Tödliche Schlagzeilen
- btb
- Erschienen: Januar 2008
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- London: Phoenix, 2000, Titel: 'Keepers of the Truth', Originalsprache
- München: btb, 2008, Seiten: 384, Übersetzt: Eva Bonné
Ein mutmaßlicher Mordfall entwickelt sich zum Hoffnungsträger
Thomas Kürten: Jochen, wir beide haben die zwei ersten in deutscher Übersetzung erschienenen Romane von Michael Collins, Schlafende Engel und Der Bestseller-Mord, gelesen und haben dadurch Appetit auch auf den dritten Roman Amerikaners mit irischen Wurzeln bekommen. Wovon handelt Tödliche Schlagzeilen?
Jochen König: Der Roman spielt in einer kleinen Stadt im Mittleren Westen. Früher eine blühende Industrielandschaft, doch jetzt nur noch ein sinkendes Wrack, nachdem die Fabriken geschlossen wurden und die Bewohner nach und nach ihre Jobs verloren. Bill ist Redakteur, hetzt von Backwettbewerb zu Backwettbewerb und macht gute Miene zum bösen Spiel, wenn er sich nicht gerade in Selbstmitleid badet oder besäuft. Oder beides. Dabei hat er es gar nicht nötig zu arbeiten, da ihm sein Vater Geld und Grundbesitz hinterlassen hat. Doch Bill ist ein Außenseiter in einer Welt voller Außenseiter. Als eines Tages der alte Lawton spurlos verschwindet und sein Sohn Ronny in Verdacht gerät, ihn ermordet zu haben, nahen für Bill die fünfzehn Minuten Ruhm des kleinen Reporters. Dank einer kleinen journalistischen Eingebung, gilt er plötzlich als der bestinformierte Mann vor Ort und wird sogar zum Lieferanten für Agentur-Meldungen.
Thomas Kürten: Aber Bill macht mehr als sein Chefredakteur von ihm verlangt. Er interessiert sich zu sehr für die Lawtons und insbesondere für Ronnys Freundin Teri. Er wird so selbst in den Fall verwickelt.
Jochen König: Genau, und je mehr er in den Vermisstenfall hineingezogen wird, desto mehr zweifelt Bill an der Theorie, Ronny Lawton sei der Mörder seines Vaters. Motive hat er zwar genug, doch je weiter Bill herumschnüffelt, um so mehr Verdächtige tun sich auf, denn Lawton Sr. war alles andere als ein liebenswerter Zeitgenosse. Am Ende wird Bill der sterbenden Stadt den Rücken zukehren, die Flucht ergreifen, gemeinsam mit einem übel beleumundeten, angeblichen Flittchen, und deren Kind, dessen mentale Fähigkeiten in einem Raum der geistigen Dunkelheit nur für wenig Helligkeit sorgen würden. Doch Bill ist zum ersten Mal halbwegs positiv gestimmt, was seine Zukunft angeht, vor allem weil er anerkennt, dass sich große Hoffnungen in kleine Erwartungen verflüchtigt haben, man damit aber ganz gut leben kann.
Thomas Kürten: Was ist denn für dich das besondere an diesem Krimi? Womit hat dich der Autor überzeugt?
Jochen König: Man darf sich von Tödliche Schlagzeilen nicht auf eine falsche Fährte locken lassen. Denn, obwohl ein Verbrechen Dreh- und Angelpunkt von Collins Roman ist, handelt es sich kaum um einen Kriminalroman. Ermittlungen finden zwar statt, doch hauptsächlich um Schlaglichter auf eine Gesellschaft zu werfen, die dem Untergang geweiht ist. Bittere Ironie durchzieht den gesamten Text, der von bizarren Figuren nur so wimmelt. Seien es Bills Kollege, der magenkranke Fotograf Ed, sein Chef Sam, der verzweifelt versucht, das Lokalblatt an einen größeren Konzern zu veräußern, Eds Gattin Darlene, in deren heimischer Frisierstube die Fäden des Klatsches zusammenlaufen, und nicht zuletzt die Trailer Park-Schönheit Teri, die letztlich Bills Ticket in die Zukunft bereit hält und der Anlass ist, das Bill sich überhaupt eine Zukunft wünscht.
