Das Böse in uns
- Bantam
- Erschienen: Januar 2008
- 114
- New York: Bantam, 2008, Titel: 'The Darker Side', Originalsprache
- Bergisch Gladbach: Lübbe, 0, Seiten: 570, Übersetzt: Axel Merz
Schlimmer geht's immer
Eigentlich ist Smoky Barrett für den Großraum Los Angeles zuständig, doch auf persönlichen Wunsch des FBI-Direktors soll sie nun mit ihrem Team einen Fall im fernen Virginia aufklären. Lisa, eine junge Frau, wurde ermordet. Nicht weiter dramatisch denkt sich Smoky, wäre Lisa nicht in einem Flugzeug in 10.000 Meter Höhe erstochen worden. Zudem heißt Lisa eigentlich Dexter und ist die Tochter bzw. der Sohn des designierten US-Präsidenten. Ein transsexuelles Kind aber, man denke nur an die konservativen Wähler, könnte die Chancen auf dessen Wahlsieg gefährden und so ist besonders gegenüber der Presse absolute Sensibilität gefordert. In Lisas Körper findet sich bei der Obduktion ein Silberkreuz, auf dem ein Totenschädel und die Zahl 143 eingraviert sind.
Wie jeder richtige Cop behielt ich alles für mich und wandte mich an den gleichen Therapeuten, den auch mein Vater in Zeiten der Not aufgesucht hatte, Dr. Johnnie Walker.
Dr. Walker hatte immer Sprechstunde, konnte ein Geheimnis für sich behalten und ging sauber runter.
Smokys Team ermittelt den vermeintlichen Sitznachbar auf Lisas Flug und findet diesen ermordet in seiner Wohnung vor. Während noch gerätselt wird, ob der Mord an Lisa einen politischen Hintergrund haben könnte, ergibt eine VICAP-Abfrage, dass offenbar ein Serienmörder am Werk ist. Ein weiterer Mord führt die Ermittler zurück nach L.A., wo ebenfalls eine junge Frau auf die gleiche Weise ermordet wurde. Auch ihr wurde ein Silberkreuz eingeführt, die eingravierte Zahl lautet 142. Sollte der Mörder schon über 140 Menschen getötet haben? Die Zeit drängt, denn der Mörder kündigt bereits an ein Kind umzubringen, wenn es den Ermittlern nicht gelingen sollte, ihn vorher zu fassen. Auch der Druck der Öffentlichkeit nimmt zu, denn der Täter, der sich selbst "Der Prediger" nennt, hat seine Opfer aufgenommen und stellt seine Filme auf einer bekannten Internetseite ein. Alle Opfer hatten ein furchtbares Geheimnis und der Prediger sieht seine Aufgabe darin, sie von ihrer Sünde zu erlösen ...
McFadyen entwickelt sich mehr und mehr zum Meister der Superlativen
Das Böse in uns ist bereits der dritte Band mit der Ich-Erzählerin und Protagonistin Smoky Barrett, Amerikas bester Profilerin. An ihrer Seite steht ihr bereits bekanntes Team, welches nicht immer menschlich miteinander harmoniert. Während beim Debütroman Blutlinie noch herausgestellt wurde, wie übermenschlich genial alle Ermittler sind und bei der Darstellung der Morde metertief im Blut gebadet wurde, nimmt sich McFadyen hier auffallend zurück. Die Figuren werden zwar nach wie vor sehr hölzern dargestellt, aber immerhin wird ihr aufgeblasener Super-Super-Star-Status nicht mehr so deutlich hervorgehoben. Dies ist schon deshalb zu begrüßen, da die "Experten" im vorliegenden Fall fast gar nichts auf die Reihe bekommen. Kein Wunder, denn ihr Gegner ist (natürlich) ebenfalls perfekt und hinterlässt daher überhaupt keine Spuren. Nicht ein noch so kleines Haarpartikel ist beispielsweise auf dem Flugzeugsitz zu finden. Erstaunlich! Apropos erstaunlich: Die bisherigen Gewaltorgien fehlen fast völlig und die im Internet zu sehenden Videos enden immer vor dem Tötungsakt. Stattdessen werden die erschütternden Geheimnisse der Frauen aufgedeckt, bei der eine Beichte schockierender als die nächste ist. Doch der Reihe nach...
