Der Seele schwarzer Grund
- Knaur
- Erschienen: Januar 2008
- 9
- London: Chatto & Windus, 2006, Titel: 'The risk of darkness', Seiten: 374, Originalsprache
- München: Knaur, 2008, Seiten: 489, Übersetzt: Susanne Aeckerle
- München: Knaur, 2010, Seiten: 489
Spannender Abschnitt im Leben eines Polizisten
Seit Monaten sind mehrere Kinder in Lafferton und Umgebung verschwunden, die Bewohner des kleinen englischen Dorfes sind besorgt. Der die Öffentlichkeit beschäftigende Fall macht Inspektor Simon Serrailler und seinen Mitarbeitern einiges Kopfzerbrechen, denn sie tappen nach wie vor völlig im Dunkeln. Als sie schließlich die Akten schließen wollen, führt ein überraschender Hinweis doch noch auf die mögliche Spur des Kidnappers. Zur gleichen Zeit wird die junge Pastorin Jane in ihrer Wohnung von einem verwirrten Witwer als Geisel genommen. Die Reaktion der Öffentlichkeit fällt heftig aus - das beschauliche Lafferton scheint von Mord und Totschlag bedroht. Bei Simon Serrailler liegt allerdings auch privat einiges im Argen. Seine frühere Freundin Diana kann ihn nicht loslassen, seine Zwillingsschwester Cat möchte mit ihrer Familie nach Australien auswandern – und zu allem Überfluss stirbt auch noch seine Mutter.
Der Seele schwarzer Grund ist für mich der erste Roman von Susan Hill. Dabei war es kein Problem, in die laufende Reihe einzusteigen, das mag vielleicht nicht jeder Leser so sehen. Die Autorin schreibt in einem recht flüssigen Stil, und baut mit ihren nebeneinander herlaufenden Erzählsträngen einen guten Spannungsbogen auf. Für viele Leser dürfte das Buch ein höchst ungewöhnlicher Kriminalroman sein, denn er weicht vom üblichen Schema des Genres ab – sozusagen jenseits des Mainstreams. Im Grunde geht es nicht um nur einen Kriminalfall, es ist also kein klassischer "Whodonit". Vielmehr begleitet der Leser den Ermittler Simon Serrailler für eine Zeitlang, und bekommt nicht nur Impressionen von dessen Arbeit, sondern auch vom abwechslungsreichen Leben des Kriminalisten, und auch ein wenig von der Soziographie des kleinen englischen Dorfes. Susan Hill kultiviert dabei einen eher stillen, wenig reißerischen Stil. Wer Action sucht, wird in diesem Buch nicht fündig werden. Dafür gibt es Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele, in verwirrte Köpfe und finstere Herzen.
Als Fortsetzung von Des Abends eisige Stille geht es erneut um die Entführung einiger Schulkinder, und nun wird das Verbrechen tatsächlich aufgeklärt. Genauso wichtig ist der Autorin jedoch das gesellschaftliche und private Leben ihrer Protagonisten. Es geht um den Beruf, alte und neue Sehnsüchte, undefinierbare und doch konkrete Ängste und die Komplexität der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Vielzahl der geschilderten Schicksale, deren Fäden scheinbar planlos nebeneinander her laufen, erwecken beim Leser zunächst den Eindruck einer gewissen Planlosigkeit. Aber die Autorin zeigt hier ihre ganze erzählerische Stärke, und führt die Handlungsstränge schließlich doch zusammen.
