zu greifen. Evan Delaneys Pflegekind wird zum Spielball unterschiedlichster Interessen. Was sich anfangs wie ein Streit um das Sorgerecht entwickelt, bietet bald schon die Grundlage zur Erpressung. In der ersten Hälfte entgeht Meg Gardiner der Gefahr der Überzeichnung durch genaue Beobachtung. Wo Mo Hayder das Reißerische ins Rampenlicht gezerrt hätte, um die auf Schock ausgerichteten Bedürfnisse ihrer Leser zu befriedigen, beschreitet Gardiner die Kunst des Einkreisens und erinnert an Val McDermid. Der erste Todesfall ähnelt eher einem Unfall als einem Mordanschlag. Er erscheint angesichts des um sich greifenden Hasses unausweichlich zu sein.

Wie ein irrlichternder Geist zerbricht das zusammengezimmert private Glück Evan Delaneys und ihres Neffen, als Tabahita, Lukes Mutter, im Kreise der Standhaften auftaucht und ihre Muttergefühle wiederfindet, indem sie Luke zu sich nehmen will.

Erst muss ich mich mal übergeben

Dabei erinnern die Standhaften, je weiter die Geschichte voranschreitet, eher an Charles Manson und seine fanatischen Anhänger als an eine friedfertige Gemeinschaft, der Evan ihren Neffen guten Gewissens anvertrauen könnte. Wo Gott gesucht, die Erlösung ersehnt wird, der Weltuntergang naht, regiert um den Prediger Wyoming die Gewalt. Der Satan muss für alles herhalten. Nicht zu letzt für die Existenz eines militärischen Stützpunktes in der Nähe.

Wenn sich später die Schlinge um Evans Bruder Brian, einem Piloten, zuzieht, indem sie ausgerechnet in dessen Haus die brennende Leiche des Predigers in einer Tonne vorfindet, ist Evan keine kaltblütige Profilerin, kein Superhirn, dass sich dem Horror stellt und ihn auf der Stelle zu analysieren versteht. Sie rennt weg, sinkt ins Gras, muss kotzen. Gardiner schreibt sich hier nah an die Gefühle ihrer Leser heran. Auf schrille, blutrünstige Ausschmückungen wartet man vergebens. Eher steigt einem der Ekel hoch, während man sich ausmalt, wie brennendes Fleisch wohl riechen mag.

Ihre Protagonisten brennen wie Brian Delaney an beiden Enden. Dass es gut ausgeht, wenn sich zwei Flammen einer Kerze in der Mitte treffen, davon darf man nicht ausgehen. Bis dahin hofft der Leser stets, dass die Autorin die richtige Flamme zuerst ausbläst.

Aber dann ...

Nach 9/11 sind Horrorszenarien, die ganze Landstriche auslöschen sollen en Vogue. Dass Meg Gardiner nach der Hälfte ihres Thrillers der Versuchung erliegt, Pete Wyomings hasserfüllte Stellvertreter Chenille und Paxton zu dämonisieren, indem sie mit biologischen Kampfstoffen die Apokalypse herbeizuführen trachten, ist schwer verdaulich. Das zuvor fein gewebte Netz zerreißt auf dem Aktionaltar, und wir befinden uns fast schon bei Tom Clancy.

Es kommt zu völlig unglaubwürdigen Szenen wie jener im Gefängnis, wo ausgerechnet Tabahita in Begleitung Paxtons, Brian das Angebot unterbreitet, ihnen eine F-18, mitsamt chemisch-biologischer Sprengköpfe und Aesolbomben zu beschaffen. Die Geschichte ist da längst in Richtung Verfilmung abgedriftet, wirkt seltsam gestreckt. Jede weitere Drehung der Spannung führt zu einem Sprung.

Am Ende erscheint es einem, als habe Meg Gardiner zu viele Kerzen angezündet. Es brennt lichterloh. Die Guten schaffen es bis ins Krankenhaus, die Bösen machen Bekanntschaft mit dem Feuer.

Gottesdienst

Meg Gardiner, Heyne

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