Der vermeintliche Tiefgang der Story ist nur oberflächlich vorhanden
Zu Beginn mag man im ersten Moment einen Polit-Thriller erwarten, der sich aufgrund der Ausgangssituation ja durchaus spannend entwickeln könnte. Kaum ist der Schreck vorbei, denn einen gut geplotteten Polit-Thriller traut man dem Autor nun wirklich nicht zu, folgt eine längere Betrachtung des Themas Transsexualität. Wie sich Dexter zu Lisa entwickelte und welch schlimme Zeit dies für ihn/sie bedeutete, ist durchaus gelungen dargestellt. Allerdings stellt sich sogleich die Frage, warum seitenlang dieses Thema vertiefend beleuchtet wird, wenn es direkt anschließend in der Versenkung verschwindet? Auch die eingangs geschilderte politische Situation für Lisas/Dexters Vater, findet im weiteren Verlauf der Handlung keinerlei Erwähnung mehr. Das Ganze wirkt aufgesetzt, so als wolle man eine Tiefenwirkung erzeugen, die sich jedoch bei näherer Betrachtung recht schnell als oberflächliche Luftblase entlarvt.
Stattdessen kommen jetzt McFadyens eigentliche Stärken zum Tragen. Zum einen die recht detailverliebte Darstellung der Ermittlungsarbeit sowie das Schaffen von immer größer werdenden Superlativen. Die Geheimnisse und Lebensläufe der ermordeten Frauen übertreffen sich ins Endlose, die Ermittlerinnen sind, von der im Gesicht entstellten Smoky abgesehen, eine schöner als die andere und so weiter und so fort. Wie oft kam eigentlich das böse F-Wort in all seinen Facetten vor?
Ganz schwaches Ende, aber immerhin ist Smokys schockierende Vergangenheit noch steigerungsfähig
Seltsam, bei aller erdenklichen Mühe bei den Ermittlungen, finden die Profis, immerhin die besten Ermittler die das Land zu bieten hat, keine verwertbaren Spuren. Bedauerlicherweise erhält somit auch der Leser keine Hinweise auf einen möglichen Verdächtigen und kann daher dem Täter ebenso wenig auf die Spur kommen wie Smoky Barrett. Diese musste vor einigen Jahren zusehen wie ihr Mann ermordet wurde. Bei dem Versuch, den Täter zu erschießen, tötete sie stattdessen jedoch versehentlich ihre zwölfjährige Tochter und so sollte man ja eigentlich meinen, schlimmer geht's nicht. Doch, zumindest wenn der Autor McFadyen heißt. Da geht immer was.
Das Buch ist eine grundsätzlich gelungene Mischung aus Ermittlungsarbeit und der Darstellung der neuen Fälle, wobei diese in erster Linie die im Internet zu sehenden Videos sind. So weit so gut, zumindest für all diejenigen, die den Schreibstil des Autors schätzen. Fans von Karin Slaughter und Co. aufgepasst! Doch dann kommt das Ende und da gibt der Autor (schon wieder) nicht sein Bestes. Da der Täter keine Spuren hinterlässt folgt zwangsläufig ein deus ex machina-Effekt (diabolus ex machina wäre hier natürlich passender), was viele Leser/innen verärgern dürfte. Und als wäre dies nicht schon schlimm genug, darf man sich am Ende seitenlang mit der religiösen Motivation des Täters - daher "Prediger" - auseinandersetzen. Das Themenfeld Sünde und Vergebung wird extensiv breit getreten, allerdings aus der Sichtweise eines irren Psychopathen, dessen eigenes Geheimnis noch einmal dem Ganzen die Krone aufsetzt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Sünde/Vergebung wird so leider vermieden. Da war er wieder, der angebliche Tiefgang, der sich einmal mehr als Blendrakete entpuppt.
Wer es gerne temporeich und oberflächlich hat, darf hier zugreifen und kurzweilige Unterhaltung erwarten. Frei nach dem Motto: Popcorn rein, Hirn aus.
Cody McFadyen, Bantam
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