Simon Serrailler ist der Hauptprotagonist des Romans, ein typischer Engländer, der aber auch seine Gefühle und Stimmungen preisgibt. Um ihn zirkulieren sowohl die Handlung als auch die anderen Charaktere. Aber in dem menschlichen Puzzle, das die Autorin ihren Lesern präsentiert, ist Serrailler keineswegs so dominant, dass die anderen Protagonisten neben ihm "an die Wand" gedrückt werden. Susan Hill lässt auch den anderen Figuren genug Raum, so etwa Natalie Combs, einer alleinerziehenden Mutter. Diese ist mit der Erziehung ihrer 6-jährigen Tochter eindeutig überfordert. Sie liebt Kyra zwar, kann es ihr aber nicht zeigen – im Gegenteil, ihre schroffe und strenge Art deutet eher darauf hin, dass sie von ihr genervt ist. Daher ist sie einverstanden, wenn die Kleine immer häufiger ins Nachbarhaus hinüber geht, zu Ed, die ihr deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt als die eigene Mutter.
Eine anfangs verwirrende, weil verwirrte Figur ist Max Jameson. Seine Frau Lizzie leidet an einer neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit und stirbt schließlich qualvoll daran. Max wird von Gram völlig zerfressen und verliert schnell den Bezug zur Realität In seiner Verwirrung nimmt er die Pastorin Jane Fitzroy in ihrem eigenen Haus gefangen und will von ihr Antworten auf die Frage, warum es gerade seine Lizzie treffen musste. Susan Hill leistet sich hier eine Art philosophischen Exkurs, dramatisch unterfüttert mit der Entführungssituation. Es geht um den Tod geht, und ob er bestimmte Menschen gerecht trifft. Aber auch der Glaube an Gott wird thematisiert.
Das Drama um Max ist eine durchaus auch anrührende Zwischenepisode. Er sieht in Jane Fitzroy, aber auch in anderen Frauen seine verstorbene Lizzie. Hartnäckig weigert er sich, ihren Tod zu akzeptieren. Rational weiß er allerdings, dass seine Frau gestorben ist. Und so verliert seine Seele immer mehr ihren Anker – eines der thematischen Leitmotive dieses Romans. Und so geht es mit den interessanten Figuren weiter. Jane Fitzroy, Reverend im Imogen House, leidet unter ihrer überaus komplizierten Beziehung zu ihrer atheistische Mutter Magda Fitzroy. Die Kinderpsychologin wird zweimal in ihrem Haus überfallen, lehnt in ihrem Starrsinn aber jede Hilfe von ihrer Tochter ab.
Reichlich rätselhaft für den Leser ist Ed, die geradezu nach Kontakten zu Kindern süchtig ist. Edwina Sleightholme ist eine 38 jährige Einzelgängerin - mit einer schwierigen Kindheit und einem pathologischen Ordnungs- und Sauberkeitswahn. Dadurch werden ihre ihre psychischen Defekte für den Leser hervorragend veranschaulich.
Ed ist – wie bereits gesagt - die Nachbarin von Natalie und Kyra, und geradezu vernarrt in das kleine Mädchen, das sich von der lieblosen Mutter häufig zurückzieht und Edwinas Gegenwart genießt. In ihrer ruhigen Art erzählt Susan Hill eine hochgradig spannende und vor allem abwechslungsreiche Geschichte.
Buchtitel sind oft genug irreführend, oder schlimmstenfalls schlicht falsch. Bei Der Seele schwarzer Grund ist das völlig anders, der Titel ist geradezu programmatisch. Es geht um kranke Seelen, qualvolle Gedanken, Zweifel und vieles mehr, was auf einer Seele lasten kann. Der Roman ist lesenswert und unterhaltsam, hat mehr Tiefe, als man einem solchen Krimi vielleicht zutrauen würde. Für diesen Roman sollte sich der Leser Zeit nehmen, es ist kein Buch für die U-Bahn oder die Mittagspause. Die Geschichten, die sich um jede einzelne der vorkommenden Personen ranken, muss man ein wenig wirken lassen, um die Zusammenhänge zu erkennen und sich vielleicht sogar in Teilaspekten darin wiederfinden zu können. Ich für meinen Teil werde Simon Serrailler bei nächster Gelegenheit erneut in einem Teil seines Lebens begleiten – es lohnt sich nämlich.
Susan Hill, Knaur
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