Thomas Kürten: Gutes Stichwort. Bill. Für mich ist dieser Charakter der absolute Glanzpunkt des Romans. Ein durch und durch verstörter Mensch, Sohn eines gescheiterten Rebells und nun orientierungslos gestrandet in einer dem Untergang gewidmeten Stadt. Ebenso wie schon sein Vater musste er hilflos mit ansehen, wie das Lebenswerk seines Großvaters, ein gigantisches Industrieunternehmen und ehemals Lebensquell einer Großstadt immer mehr in der Bedeutungslosigkeit versank. Unfähig, das Trauma vom Selbstmord seines Vaters zu verarbeiten. Ganz stark, wie uns Collins diesen schweren Charakter präsentiert.
Jochen König: Ja, Bill ist nicht ohne Fehl und Tadel, er ist bestenfalls ein Ritter in einer sehr rostigen Rüstung. Für mich eines der Highlights des Romans ist die Zeichnung von Bills "Liebesleben". Denn das besteht aus einer nahezu wahnhaften Fernbeziehung zu seiner "Freundin" Diane, in der sich Bill eher wie ein Stalker, als wie ein gleichberechtigter Partner verhält. Während sie zuerst nie für ihn erreichbar ist, wird Diane zu fernem Leben erweckt, als Bill auf einer kurzen Welle der Popularität schwimmt, nur um ihn am Ende wissen zu lassen, dass sie ihn für ein gemeingefährliches Ekel hält. Ein kleines, beeindruckendes literarisches Meisterstück zum Thema zusammenbrechende und vergebliche Kommunikation. Davon hat Tödliche Schlagzeilen einige Höhepunkte zu bieten.
Thomas Kürten: Tödliche Schlagzeilen ist eine Momentaufnahme einer Region am Ende des Industriezeitalters. Der Roman beschreibt das trostlose Leben der übrig gebliebenen in einer sterbenden Stadt. Streckenweise erstickt den Leser diese Ausweglosigkeit mehr, als das ihm eine sensationsgierige Presse den Atem raubt. Düstere Melancholie dominiert den Roman.
Jochen König: Der deutsche Titel geht in der Tat mal wieder am Tenor des Buches vorbei, handelt es doch nur am Rande von der Sensationslust, die Pressemedien evozieren. Viel intensiver beleuchtet der irischstämmige Michael Collins den "klimatisierten Alptraum" des modernen (amerikanischen) Lebens, ab dem Moment, in dem die Klimaanlage ausfällt. Wenn die Infrastruktur zerbricht, Arbeitsplätze vernichtet werden, und an die Stelle einer funktionierenden Gesellschaft eine Gemeinschaft tritt, die paralysiert die vergangenen besseren Tage beschwört, anstatt einen Ausweg aus der Misere zu suchen, braucht man nicht mal eine feindliche Übernahme am Horizont, die den Menschen die letzten Reste von Eigenständigkeit und Würde austreibt. Selbstmord, Vergewaltigung, latente und ausgeübte Gewalt, Verwahrlosung, der Verlust der sozialen Verantwortung - all das schwärt unter der Oberfläche, geduldet, wahrgenommen, aber nicht aktiv bekämpft, bis es explodiert.
Thomas Kürten: Womit wir zum Fazit kommen. Die Art wie Collins in Tödliche Schlagzeilen mit Zivilisationsängsten spielt, ist ungewöhnlich intensiv. Er benutzt die typischen Elemente eines Kriminalromans, um uns das Spiegelbild einer Gesellschaft auf dem Weg in den Abgrund zu präsentieren. Starke Figuren, aber auch starke Bilder, die der Autor immer wieder einzusetzen weiß, wenn er den Lesern mal um mal klarmacht, wie verloren die Situation bereits ist.
Jochen König: Zynischerweise entwickelt sich ein mutmaßlicher Mordfall zum Hoffnungsträger, doch es wird nur Einzelnen gelingen sich aus dem Sumpf zu befreien; das marode Gemeinwesen ist viel zu sehr damit beschäftigt sich selbst zu unterminieren, so dass die Aufklärung des Verbrechens weder gewünscht noch gesucht wird. Der vermeintliche Thriller als gesellschaftliches Psychogramm, die bitter-komische Analyse eines schleichenden Zerfalls. Ein Ausverkauf, der bereits in den "guten, alten Zeiten" begann, wovon der frühe Selbstmord von Bills Vater zeugt, und der nicht damit enden wird, das eine Lokalzeitung zum Anzeigenblatt in den Händen einer überregionalen Redaktionsleitung verkommt. Genauso wenig wie ein explosiver Gewaltausbruch reinigende Wirkung besitzt.
Michael Collins, btb
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